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Arztbrief: Schizophrenie

Unser Experte Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Mitte. Die Klinik ist das von niedergelassenen Psychiatern und Psychotherapeuten Berlins für die stationäre Behandlung einer Schizophrenie am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).

ERKLÄRUNG „Schizophrenie wird von den Betroffenen meist erlebt als ein Herausfallen aus der Realität“, sagt Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Mitte. Jetzt kann man natürlich fragen: Was ist Realität? Ein Philosoph und Arzt, sagt Heinz, habe es einmal so umschrieben: Die Krankheit sei ein „Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit“. Die Dinge erscheinen anders, Stimmen im Kopf tauchen auf. Von Schizophrenie betroffene Menschen haben aber, gerade weil sie in altbekannten Mustern plötzlich das Neue sehen, auch eine kreative Seite. Bis heute wird etwa gemutmaßt, Vincent van Gogh könnte schizophren gewesen sein. Andreas Heinz spricht lieber von Psychosen oder „Gruppen von Schizophrenien“, die sich je nach Schwere ihres Verlaufs unterscheiden - und danach, ob sie sich emotional (gefühlsmäßig), kognitiv (im Sprachbereich) oder motorisch (etwa durch Muskelstarrheit) ausprägen. Noch vor einigen Jahren galt Psychose als ein Überbegriff, der auch Schizophrenie umfasst, inzwischen werden beide Begriffe fast gleichbedeutend verwendet. „Die Betroffenen finden sich in der Bezeichnung Psychose eher wieder“, erklärt Heinz. Der Begriff ist für sie positiver besetzt.

Nervenzellen kommunizieren über Neuro-transmitter (1) miteinander. Empfängt eine Nerzenzelle einen Reiz, sendet sie Neurotransmitter, zum Beispiel Dopamin, in den synaptischen Spalt (2). Diese docken sich an die Rezeptoren (3) der gegenüberliegenden Empfängerzelle (4) an. Bei einer Psychose oder Schizophrenie, so die Theorie, wird zu viel Dopamin ausgeschüttet, das Hirn mit Reizen überflutet. Es kann nicht mehr zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Die Folge: Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
Nervenzellen kommunizieren über Neuro-transmitter (1) miteinander. Empfängt eine Nerzenzelle einen Reiz, sendet sie Neurotransmitter, zum Beispiel Dopamin, in den synaptischen Spalt (2). Diese docken sich an die Rezeptoren (3) der gegenüberliegenden Empfängerzelle (4) an. Bei einer Psychose oder Schizophrenie, so die Theorie, wird zu viel Dopamin ausgeschüttet, das Hirn mit Reizen überflutet. Es kann nicht mehr zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Die Folge: Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
© Fabian Bartel

SYMPTOME Für die Betroffenen gerät das Leben aus den Fugen. Anstatt sich im Erwachsensein und im Berufsleben zu orientieren, quälen sie Angstzustände, sie verlieren die schulische oder berufliche Orientierung, vernachlässigen soziale Kontakte, ziehen sich zurück, sprechen kaum mehr mit Eltern oder Freunden. Dafür aber mit jenen „inneren Stimmen“, die nur sie hören und als real erleben. Eine Krankheitseinsicht, wie es die Experten nennen, ist in diesem Stadium oft nicht gegeben. Die „inneren Stimmen“ unterhalten sich freundschaftlich mit ihnen, weisen sie auf Fehler und Unzulänglichkeiten hin. Sie können ihnen aber auch schädliche Dinge einflüstern und sie zu Taten anstiften. Zudem treten Wahnvorstellungen auf, die Betroffenen fühlen sich etwa beobachtet und verfolgt, beziehen alltäglichste Dinge auf sich. Daneben kommt es auch zu Ich-Störungen: Die Abgrenzung zwischen Selbst und Umwelt wird unklar. Die Patienten haben dann das Gefühl, andere Menschen hätten Zugriff auf ihre Gedanken.

URSACHEN Während einer Psychose schüttet das Gehirn zu viel von dem Botenstoff Dopamin aus. Dadurch werden förmlich alle Schleusen geöffnet, das Gehirn mit Informationen und Reizen überflutet. Es kann nicht mehr zwischen wichtig und unwichtig, zwischen echt und unecht unterscheiden. Wahrnehmung ist gestört, Halluzinationen treten auf. Die konkreten Ursachen von Schizophrenie sind aber noch nicht vollständig geklärt. „Es gibt eine starke genetische Empfindlichkeit“, sagt Andreas Heinz. Eine psychische Krise baut sich meist über mehrere Jahre auf. Sie beginnt häufig mit Konzentrationsschwierigkeiten und schleichendem sozialen Rückzug - und mündet schließlich in eine akute Psychose. Dafür, dass während einer Krise tatsächlich Psychosen auftreten, können anhaltender Stress oder Drogenkonsum verantwortlich sein. „Früher ging man davon aus, dass Drogen und Alkohol Psychosen zwar verstärken, aber nicht auslösen können. Inzwischen ist man sich da nicht mehr so sicher - auch, weil die Menschen heute viel höhere Dosen konsumieren“, sagt Heinz.

DIAGNOSE Schizophrenie ist gar nicht so selten - und auch nicht unheilbar. Rund einer von hundert Deutschen erlebt mindestens einmal in seinem Leben eine schizophrene Episode. Meist tritt sie erstmals mit Anfang 20 auf. In dieser Lebensphase stehen große Aufgaben an, sie ist sehr offen und damit auch unsicher. Eine erste psychische Krise ist sehr gut behandelbar: In mehr als 80 Prozent der Fälle bilden sich die Symptome vollständig zurück. „Entscheidend für den Arzt ist nicht sein Eindruck, sondern das, was die Patienten selbst erzählen“, sagt Andreas Heinz. Also etwa, ob sie im Alltag nicht mehr klarkommen, weil viele Abläufe auf einmal fraglich erscheinen.

THERAPIE Nach der völligen Reizüberflutung ist das Gehirn überarbeitet, muss sich erholen. Die Betroffenen brauchen Ruhe, eine sichere und möglichst reizarme Umgebung. Keine herausfordernden oder anstrengenden Situationen. Stattdessen: ärztliche und therapeutische Hilfe. Denn unbehandelt liegt das Risiko, dass sich eine Psychose wiederholt, bei rund 80 Prozent. Zur Therapie gehören Sitzungen in Einzel- und Gruppengesprächen mit Gleichaltrigen sowie meist Medikamente, sogenannten Neuroleptika, in individueller Dosis. „Es hilft dem Einzelnen wenig, wenn er nur die Rolle von Dopamin versteht, das aber nicht auf sich beziehen kann“, meint Heinz. „Wichtig ist, dass jeder für sich herausfindet, was ihm guttut.“ In der Gruppentherapie ist Austausch ohne Stigmatisierung möglich. Die Patienten lernen, mit der Erkrankung umzugehen, die halluzinierten Stimmen zu kontrollieren, sich abzulenken, ein positives Selbstbild zu schaffen.

In Berlin bleiben sie im Durchschnitt drei Wochen in der Klinik. Die Verweildauer ist kurz, weil die Versorgung in den Bezirken in Form von ambulanter Pflege oder Begegnungsstätten inzwischen besser geworden ist. „Beim betreuten Wohnen steht Berlin sehr gut da“, sagt Andreas Heinz, „das Problem sind betreute Arbeitsplätze.“

Immer wieder kommt es vor, dass junge Erwachsene die Behandlung abbrechen. Weil sie Stigmatisierung fürchten oder mit den Nebenwirkungen der Neuroleptika nicht zurechtkommen, die zu einem Verlust der Libido und Übergewicht führen können. Sie verlassen dann oft die Klinik, sofern sie nicht auf richterliche Anweisung untergebracht sind, gegen den Rat der Ärzte. Doch draußen kehren Ängste und Verwirrung wieder. Viele kommen dann freiwillig zurück.

Nach dem regulären Klinikaufenthalt folgt eine ambulante Therapie, zu der weiterhin oft Medikamente gehören. „Wichtig ist, dass immer noch ein Ansprechpartner da ist“, so Heinz. Das kann der Hausarzt, eine Beratungsstelle oder ein Café sein. Ein Hauptziel ist, dass die Patienten zu Experten ihrer eigenen Erkrankung werden. Denn nur wer seine Krankheit kennt, kann sich Hilfe suchen. „Wir Ärzte kommunizieren offen unsere Sicht der Dinge“, sagt Andreas Heinz, „aber hören auch den Patienten aufmerksam zu.“ Ganz allgemein gilt: Rund ein Drittel der Betroffenen zeigt dauerhafte Symptome, ein weiteres Drittel erlebt nach der ersten schizophrenen Episode keine weitere mehr. Das letzte Drittel erlebt zwar immer wieder schizophrene Episoden, erholt sich von diesen aber auch immer wieder gut und führt ein selbstbestimmtes und „normales“ Leben.

Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.

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