Arztbrief: Schlaganfall
Unser Experte Martin Ebinger ist Oberarzt der Klinik für Neurologie am Charité Campus Mitte. Die Klinik ist das von den niedergelassenen Neurologen Berlins für die Behandlung eines Schlaganfalls am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
ERKLÄRUNG Ein Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall, bei dem jede Minute zählt! „Auch im Zweifel sollte man sich nicht scheuen, die Notrufnummer 112 zu wählen“, sagt Martin Ebinger, Oberarzt der Klinik für Neurologie der Charité am Campus Charité Mitte. Durch frühes Handeln lässt sich eine bleibende Hirnschädigung manchmal verhindern, zumindest aber lässt sich das Ausmaß der Schäden oft mindern. Schlaganfälle entstehen durch geplatzte oder verstopfte Gefäße. Nervenzellen erhalten durch diese plötzlich eintretenden Durchblutungsstörungen zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe - Ärzte nennen diesen Zustand auch Hirninfarkt. Durch einen Schlaganfall können schwere Hirnschäden entstehen. Langfristige geistige und motorische Behinderungen können unter Umständen die Folge sein. In schweren Fällen droht Betroffenen akute Lebensgefahr.
SYMPTOME Das Tückische an einem Schlaganfall ist, dass er meist nicht wehtut“, sagt Oberarzt Martin Ebinger. Deshalb würden viele Menschen die mitunter subtilen Symptome nicht ernst nehmen und erst mal abwarten. „Manchmal ist es nur ein Kribbeln in der Hand oder ein tauber Arm.“ Typische Symptome sind halbseitige Gesichtslähmungen wie beispielsweise ein herabhängender Mundwinkel, Lähmungserscheinungen in Armen oder Beinen oder Sprachstörungen - der Betroffene spricht verwaschen oder Kauderwelsch oder hat selbst Probleme, andere Menschen zu verstehen. In schweren Fällen fällt der Patient ins Koma. Einem großen Schlaganfall gehen in rund 40 Prozent der Fälle flüchtige, kleinere Mikroinfarkte voraus - von Ärzten auch transiente ischämische Attacken (TIA) genannt. Kann der Schlaganfall nicht rechtzeitig und erfolgreich behandelt werden, drohen meist schwere langfristige neurologische Ausfallerscheinungen, wie Sprach- und Verständnisstörungen, Lähmungen oder psychische Verwirrtheit - je nachdem, welches Gehirnareal betroffen ist.
URSACHE Schlaganfälle werden meist durch einen Verschluss in der Halsschlagader oder Blutgerinnsel in den Gehirngefäßen verursacht. Ob dabei die linke oder die rechte Halsschlagader verengt, scheint Zufall zu sein. Für deutlich weniger Schlaganfälle sind Hirnblutungen verantwortlich: Das Zerplatzen eines kleinen Blutgefäßes im Gehirngewebe wird durch erhöhten Blutdruck begünstigt. Sehr selten kommt es wegen Entzündungen der Gehirngefäße zu Hirninfarkten.
DIAGNOSTIK Zeit ist Leben. Bei einem Schlaganfall sterben pro Minute zwei Millionen Neuronen ab. Ein Schlaganfall muss also so schnell wie möglich erkannt und behandelt werden. Eine gute Nachricht für Berliner: „Wenn man schon einen Schlaganfall bekommt, dann am besten in Berlin“, sagt Ebinger. Die Hauptstadt ist mit 16 zertifizierten Stroke Units, das sind auf die Behandlung akuter Schlaganfälle spezialisierte Krankenhausstationen, gut für die Schlaganfallversorgung aufgestellt.
Noch schneller kann der Schlaganfallpatient versorgt werden, wenn nicht der Patient ins Krankenhaus kommt, sondern das Krankenhaus zum Patienten. Das ist die Idee des Stroke-Einsatz-Mobils (Stemo) - ein auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisierter Krankenwagen. Mit an Bord sind ein Neurologe mit notfallmedizinischer Zusatzausbildung, ein Rettungsassistent und ein Sanitäter, der einen Computertomografen (CT) und ein Labor im Kleinformat bedient. So ausgerüstet können die Rettungsmediziner schon auf dem Weg in eine Rettungsstelle oder in ein Katheterlabor erkennen, ob der Schlaganfall durch Blutungen oder Gefäßverschlüsse hervorgerufen wurde - und mit der geeigneten Therapie sofort beginnen.
THERAPIE Wird der Schlaganfall zeitnah erkannt - am besten schon im Stemo -, können Notärzte Leben retten und größere bleibende Schäden unter Umständen verhindern. Bei Durchblutungsstörungen führen die Notfallspezialisten eine sogenannte Thrombolysetherapie durch. Indem das Blut verdünnt wird, sollen Gefäßverstopfungen aufgelöst werden. Eine Thrombolyse ist allerdings nur maximal bis zu vier einhalb Stunden nach dem Hirninfarkt möglich. Je früher der Wirkstoff namens tPA (das steht für: tissue-Plasminogen Activator) in die Vene gespritzt wird, desto wirksamer ist die Therapie und desto mehr Hirngewebe kann vor dem unwiderruflichen Untergang bewahrt werden. Und in schweren Fällen reicht die Blutverdünnung allein oft nicht aus. „Sind große Gefäße verschlossen, muss das Gerinnsel zusätzlich mit einem Katheter entfernt werden“, sagt Martin Ebinger. Im Idealfall wurde die Thrombolyse dann bereits im Stemo durchgeführt und das Rettungsteam bringt den Patienten direkt ins Katheterlabor.
Eine andere Therapie ist gefragt wenn die Schlaganfallursache eine Verengung der Halsschlagader ist. Die Karotisstenose wird meist operiert. Entweder wird die verengte Stelle über einen Schnitt am Hals behandelt. Dabei wird die Halsschlagader durchtrennt und der Pfropfen entfernt. Blutungen im Gehirn müssen unter Umständen operiert werden, da sie den Druck im Schädel erhöhen und gesundes Hirngewebe quetschen. Chirurgen eröffnen dann die Schädeldecke, um die Blutung zu stoppen und dem Gehirn wieder Platz zu schaffen.
In den ersten Tagen nach der Notfallversorgung besteht ein hohes Risiko eines erneuten Schlaganfalls. Deshalb müssen Patienten stationär intensivmedizinisch überwacht werden. Sobald sich der Gesundheitszustand stabilisiert, sollten erste Schritte der Rehabilitation begonnen werden. Je nach Schweregrad des Schlaganfalls müssen Betroffene zurück ins Leben finden. Manche Schlaganfallpatienten müssen mit mitunter 60 Jahren das Essen, Gehen und Sprechen teilweise oder sogar ganz neu erlernen. Je früher mit einer Reha begonnen wird, umso besser sind die Chancen, neurologische Defizite zu heilen. Doch nicht immer gebe es in den Rehakliniken auf Anhieb einen Platz. „Leider sind die Wartezeiten mitunter länger, als wir uns das wünschen.“ Um erneute Gerinnsel zu verhindern, müssen Betroffene blutverdünnende Medikamente nehmen. Auch eine operative Schlaganfallvorsorge kann das Risiko weiterer Hirninfarkte langfristig reduzieren.
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