Ohr: Stochern hilft nicht
Die endgültige Wahrheit über Ohrenpflege mit Wattestäbchen.
Eigentlich ist Ohrenschmalz eine positive Substanz. Es dient dazu, den Gehörgang zu fetten und das Ohr vor Staub- und Schmutzpartikeln zu schützen. Einen guten Ruf genießt das gelbliche Sekret deshalb noch lange nicht - um es loszuwerden, wird gebohrt, gewischt und gespült, was die Industrie hergibt.
Seit Generationen schon ist dabei ein kleines, acht Zentimeter langes Stäbchen mit zwei kleinen Puscheln an den Enden im Zentrum der Diskussion - das Wattestäbchen. Zwar ist auf den Packungen inzwischen ein Warnhinweis angebracht: Nicht in den Gehörgang einführen - doch viele stochern unbeirrt weiter. Allerdings: Statt glänzend-sauberer Ohren steht nach der Anwendung mitunter ein Termin beim Ohrenarzt auf dem Programm. Karin Kippenhahn, niedergelassene HNO-Ärztin in Berlin-Zehlendorf, sagt: »Ich sehe immer wieder Patienten mit Verletzungen des Gehörgangs oder des Trommelfells durch Wattestäbchen. Sie stecken sich das Stäbchen in das Ohr und wenn sie sich zum Beispiel erschrecken, ist es passiert.« Ohnehin sei die Ohrenreinigung mit Wattestäbchen eine Illusion. Die Physiognomie des Stäbchen mache es unmöglich, den Ohrenschmalz aus dem Gehörgang effektiv herauszuholen.
Wie aber, so argumentieren dagegen die Wattestab-Verfechter, lässt sich erklären, dass der Puschel nach dem Herausziehen nicht mehr so weiß ist wie zuvor - also seinen Job scheinbar erledigt hat? »Am Wattebausch klebt nur das Ohrenschmalz, das ganz vorne am Gehörgang saß«, sagt Kippenhahn. In den tieferen Regionen bewirkt das Stäbchen genau das Gegenteil. Anstatt die ungeliebte Substanz zu entfernen, schiebt es sie tiefer ins Ohr und drückt sie fest.
Tatsächlich säubert sich der Gehörgang in der Regel von alleine - beim Essen nämlich. Weil das Kiefergelenk Kontakt zum äußeren Gehörgang hat, rutscht das Ohrenschmalz bei Kaubewegungen nach außen. Es gibt deshalb, außer in besonderen Fällen, keinen medizinischen Grund, einen Gegenstand egal welcher Art zu Reinigungszwecken in das Ohr einzuführen. Wenn man einen sehr engen Gehörgang hat oder das Ohrschmalz eintrocknet, ist der natürliche Selbstreinigungsmechanismus manchmal nicht ausreichend. Dann kann eine professionelle Ohrenreinigung beim HNO-Arzt helfen.
Was den für andere einsehbaren Eingangsbereich angeht: Falls sich die Säuberung nicht von alleine beim Duschen und Haarewaschen erledigt, darf schon aus ästhetischen Gründen, manuell nachgeholfen werden. Begrenzt man sich wirklich auf die wenigen Millimeter, die vom Gehörgang sichtbar sind - darf man bei aller Vorsicht sogar ein Wattestäbchen benutzen.
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Weitere Themen der Ausgabe: Wahrheit oder Mythos. Was dem Augenlicht hilft und schadet; Sehen. Wie unser Auge die Welt des Lichts einfängt; Schielen. Wie der kleine Ben in der Sehschule das richtige Sehen lernt. Augenlaser. Wie Lichtblitze eine neue Linse ins Auge schleifen; Grauer Star. Mit der neuen Linse gegen die trübe Sicht. Beratung Sehhilfen. Gehärtete oder dünne Brillengläser? Ortho-K- oder Multifokallinse? Worauf man beim Kauf achten sollte; Technikneuheiten. Netzhautchip und Intraokularlinsen - Innovationen in der Augenmedizin; Hören. Wie das Ohr Luftschwingungen in Töne verwandelt; Tinnitus. Wenn das Klingeln im Ohr nicht mehr verschwinden will; Beratung Hörgeräte; Außerdem: Kliniken und Arztpraxen im Vergleich. "Tagesspiegel Gesund" - Jetzt bei uns im Shop
Anna Ilin