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Arztbrief: Schilddrüsenvergrößerung

Unsere Expertin Mechthild Hermanns ist Oberärztin und Schilddrüsenspezialistin in der Klinik für Chirurgie der DRK Kliniken Berlin-Westend. Das Krankenhaus ist das von den niedergelassenen Ärzten Berlins für die Operation einer vergrößerten Schilddrüse am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).

ERKLÄRUNG „Die Schilddrüse ist das Gaspedal des Körpers“, sagt Mechthild Hermanns, Oberärztin der Chirurgie in den DRK Kliniken Berlin-Westend und eine der Schilddrüsen-Spezialisten im dortigen Operationsteam. Das Hormon, das von dem Organ produziert wird, reguliert den gesamten Stoffwechselhaushalt des Körpers.

Normalerweise ist die Schilddrüse, die sich auf beide Seiten des unteren Halsendes erstreckt, von außen unsichtbar. Doch tastbare Knoten oder sogar sichtbare Wölbungen am Hals deuten auf eine Schilddrüsenvergrößerung hin. Die Betroffenen fühlen sich unter Umständen dann am Hals beengt, manche spüren einen konstant anhaltenden Druck. Auch andauernde Heiserkeit und Schluckbeschwerden sind möglich.

Produziert die Schilddrüse zu viel Schilddrüsenhormon - Mediziner sprechen dann von einer Überfunktion -, kann das ebenfalls Krankheitssymptome auslösen.

Mehr als 100 000 Schilddrüsenoperationen werden hierzulande jedes Jahr durchgeführt. Das ist viel mehr als in den meisten vergleichbaren Industrieländern. Experten fordern deshalb eine bessere Vorsorge - zum Beispiel eine flächendeckend bessere Versorgung mit Jod.

Unsere Expertin Mechthild Hermanns ist Oberärztin und Schilddrüsenspezialistin in der Klinik für Chirurgie der DRK Kliniken Berlin-Westend. Das Krankenhaus ist das von den niedergelassenen Ärzten Berlins für die Operation einer vergrößerten Schilddrüse am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
Unsere Expertin Mechthild Hermanns ist Oberärztin und Schilddrüsenspezialistin in der Klinik für Chirurgie der DRK Kliniken Berlin-Westend. Das Krankenhaus ist das von den niedergelassenen Ärzten Berlins für die Operation einer vergrößerten Schilddrüse am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
© Fabian Bartel

SYMPTOME Eine Schilddrüsenüberfunktion macht sich im Stoffwechsel bemerkbar. Der Körper gerät durch das zu viel produzierte Schilddrüsenhormon aus der Balance. Starker ungewollter Gewichtsverlust kann die Folge sein. Außerdem neigen viele Betroffene zu Herzrasen, Durchfall, Haarausfall, Nervosität, Reizbarkeit und Schlafstörungen.

URSACHEN Eine Ursache für Erkrankungen der Schilddrüse ist ein Jodmangel. Da Jod in großen Mengen vor allem in Fisch, Meeresfrüchten und Seetang vorkommt, ist Jodmangel vor allem in meeresfernen Gegenden ein Problem. So ist eine sichtbare Schilddrüsenvergrößerung - die im Volksmund Kropf genannt wird - im Süden Deutschlands ausgeprägter als im Norden. Auslöser einer Vergrößerung der Schilddrüsen können aber auch Autoimmunkrankheiten sein, bei denen das Immunsystem die eigenen Körperzellen angreift.

Hinter einer Schilddrüsenüberfunktion kann oft die Basedowsche Krankheit stecken, bei der die Schilddrüse auf die Attacken des Immunsystems mit einer erhöhten Aktivität reagiert.

Und schließlich können auch Entzündungen oder eine genetische Veranlagung zu einer Vergrößerung und Überfunktion der Schilddrüse führen.

DIAGNOSE Der Hausarzt, Endokrinologe oder Nuklearmediziner untersucht die Schilddrüse mit einem Ultraschall, der Knoten und vernarbtes Gewebe sichtbar macht, und einer sogenannten Szintigrafie, mit der die „heißen Knoten“, die zu viel Schilddrüsenhormon produzieren, aufgespürt werden können. Dabei wird dem Patienten radioaktiv markiertes Technetium injiziert, das sich in der Schilddrüse anreichert und das dort am stärksten leuchtet, wo das meiste Hormon entsteht. Diese Areale können dann mit einer Spezialkamera, die die abgegebene Strahlung misst, sichtbar gemacht werden. Außerdem werden die Werte des Schilddrüsenhormons im Blut des Patienten bestimmt.

THERAPIE

Offene Operation: Wann ist die Operation einer vergrößerten Schilddrüse eigentlich nötig? Ein Knoten allein rechtfertige noch keinen Eingriff, sagt Oberärztin Hermanns. Aber wenn es mehrere Knoten sind, die auch noch schnell wachsen, sollte man eingreifen. Das Gleiche gilt, wenn die Knoten „heiß“ sind, also zu viel Hormon produzieren. Oder wenn das ganze Organ so stark vergrößert ist, dass es auf die Luftröhre drückt und das Atmen behindert. Und schließlich auch dann, wenn Krebsverdacht besteht. Dann geht der eigentlichen OP allerdings zunächst häufig eine Gewebeentnahme, eine Punktion, voraus.

Das Operationsgebiet ist den meisten Menschen in der Vorstellung unangenehm. Hier geht es um Schnitte in den Hals. Der Hautschnitt erfolgt quer verlaufend, knapp unterhalb des Kehlkopfes. Eingriffe am Hals sind diffizil, die Chirurgin trägt deshalb eine Lupenbrille. Denn bevor sie sich daranmachen kann, die Schilddrüse Schnitt für Schnitt zu lösen, muss sie Vorbereitungen treffen, um die beiden empfindlichen Stimmbandnerven zu schonen. Würden diese während der OP zu sehr gedehnt, müsste der Patient unter Umständen bis zu einem halben Jahr mit einer hartnäckigen Heiserkeit klarkommen. Würde ein Nerv gar durchtrennt, bliebe diese Heiserkeit bis zum Lebensende.

Um dieses Risiko zu mindern, setzt Hermanns auf eine neue Technik: eine kontinuierliche elektronische Überwachung des Nervs. Dazu wird ein kleiner Clip mit einem Kabel um den Nerv geklemmt. Dieser Clip leitet den winzigen Stromimpuls zu einem Computer, den eine Elektrode am Kehlkopf in den Nerv sendet. Zu hören ist der als regelmäßiges „tock-tock“.

Wird der Nerv zu sehr gedehnt, sinkt dessen Leitfähigkeit für den Impuls - der Computer schlägt Alarm. „Das erleichtert unsere Arbeit enorm, das regelmäßige Klicken beruhigt, denn es zeigt, es gibt keine Gefahr für den Nerv“, sagt Hermanns.

Bei jedem Tausendsten an der Schilddrüse operierten Patienten wird ein Stimmbandnerv tatsächlich versehentlich durchtrennt. Das sind in Berlin gerade fünf Menschen jährlich. Aber bei fünf bis zehn Prozent der pro Jahr 5000 in der Hauptstadt an der Schilddrüse operierten Patienten wird der Nerv so gereizt, dass sie für drei bis sechs Monate eine hartnäckige Heiserkeit plagt. „Aber das ist mit logopädischen Trainings gut behandelbar“, sagt Hermanns.

Die andere Schwierigkeit des Eingriffs sind die vier Nebenschilddrüsen, die nur deshalb so heißen, weil sie als kleine Drüsen direkt neben der Schilddrüse sitzen. Ansonsten haben die beiden Organe wenig miteinander gemein. Die Nebenschilddrüsen produzieren ein Hormon, das den Kalziumhaushalt des Organismus regelt. Werden diese verletzt oder ganz entfernt, kann das zum Problem werden. Die Betroffenen spüren dann zum Beispiel vorübergehend oder auch zum Teil dauerhaft ein Kribbeln in den Extremitäten. Wenn es von Dauer ist, ist das ein sehr ungutes Gefühl. Fünf Prozent der Operierten litten vorübergehend - also bis zu drei Wochen - darunter, ein Prozent sogar auf Dauer, sagt Hermanns.

Der Operateur beginnt bei totalen Schilddrüsenentfernungen immer mit dem größten oder dem (etwa wegen Krebsverdachts) problematischsten Teil. Denn wenn in einer Notsituation - etwa einer zu starken Reizung des Nervs - die Operation unterbrochen werden muss, ist die Hauptarbeit bereits getan. Der entfernte Teil der Schilddrüse wird in einen verschließbaren kleinen Plastikbecher verpackt und in die Pathologie geschickt. Routine bei Schilddrüsen-OPs. Der Pathologe durchsucht das entfernte Gewebe nach Krebszellen.

Früher habe man oft versucht, nur die Knoten herauszuschälen, sagt Hermanns. Das mache man inzwischen nicht mehr. „Heute nehmen wir entweder den kompletten verknoteten Teil heraus oder gleich das gesamte Organ.“ Denn so will der Arzt vermeiden, dass kleine Knoten später weiterwachsen und eine erneute Operation nötig wird.

Neben den allgemeinen OP-Risiken steigt bei einem Wiedereingriff die Gefahr für den Stimmbandnerv. Denn das nach dem ersten Eingriff vernarbte Gewebe macht es deutlich schwerer, ihn zu finden.

„Der Patient kann aber gut ohne Schilddrüse leben“, sagt die Chirurgin Hermanns. Mithilfe von Tabletten könne man das fehlende Schilddrüsenhormon gut ausgleichen.

Minimalinvasive Operation: Die Operation der Schilddrüse durch einen Schnitt in den Hals gilt als Standardbehandlung und findet unter Vollnarkose statt. Bei sehr kleinen Knoten sind minimalinvasive Operationen möglich, bei der Chirurgen durch kleine Schnitte mit langstieligen Instrumenten arbeiten.

Viele Frauen wollen jedoch die üblichen OP-Narben am Hals vermeiden und lassen ihre Schilddrüse trotz Empfehlung von Ärzten nicht entfernen. In einigen Kliniken kann ihnen inzwischen geholfen werden: Operation ja, Narben am Hals nein. Bei dem neuen Eingriff werden die Instrumente durch das Brustgewebe zur Schilddrüse geführt. Unter den Brustwarzen der Patientin wird die Haut mit je einem knapp einen Zentimeter langen Schnitt geöffnet.

Mit einer winzigen Kamera samt Präzisionslampe dringt der Operateur durch zuvor eingeführte Metallrohre bis zum Hals vor, pumpt ihn dann durch einen dünnen Schlauch auf. Durch die Metalltunnels bahnen sich schließlich Zange und Schere ihren Weg, die Schilddrüse wird zerkleinert und aus dem Körper gezogen. Statt am Hals hat man bei dieser Operationsmethode Narben an den Brustwarzen. Der kosmetische Vorteil muss allerdings mit einer größeren Operation und einem eventuell höheren Komplikationsrisiko bezahlt werden.

Therapie mit Radioaktivität: Eine oft angewandte Alternative zur Operation ist die sogenannte Radio-Jod-Therapie. Die Idee dahinter ist simpel: Die Schilddrüse ist das einzige Organ im Körper, das Jod speichert, um daraus die für viele Stoffwechselvorgänge wichtigen Schilddrüsenhormone zu bilden. Wird nun radioaktives Jod geschluckt, dann sammelt es sich nur in dem Organ an und entfaltet dort die zerstörerische Wirkung auf die überaktiven Knoten im Gewebe, die einerseits für die Vergrößerung der Schilddrüse verantwortlich sind, vor allem aber für die Überproduktion an Hormonen. Der Rest des Organismus bleibt fast unbelastet von der Radioaktivität.

Die von dem radioaktiven Jodisotop abgegebene Strahlung löst eine Entzündung in den überaktiven, vergrößerten Arealen der Schilddrüse - den heißen und warmen Knoten - aus. Danach vernarbt das Gewebe und bildet sich zurück. Bei etwa zehn Prozent der Kranken ist eine zweite Therapierunde nötig.

Der Zeitpunkt der Entlassung aus der Klinik hängt weniger vom Erfolg ab - frühestens nach vier Wochen ist erkennbar, ob die Knoten sich zurückbilden - als vielmehr von der Strahlenbelastung der Umgebung durch den Radiojod-Patienten. Faustregel: Wenn der Grenzwert unterschritten ist, darf man gehen. Das kann zwischen drei Tagen und zwei Wochen dauern.

Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.

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