Gesundheit: Rückenschmerzen: Erlösung vom Kreuzweh
Man stirbt nicht dran, aber man kann ein Leben lang daran leiden - an Rückenschmerzen. Vier von fünf Deutschen hatten sie schon.
Man stirbt nicht dran, aber man kann ein Leben lang daran leiden - an Rückenschmerzen. Vier von fünf Deutschen hatten sie schon. Sie sind der zweithäufigste Anlass, ärztlichen Rat zu suchen. Fast jedes dritte Schmerzempfinden geht vom Rücken aus. Bei etwa jedem zehnten Betroffenen werden die Schmerzen chronisch; sie sind der Grund für jede fünfte Frühberentung. Obendrein kosten sie 35 Milliarden Mark im Jahr; zwei Drittel davon sind indirekte Kosten, vor allem durch Arbeitsausfälle.
Und ausgerechnet bei dieser weit verbreiteten "Volkskrankheit" fehlt den meisten gängigen Behandlungsverfahren der wissenschaftliche Nachweis ihrer Wirksamkeit. Die Behandlung ist aber derzeit im Umbruch, wie sich kürzlich auf dem Deutschen Schmerzkongress in Berlin zeigte. Demnach gibt es wesentliche Veränderungen der heute vielfach noch üblichen Therapie.
Aktivität statt Schonung
Dies geht darauf zurück, dass der Rückenschmerz nicht mehr nur auf eine einzige Ursache, etwa auf den Verschleiß der Wirbelsäule, zurückgeführt wird, sondern dass mehrere Einflüsse, körperlicher, seelischer und auch sozialer Art erkannt werden. Dies hat Folgen für die Therapie, bei der jetzt aktives Training dominiert, statt, wie bisher, eher passive Behandlung und Schonung. Meist sind Rückenschmerzen so harmlos wie eine Erkältung und verschwinden auch genauso rasch, mit oder ohne Behandlung. Die ist erst nötig, wenn der Schmerz nicht weichen will. International anerkannt, weil in ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich belegt, ist heute die "multimodale" Therapie. Dabei wird die Belastungsfähigkeit des Rückenpatienten mit verschiedenen aufeinander abgestimmten Methoden gefördert.
Beim Göttinger Rücken-Intensiv-Programm kommen die Patienten zum Beispiel vier Wochen lang an jeweils fünf Tagen von acht bis halb drei zur Gruppentherapie. (Für Arbeitsfähige gibt es ein berufsbegleitendes Programm.) Sie umfasst sportliches Training vor allem der Kraft, aber auch der Ausdauer, Beweglichkeit und Koordination ohne viel Rücksicht auf den Schmerz. Hinzu kommen psychologische Schmerzbehandlung, Entspannungsübungen und eine auf den Arbeitsalltag bezogene Therapie.
Massieren oder operieren?
Das Programm ist offenbar sehr erfolgreich, wenn dies auch wissenschaftlich noch nicht bestätigt ist. Eine kontrollierte Studie läuft jetzt im Rahmen des vom Bundesforschungsministeriums geförderten Deutschen Rückenschmerz-Forschungsverbundes. Bei anderen Projekten dieses Netzwerks werden passive Behandlungsformen wie bestimmte Massagetechniken mit aktiven physiotherapeutischen Verfahren verglichen, weil laut Hildebrandt "noch immer unklar ist, welche physikalischen Maßnahmen bei Rehabilitations-Behandlungen von Rückenschmerzen effektiv sind".
Eine kontrollierte Studie soll zeigen, ob sogar solche akuten Rückenschmerzen, bei denen durch eine verschobene Bandscheibe eine Nervenwurzel irritiert ist, besser nach dem geschilderten Verfahren oder durch eine Operation zu behandeln sind. Einig sind sich die Fachleute darin, dass zu viel - und oft vergeblich - operiert wird.
Wichtig ist es zu verhindern, dass akuter Rückenschmerz chronisch wird. Entscheidend ist das Verhalten des Arztes beim ersten Kontakt mit dem Patienten. Dem Rückenleidenden sollte vor allem klar werden,dass es sich in der Regel nicht um eine schwere Krankheit handelt, sondern um eine funktionelle Störung, die von der Psyche psychisch stark beeinflusst wird.
Die Bedeutung der früher oft ignorierten psychosozialen Einflüsse für die Chronifizierung des Kreuzschmerzes erläuterten Monika Hasenbring (Universität Bochum) und Claus Derra (BfA-Klinik Bad Mergentheim). Zu viel Stress und Konflikte am Arbeitsplatz können zum Beispiel bewirken, dass man "den Rücken steif hält". Wie ein Experiment an der Universität Bochum ergab, steigert schon die kurze Schilderung einer belastenden Situation bei Patienten, die an Rückenschmerz leiden, die Muskelspannung im Kreuz messbar.
Chronisch rückenleidend wird man auch durch ständige Schonung aus Furcht vor Schmerz, denn durch passives Verhalten bildet sich die Muskulatur zurück und schmerzt dann oft schon bei normaler Belastung. Schädlich ist es aber auch, starke Schmerzen zu ignorieren und um jeden Preis durchhalten zu wollen. Da kann sich die verkrampfte Muskulatur auch am Feierabend nicht mehr entspannen. Also ein bisschen Schonung soll schon sein, aber so kurz wie möglich. Wer trotz akuter Kreuzschmerzen arbeitet, ist eher wieder fit als wer sich gleich fünf, sechs Tage hinlegt und sich wie auch immer behandeln lässt.
Auch sollte man sich nicht von den - meist überflüssigen - Röntgen- und Computertomografie-Bildern seiner verformten Wirbelsäule schrecken lassen. Groteske Zacken und selbst vorgefallene Bandscheiben müssen nicht immer Beschwerden verursachen. Zwei von drei Menschen, die sich gesund fühlen, haben degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, sagt der Berliner Sporttherapeut Martin Brink. Er ermuntert die "Kreuzlahmen" zu sportlichen Aktivitäten nach eigener Wahl und ohne allzu viel Vorsicht. Er warnte aber vor dem einseitigen Krafttraining in Fitness-Studios und vor - "Rückenschulen".
"Die klassische Rückenschule ist out", meinte auch Hildebrandt. Dort zog man, so Brink, "unsinnige Schlüsse aus alten Messungen des Bandscheiben-Innendrucks, die sich inzwischen als falsch erwiesen. Es stimmt zum Beispiel nicht, dass Sitzen die Wirbelsäule stärker belastet als Stehen. Langes Stehen aber schadet dem Rücken genauso wie langes Sitzen.
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