Vegane Ernährung: Trendkost
Früher fragte man sich noch, ob vegan essende Menschen überhaupt überleben können. Heute weiß man: Die Ernährung ohne tierische Produkte senkt Gesundheitsrisiken entscheidend – wenn man es richtig macht.
Zugegeben: Die mit Käse überbackene Gemüselasagne sieht doch verheißungsvoller aus als der Gemüseeintopf mit Graupen und Karottenschnipseln. So steht Andreas Michalsen zögernd mit seinem Tablett an der Essensausgabe der Kantine im Immanuel-Krankenhaus Berlin in Wannsee: Vegetarisch oder vegan? Als Michalsen, Professor für klinische Naturheilkunde und Chefarzt am Immanuel-Krankenhaus, dann wie seine Begleitung zum Eintopf greift, sagt die Küchenkraft: „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“
Da ist es, das Klischee vom sich selbst geißelnden Körnerfresser. Dabei möchte Andreas Michalsen aufräumen mit den Vorurteilen. „Der Veganer ist kein blassgesichtiger Schwächling“, sagt er. Um die Botschaft zu verbreiten, hält Michalsen Vorträge zur vegetarischen und veganen Ernährung. Er selbst ist Lakto-Vegetarier, er isst kein Fleisch und keine Eier. „Vielleicht werde ich auch noch Veganer.“ Die gesundheitlichen Vorteile wie ein geringeres Herzinfarktrisiko gelten für Veganer noch mal stärker als für Vegetarier – vorausgesetzt, man macht es richtig.
Und das ist nicht mehr so schwer wie noch vor zehn Jahren. Selbst Discounter führen Fleischalternativen und besonders in Berlin hat es der Veganer leicht. 2009 gab es laut dem Vegetarierbund Deutschland (Vebu) in der Hauptstadt vier vegane Gastronomiebetriebe, mittlerweile sind es bereits 28. Die Zahl der Veganer in Berlin schätzt der Vebu auf bis zu 100 000. „Aber machen Sie mal ne Woche Urlaub in Mittelfranken“, sagt Michalsen. „Da können Sie dann nur noch Pommes mit Ketchup essen.“
Wie stark sich über die Jahre die Haltung gegenüber dem Veganismus geändert hat, weiß Sebastian Zösch. Der 34-jährige Berliner ist im Vorstand des Vebu und lebt seit zehn Jahren vegan. Früher habe man sich noch gefragt, ob man vegan überhaupt überleben könne. „Wenn ich heute zum Arzt gehe und der hört, dass ich Veganer bin, sagt der nur: Ach, da werden Sie eh hundert Jahre alt.“
Beim veganen Mittagstisch in der Krankenhauskantine zählt Andreas Michalsen auf, welche Gesundheitsrisiken der Veganer entscheidend senken kann. Herzinfarkt, Schlaganfall, eventuell auch Krebs und Alzheimer – die Untersuchungen laufen. Diabetes Typ II kann mit veganer Ernährung sogar geheilt werden, und den Bluthochdruck senkt sie laut Michalsen mindestens so gut wie ein Medikament.
Eine Mangelerscheinung muss jedoch beachtet werden: der Vitamin-B12-Mangel, der zu Blutarmut und irreversiblen Nervenschädigungen führen kann. Das Vitamin ist nur in tierischen Organismen vorhanden, daher rät Andreas Michalsen zu Ergänzungsprodukten. Eine Möglichkeit, auf natürlichem Weg zu seinem Vitamin B12 zu kommen, gibt es offenbar nicht. Michaelsen drückt es so aus: „Nur wenn Sie sehr viel Erde essen würden.“ Sebastian Zösch etwa greift zu Zahnpasta mit Vitamin-B12-Gehalt – laut Michalsen völlig ausreichend, um die Speicher zu füllen. Dennoch sollten alle Einsteiger nach dem ersten Jahr der veganen Ernährung ein Blutbild machen lassen.
Eiweiß bekommt der Körper auch durch Hülsenfrüchte
Als Beilage hat sich der Arzt einen Salatteller geholt. Gemüse, sagt er, „ist etwa um den Faktor drei gesünder als Obst“. Zudem gibt es ein paar Grundregeln. So können Veganer mit Hülsenfrüchten ihre Eiweißzufuhr sichern – und dabei sind die pflanzlichen Eiweiße gesünder als die tierischen. Wenn es geht, sagt Michalsen, solle man zudem immer zur Vollkornvariante greifen, als Träger der B-Vitamine. Außerdem sollten Veganer gesunde Fette verwenden: Statt Sonnenblumenöl und Maisöl etwa Olivenöl, Weizenkeimöl und Rapsöl mit den Omega-3-Fettsäuren. Überhaupt gilt es, sich genügend Fette zuzuführen. Gute pflanzliche Fette sind auch in Nüssen und Avocado enthalten. Michalsens Salatbeilage ist mit Mais, Radicchio und Paprika ziemlich farbenfroh. „Die Farbstoffe sind sehr gesund“, sagt Michalsen – wegen der darin enthaltenen Antioxidantien. Am Tag vier verschiedene Farben zu essen, sei ratsam.
Dass man bei veganer Ernährung öfters Hunger hat, ist normal. Angst vor Gewichtszunahme muss man aber nicht haben – im Gegenteil: Die meisten Veganer nehmen bei der Ernährungsumstellung ab. Mit den gesunden Nahrungsbestandteilen kann man kaum zu viel essen. „Das weiß jeder, wie das ist, wenn man eine halbe Weihnachtsgans verspeist. Das passiert dem Veganer nicht“, sagt Michalsen. Das leidige Völlegefühl gibt es nicht mehr.
Auch Sebastian Zösch berichtet von einem verbesserten Körpergefühl. „Ich bin so gut wie nie krank“, sagt er. Er sei körperlich fit und nie müde nach dem Essen. Und was auch nicht zu unterschätzen sei: „Man lebt stärker im Einklang mit seinen Werten. Damit habe ich eine enorm höhere Lebensqualität.“ Die Stichworte Massentierhaltung, Lebensmittelskandale, Klimaschädigung kennen schließlich alle.
Nur – gibt es nicht doch Umstände, unter denen man nicht auf die tierischen Eiweiße und Fette verzichten sollte? Andreas Michalsen sagt: Nein. „Außer wenn jemand es nicht schafft, sich ausgewogen vegan zu ernähren.“ Selbst schwangeren und stillenden Frauen würde er vom Veganismus nicht abraten, auch wenn natürlich besondere Umsicht geboten ist. „Aber Schwangere werden ja eh regelmäßig untersucht“, sagt Michalsen.
Bei veganer Ernährung für Kinder empfiehlt er, sich an eine Ernährungsberatung zu wenden. Wegen des Wachstums muss besonderer Wert auf die Eisen- und Kalziumzufuhr gelegt werden – ansonsten sieht Michalsen aber auch hier kein Problem. Wenn Sebastian Zösch einmal Kinder hat, würde er es genauso machen. „Erst einmal würde ich sie vegan ernähren“, sagt er. Wenn sie dann älter würden, dürften die Kinder selbst entscheiden. Was die persönlichen Ernährungsgewohnheiten betrifft, ist man hierzulande schließlich denkbar frei.
Der Vebu bietet einen „Veggie-Schnupperkurs“ zum Einstieg unter www.veggie-schnupperkurs.de. Weitere Infos unter www.vebu.de
Franziska Felber