Arztbrief: Prostatakrebs
Unser Experte Mario Zacharias ist Chefarzt der Klinik für Urologie im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg. Die Klinik ist das von den niedergelassenen Urologen Berlins für die stationäre Behandlung eines Prostatakrebses am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
ERKLÄRUNG Die Prostata - auch Vorsteherdrüse genannt - ist ein männliches Geschlechtsorgan, das die Harnröhre umschließt und einen Teil der Samenflüssigkeit produziert. Die Muskelzellen der Drüse sorgen beim Orgasmus dafür, dass das Ejakulat mit ausreichend Druck die Harnröhre verlässt. Außerdem reguliert die Prostata das Wasserlassen und den Hormonhaushalt. Ein Tumor in der Vorsteherdrüse kann die sexuelle Leistungsfähigkeit und das Urinieren erheblich behindern. Im schlimmsten Fall drohen Impotenz, Inkontinenz und letztlich der Tod. Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung beim Mann.
SYMPTOME Der Prostatakrebs wächst lange, ohne Beschwerden auszulösen. Doch nur selten bleibt es bei diesem bösartigen Geschwür bei solch relativ einfachen Problemen wie häufigem Harndrang, Schmerzen beim Wasserlassen und Erektionsstörungen. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu Blut im Urin und in der Samenflüssigkeit. Zudem kann der Tumor die Knochen und nahe der Prostata gelegene Lymphknoten befallen.
URSACHEN Die genauen Ursachen von Prostatakrebs sind noch nicht bekannt. Vermutlich spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. „Studien zeigen, dass in China lebende Männer kaum von dem Karzinom betroffen sind“, sagt Mario Zacharias, Chefarzt der Urologie am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum. „Wandern sie allerdings in die USA aus, können auch sie am Prostatakrebs erkranken.“ Krebsforscher vermuten deshalb, dass die Ernährung eine wichtige Rolle bei der Entstehung des Tumors spielt. Im Verdacht stehen tierische Eiweiße, wie sie im roten Fleisch enthalten sind, und tierische, gesättigte Fette. Vermutet wird auch, dass sich die UV-Strahlung der Sonne zur Krebsvorbeugung positiv auswirkt, weil sie die Vitamin-D-Produktion in der Haut fördert. Dieses wiederum soll vor dem Prostatakrebs schützen. Auch das Alter ist ein Risikofaktor. Sind vor dem 45. Lebensjahr nur wenige Männer betroffen, nimmt die Häufigkeit des Karzinoms im Alter stark zu. Das Risiko für eine Erkrankung steigt, wenn in der Familie ein Verwandter ersten Grades bereits an Prostatakrebs erkrankt ist.
Vorsorgeuntersuchung In Deutschland können sich Männer ab dem 45. Lebensjahr einmal jährlich auf Prostatakrebs untersuchen lassen, so sieht es das gesetzliche Früherkennungsprogramm vor. „Männer, deren Vater bereits an einem Prostatakrebs litt, sollten sich schon ab 40 Jahren regelmäßig untersuchen lassen“, rät Chefarzt Zacharias.
Bei der Untersuchung tastet der Arzt mit dem Finger die Prostata vom Enddarm aus ab - Mediziner sprechen von der digitalen (von lateinisch „digitus“ für Finger) rektalen Untersuchung. Unregelmäßigkeiten und größere Verhärtungen, die den Verdacht auf ein Karzinom nahelegen, sind bei dieser Untersuchung spürbar. Doch gerade kleine Tumoren fallen bei der Tastuntersuchung oft nicht auf. Laut dem Robert Koch-Institut werden gerade mal zwei bis fünf Prozent der Tumore so erkannt. Und nur die Hälfte der so gefundenen Karzinome kann dann noch geheilt werden.
Denn je früher Prostatakrebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Deshalb empfehlen viele Mediziner Männern ab dem 45. Lebensjahr, ihren PSA-Wert zu kennen. PSA steht für Prostata-spezifisches Antigen und dient Ärzten als Hinweis auf einen Prostatakrebs. „Der PSA-Test ist immer noch unsere schärfste Waffe im Kampf gegen den Krebs“, sagt Chefarzt Zacharias. Doch dieses Instrument habe auch Tücken: Weder kann ein niedriger Wert einen Krebs sicher ausschließen noch bedeutet ein hoher PSA-Wert automatisch Krebs. Verdächtig sind eine schnell ansteigende Blutkonzentration des Stoffes oder erhöhte Werte - sie müssen aber nichts bedeuten, da die PSA-Konzentration durch Entzündungen, Sex oder Stöße gegen die Prostata erhöht werden kann. Ein positiver PSA-Test birgt neben diesem Risiko einer falsch positiven Diagnose auch das Risiko einer Überdiagnose: Experten schätzen, dass rund die Hälfte aller aufgespürten Karzinome keine Beschwerden verursachen würden. In diesem Falle ist also Nichtwissen ein Segen, denn die psychischen Belastungen des Befunds könnten dem Patienten erspart bleiben. Fachgesellschaften empfehlen deshalb kein flächendeckendes PSA-Screening und die Kassen zahlen die anfallenden Kosten von 25 bis 35 Euro auch nicht. Chefarzt Zacharias rät trotzdem und „unbedingt“ dazu, regelmäßig den PSA-Wert bestimmen zu lassen: „Den Krebs rechtzeitig zu entdecken, kann Leben retten.“
Wer glaubt, dass er erblich vorbelastet ist, kann sich an spezielle humangenetische Beratungsstellen wenden. Dort wird ermittelt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, ebenfalls an Prostatakrebs zu erkranken. Zu beachten ist: Prostatakrebs kann sowohl durch den Vater als auch durch die Mutter weitervererbt werden. Aus diesem Grund sollten Ratsuchende bei den Familien beider Elternteile nachforschen, ob deren Brüder oder Väter an Prostatakrebs erkrankt sind.
DIAGNOSTIK Die Basisuntersuchungen bei Krebsverdacht und zum Ausschluss anderer Erkrankungen können bei fast allen Männern ambulant durchgeführt werden, ein Krankenhausaufenthalt ist dazu in der Regel nicht erforderlich.
Um verdächtige Symptome, Ergebnisse der Tastuntersuchungen oder PSA-Werte abzuklären, müssen Pathologen Gewebe aus der Prostata entnehmen. Bei der sogenannten Biopsie wird dazu vom Enddarm aus eine Stanznadel in die Vorsteherdrüse gestochen. Dadurch gewinnt der Arzt zehn bis zwölf Gewebeproben. An der Spitze des fingerdicken Gerätes sitzt eine Ultraschallsonde - Mediziner sprechen vom transrektalen Ultraschall, kurz TRUS. Sie ermöglicht es, gezielt Gewebe aus der Prostata zu holen. Auch bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) werden mit dem TRUS kombiniert. „So können wir den Krebs präziser lokalisieren und noch zielgenauer Krebszellen für eine Biopsie entnehmen“, sagt Zacharias. Im Labor wird unter dem Mikroskop nicht nur bestimmt, ob Krebszellen enthalten sind, sondern auch in welchem Stadium sich der Krebs befindet und wie aggressiv er wächst. Das sind entscheidende Informationen für die weitere Behandlungsplanung. Obwohl an zahlreichen Alternativverfahren gearbeitet wird, lasse sich eine Biopsie wegen ihrer Aussagekraft bisher nicht ersetzen.
Bildgebende Verfahren werden auch nach der Therapie des Prostatakrebses eingesetzt, um den Behandlungserfolg zu überprüfen. „Nach einer Krebsbehandlung kontrollieren wir beispielsweise mit einem PET-CT, ob sich Tumorzellen nach einer Operation oder Bestrahlung bei wieder steigendem PSA-Wert ansammeln“, sagt Zacharias. PET-CT steht für Positronen-Emissions-Tomografie und Computertomografie. Dabei wird den Patienten ein Radiopharmakon, also eine schwach radioaktiv markierte Substanz verabreicht, die sich besonders in den Krebszellen anreichert. In den anschließenden CT-Aufnahmen sind die so markierten Tumorzellen dann gut sichtbar.
THERAPIE Bei sehr langsam wachsenden Tumoren in einem frühen Stadium können Abwarten und Beobachten die beste Therapiewahl sein. Das Tumorwachstum wird dann mit engmaschigen Kontrollen des PSA-Wertes und Biopsien „aktiv überwacht“.
Operation. Wird der Krebs im Frühstadium entdeckt, wenn er noch auf die Prostata beschränkt ist, zielt die Therapie auf Heilung ab - in der Regel durch eine operative Entfernung der Prostata oder durch eine Strahlentherapie. „Wichtig ist, die Therapie immer auf die Wünsche und Lebensumstände des Patienten abzustimmen“, sagt Zacharias.
Ist der Tumor lokal begrenzt, ohne erkennbare Metastasen gebildet zu haben, kann er operativ entfernt werden. Um das Karzinom vollständig zu erwischen, muss nach derzeitigem Stand der Medizin die gesamte Vorsteherdrüse herausoperiert werden. Der Erfolg dieses Eingriffs und mögliche Komplikationen hängen stark davon ab, über welche Erfahrung der Operateur verfügt. Ein Indiz dafür ist die Anzahl der Prostatakrebsoperationen, die ein Chirurg jährlich operiert (siehe Tabelle). Denn werden Muskeln oder die entlang der Prostata verlaufenden Nervenbündel verletzt, drohen Nebenwirkungen: Je nach Erfahrung des Chirurgen und Krankheitsstadium können zwischen drei und sieben Prozent der Patienten, deren Prostata wegen Krebs entfernt wurde, nach einer Operation den Schließmuskel ihrer Blase nicht mehr vollständig kontrollieren - sie bleiben auf Dauer inkontinent. Auch die Erektionsfähigkeit kann betroffen sein. 20 bis 40 Prozent der Männer bleiben dauerhaft impotent. „Ein guter Chirurg kämpft um jeden Nerv“, sagt Chefarzt Mario Zacharias. Ist der Nerv allerdings mit Krebszellen befallen, muss er raus, um das Leben des Patienten zu schützen.
Trotz der Risiken sollte „eine Operation immer als erster Schritt für die Behandlung in Betracht gezogen werden“, sagt der Chefarzt. Danach bliebe die Alternative, das kranke Organ zu bestrahlen, immer noch als zweite Option, falls der Krebs zurückkehrt. Umgekehrt sei das nicht so: Nach einer Strahlentherapie kann im Falle eines wiederkehrenden Tumors nicht mehr gut operiert werden, weil das Gewebe durch die Behandlung zu sehr geschädigt ist und nur schlecht heilen würde.
Bestrahlung. Ziel der Strahlentherapie ist es, die Krebszellen durch Strahlen so stark zu schädigen, dass sie absterben. Das gesunde Gewebe soll dabei geschont werden. Die häufigste Methode ist dabei die Bestrahlung von außen, die Mediziner als „perkutane Radiotherapie“ bezeichnen. Daneben kann man die Prostata in frühen Krebsstadien auch von innen bestrahlen. Hierzu werden kleine radioaktive Stifte (Seeds) in das Organ gepflanzt, die erst allmählich ihre Wirkung entfalten. Das ist durchaus ein Plus für die Lebensqualität. Denn für die Seeds-Implantation ist nur ein Termin nötig. Die Bestrahlung der Prostata von außen hingegen muss an fünf Tagen der Woche stattfinden - und das acht Wochen lang. Allerdings ist die Seeds-Behandlung oft mit Irritationen der Blasenfunktion verbunden, die jedoch nur selten zu einer dauerhaften Inkontinenz führen.
Die Erektionsfähigkeit bleibt bei dieser Therapie zunächst erhalten. Doch durch die Gewebeschäden infolge der radioaktiven Strahlenbehandlung nimmt sie langsam ab. Rund die Hälfte der bestrahlten Männer leidet später unter Erektionsproblemen, die jedoch mit Medikamenten behandelt werden können. Der Totalverlust der Potenz ist bei der Strahlentherapie im Vergleich zur Operation seltener.
Eine neue Form der Strahlenanwendung ist der „hochintensive fokussierte Ultraschall“ - kurz HIFU. Die eigentlich aufgrund ihres geringen Energieniveaus ungefährlichen Ultraschallwellen werden in dem Zielgebiet gebündelt. Dort nimmt das Gewebe die Energie auf und erwärmt sich auf über 65 Grad Celsius, wodurch es zerstört wird. Dazu wird die Ultraschallsonde in den Enddarm eingeführt. Das zwischen Schallquelle und dem Krebs liegende Gewebe wird kaum belastet.
Trotzdem ist auch dieser Eingriff nicht schmerz- und nebenwirkungsfrei. Die Hitzeeinwirkung lässt das Gewebe mehrere Tage anschwellen, sodass ein Blasenkatheter notwendig wird, um urinieren zu können. Rund ein Drittel der Patienten wird vorübergehend inkontinent. Jeder Zweite verliert die Erektionsfähigkeit. „Bisher gibt es keine ausreichenden Langzeitstudien, um den Nutzen der HIFU-Therapie einschätzen zu können“, sagt Urologie-Chefarzt Zacharias. „Außerdem kann das Verfahren nur bei sehr kleinen und in der Prostata lokal begrenzten Karzinomen angewandt werden.“ Doch das treffe auf 90 Prozent der Tumoren eben nicht zu, sie wuchern an mehreren Stellen der Prostata.
Hormon- und Chemotherapie. Wuchert der Tumor bereits in umliegendem Gewebe oder haben sich Metastasen in benachbarten Lymphknoten gebildet, können Operation oder Bestrahlung allein den Krebs nicht mehr heilen. Mediziner greifen dann zu zusätzlichen Behandlungsformen, die nicht nur in der Prostata, sondern im ganzen Körper wirken: Bei der Hormontherapie wird das männliche Hormon Testosteron, das das Prostatakrebswachstum entscheidend steuert, unterbunden. Wächst der Prostatakrebs trotz Hormonbehandlung weiter, bleibt oft nur noch die Chemotherapie. Bei dieser Behandlung geht es nicht mehr um Heilung, sondern darum, das Leben zu verlängern. Die Heilungschancen sind sehr gering. „Die Behandlung gelingt aber heute bei recht gut verträglichen Substanzen besser als noch vor fünf Jahren“, sagt Zacharias. Chemotherapien arbeiten mit sogenannten Zytostatika. Das sind Zellgifte, die Stoffwechselvorgänge behindern und so das Zellwachstum verlangsamen. Das betrifft erst einmal alle Körperzellen. Aber: Das Wachstum der Tumorzelle wird stärker gehemmt als das der gesunden Zellen.
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