Arztbrief: Nierensteine & Nierenkolik
Unser Experte Martin Kuhlmann ist Chefarzt der Nephrologie am Vivantes Klinikum im Friedrichshain. Die Klinik ist das von den niedergelassenen Urologen Berlins für die stationäre Behandlung von Nierensteinen am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
ERKLÄRUNG Nierensteine bilden sich aus normalerweise gelösten Bestandteilen des Urins, die sich als zunächst kleine Kristalle ablagern und mit der Zeit zu größeren Klumpen heranwachsen - Mediziner sprechen von sogenannten Konkrementen. Wenn sich die Ablagerungen lösen und nach unten in Richtung Blase wandern, werden aus den Nierensteinen Harnleitersteine, die extrem schmerzhafte Koliken verursachen können. „Etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung bilden im Laufe des Lebens einen Nierenstein aus“, sagt Martin Kuhlmann, Chefarzt der Abteilung für Nephrologie (Nierenheilkunde) im Vivantes Klinikum im Friedrichshain. Männer sind dreimal so häufig betroffen wie Frauen.
URSACHEN Nierensteine sind eine Zivilisationskrankheit und damit ein Tribut an Wohlstand und Überfluss: Überernährung, Übergewicht (Adipositas), Alkohol und zu viel tierische Eiweiße fördern das mitunter extrem schmerzhafte Leiden. „Kochsalz spielt - anders als häufig behauptet - keine so bedeutende Rolle“, sagt Kuhlmann. Nierensteine bilden sich aus mit der Nahrung aufgenommenen Mineralien, die sich besonders in konzentriertem Urin ablagern. Deshalb raten Mediziner Betroffenen dazu, täglich zwei bis drei Liter Flüssigkeit - vor allem Wasser - zu trinken, um Nieren und Harnwege regelmäßig gut durchzuspülen.
SYMPTOME Nieren- und Harnleitersteine können lange unbemerkt bleiben. Zunächst bilden sich meist unproblematische Grieskörner oder kleinere Steinchen, die wenn überhaupt nur durch Zufall bei einer medizinischen Untersuchung entdeckt werden. Erst wenn die Ablagerungen zu größeren Steinen heranwachsen und sich lösen - also in den Nieren- und Harnwegen zu wandern beginnen -, werden sie gefährlich. Geraten größere Steine in den Harnleiter, können sie heftigste Beschwerden auslösen. Der betroffene Harnleiter verkrampft, um den Nierenstein abwärtszubefördern - und verursacht die starken, krampfartigen Schmerzen einer Nierenkolik, die bis hin zu den Genitalien, den Oberschenkeln und Leisten ausstrahlen können. Es heißt, sie glichen in der Intensität dem Geburtsschmerz. Einige Ärzte und Betroffene gehen noch weiter und sprechen vom sogenannten Vernichtungsschmerz, der so heftig ist, dass die Betroffenen um ihr Leben fürchten. „Die größte Gefahr stellt eine lebensgefährliche Urosepsis, eine Blutvergiftung mit Bakterien aus dem Urogenitaltrakt, dar“, sagt Kuhlmann. Wenn ein Stein den Harnleiter verstopft und so verhindert, dass der Harn abfließt, kann es passieren, dass aus dem in der Niere aufgestauten Urin Bakterien in die Blutbahn übertreten. Erste Anzeichen dafür sind Unwohlsein, Fieber und Schüttelfrost. „Eine Urosepsis ist potenziell tödlich und muss in einem Krankenhaus antibakteriell behandelt werden“, sagt Kuhlmann.
DIAGNOSE Zunächst prüfen Ärzte, ob die typischen Nierenstein-Symptome von anderen Krankheiten wie Gallensteinen, gynäkologischen Erkrankungen oder einer Blinddarmentzündung verursacht werden. Um mögliche Blutungen und Harnwegsinfektionen zu diagnostizieren, untersuchen Ärzte den Mittelstrahlurin. Dabei lässt der Patient erst ein wenig Harn, um die Harnröhre durchzuspülen. Erst danach wird der Urin als Probe aufgefangen. Weitere Urintests zeigen, ob die Nieren geschädigt wurden und wie gut sie noch Giftstoffe aus dem Blut filtrieren.
Um Lage und Größe der Harnsteine zu bestimmen, werden verschiedene bildgebende Verfahren eingesetzt, die die Harnsteine je nach Zusammensetzung unterschiedlich gut darstellen können. „Die häufigste Steinart besteht aus Kalziumsalzen, die im konventionellen Röntgen sehr gut zu sehen sind“, sagt Kuhlmann. Bei den sogenannten Wohlstandssteinen aus Harnsäure ist hingegen eine Computertomografie (CT) notwendig, um sie zu diagnostizieren. Daneben wird auch der Ultraschall, die sogenannte Sonografie, eingesetzt. „In unserem Nierensteinlabor analysieren wir nach einer Entfernung oder dem natürlichen Abgang die Zusammensetzung der Steine, um gezielt einer neuen Steinbildung vorzubeugen“, sagt der Chefarzt.
BEHANDLUNG „Bei der Therapie von Nierensteinen müssen Urologen und Nephrologen Hand in Hand arbeiten“, sagt Kuhlmann. Wenn der Harnleiter nicht verschlossen ist und kein Urinstau droht, können sogenannte konservative Verfahren den natürlichen Abgang der Steine unterstützen. Wärme durch Bäder oder Umschläge, Auf- und Abbewegungen wie Treppensteigen oder Hüpfen und viel Flüssigkeit sollen dabei helfen, den Stein aus dem Körper zu spülen.
„Wenn allerdings Infektionen und Urinstau drohen oder die Koliken zu schmerzhaft sind, muss der Stein aktiv entfernt werden“, sagt Kuhlmann.
Bei einem Harnstau legen Urologen zunächst eine Harnleiterschiene. Das ist ein rund 28 Zentimeter langer Silikonschlauch, der von der Blase in die Niere reicht und mit Löchern versehen ist. Durch diese Löcher gelangt der in der Niere aufgestaute Urin in den Schlauch und kann an dem Stein vorbei in die Blase ablaufen. Dadurch verringert sich der Druck auf die Niere, die Schmerzen lassen nach. Außerdem weitet die Schiene den Harnleiter, sodass bei einer anschließenden Operation größere Steinfragmente entfernt werden können, ohne ihn zu verletzen. Die Harnleiterschiene verbleibt auch nach der OP eine Zeit lang im Körper, um die Harnröhre zu stabilisieren und den Abfluss von Steinresten zu erleichtern. Gegen einen Bakterienbefall und eine drohende Urosepsis geben die Mediziner Antibiotika.
Mittlerweile werden Nierensteine fast immer endoskopisch entfernt. Das bedeutet, dass Urologen eine Harnleiterspiegelung vornehmen und dabei den natürlichen Weg über die Harnröhre und die Blase nutzen, um an den Stein im Harnleiter oder Nierenbecken zu gelangen, den sie im Ganzen oder durch einen Laser zerkleinert entfernen. Mediziner bezeichnen dieses Verfahren als minimalinvasiv, da keine Hautschnitte nötig sind und der Patient die Klinik schneller verlassen kann. „Durch eine offene Operation werden Nierensteine nur noch sehr selten entfernt, beispielsweise wenn die Niere von sogenannten Ausgusssteinen komplett ausgefüllt wird“, sagt Kuhlmann.
Eine andere Option ist die externe Schockwellentherapie. Schockwellen sind eine Art verstärkter Schallwellen, die durch die Körperschichten dringen und erst dann ihre Energie freisetzen, wenn sie auf den Nierenstein treffen. Steine, die nicht größer als zwei Zentimeter sind, können so in der Niere zertrümmert werden. „Die Schockwellentherapie ist allerdings nicht immer zielgenau und zerberstende Steine können das Nierengewebe verletzen.“ Jeder dritte Patient leidet nach einem solchen Eingriff unter Koliken, die durch die abgehenden Steintrümmer verursacht werden. „Im Vergleich sind endoskopische Verfahren schonender.“
Vorbeugung Unabhängig davon, auf welche Weise ein Nieren- oder Harnleiterstein den Körper verlässt: Sobald er draußen ist, sollte er zur Analyse ins Labor. Denn seine Zusammensetzung kann Hinweise darauf geben, was die Betroffenen tun können, um eine erneute Steinbildung zu vermeiden. Grundsätzlich sollten tierisches Eiweiß und Fett nur in Maßen konsumiert werden. Übergewicht, auch ein Risikofaktor, kann man durch ausreichend Bewegung und eine ausgewogene, beispielsweise mediterrane Kost entgegenwirken. Da sich Harn- und Nierensteine besonders in konzentriertem Urin bilden, sollte man mindestens zwei bis drei Liter Wasser am Tag trinken - bei schweißtreibendem Sport oder einem Saunagang entsprechend mehr. „Bier ist entgegen einer weitverbreiteten Annahme übrigens kein gutes Getränk, um die Nieren und Harnwege durchzuspülen“, sagt Nephrologe Kuhlmann. Im Gegenteil: „Bier fördert die Bildung von Harnsäuresteinen.“
Die Redaktion des Magazins "Tagesspiegel Kliniken Berlin 2016" hat die Berliner Kliniken, die diese Erkrankung behandeln, verglichen. Dazu wurden die Behandlungszahlen, die Krankenhausempfehlungen der ambulanten Ärzte und die Patientenzufriedenheit in übersichtlichen Tabellen zusammengestellt, um den Patienten die Klinikwahl zu erleichtern. Das Magazin kostet 12,80 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel Shop.