Gesundheit: Nanosoldaten aus dem Labor
Es gibt keinen Krieg ohne Wissenschaft – bleibt da noch Platz für die Moral?
„Was will man von einer Regierung erwarten“, schreibt ein wütender Leser diese Woche dem „Spiegel“, „bei der die Bomben intelligenter sind als die Regierenden?“ Ob diese Einschätzung richtig ist, sei dahingestellt. Unbestritten ist: Es steckt tatsächlich viel „Intelligenz“ in den Cruise Missiles oder in den unbemannten, nanobeschichteten Dronen, die aus dem modernen Krieg nicht mehr wegzudenken sind. Wie stark sind Forschung und Militär miteinander verknüpft?
Der Präsident der Humboldt-Stiftung, Wolfgang Frühwald, antwortet auf die Frage mit einer Geschichte. Bei einer Reise nach Indien wurde ihm vom Rektor einer der größten Universitäten des Landes das wissenschaftliche Forschungsprogramm vorgestellt: Das Modell eines neuen, selbst gebauten Kampfbombers. An diesem Flugzeug könne man alle wissenschaftlichen Fragen studieren, die die indischen Forscher zur Zeit interessierten. Strömungsmechanik, Oberflächen- und Materialforschung, Datenverarbeitung mit Hilfe von Lichtleitern, elektronische Steuerungen – beim Bau eines solchen Fliegers ist alles mit drin. „Die Inder machen dabei hervorragende Wissenschaft“, sagt Frühwald, „und in keinem anderen Experiment ist die Beanspruchung für das wissenschaftliche Material größer als im Krieg.“
Auch jenseits des Atlantiks sind Wissenschaft und Militär symbiotisch verbunden. Im vergangenen Frühjahr mobilisierte die US-Armee einen Stab Wissenschaftler, um, ausgestattet mit 50 Millionen Dollar, am Massachusetts Institute of Technology, das „Institute for Soldier Nanotechnologies“ zu gründen. Mit Hilfe der Nanotechnologie soll dort in den nächsten Jahren der perfekt getarnte, unverwundbare und sich selbst heilende Kämpfer präsentiert werden. Ein „Exoskelett“ wie beim „Terminator“, ein Anzug aus Nanostoff, soll dem Soldat der Zukunft die Tarnfähigkeit eines Chamäleons verleihen, soll schusssicher sein und im Notfall erste Hilfe leisten. Als Nebenprodukte der kriegerischen Anwendungen könnten neuartige Prothesen oder Medikamente entstehen.
Umgekehrt nutzt das Militär selbstverständlich auch die Grundlagenforschung – das geht bis hin zu Einsteins Relativitätstheorie. Nahezu zwölf Kilometer würde ein Satellit pro Tag aus der Bahn „eiern“, wenn diese nicht mit relativistischem Formelwerk bestimmt wäre. Dementsprechend ungenau flögen die Raketen.
Wo liegt die Grenze zwischen Grundlagenforschung und militärischer Anwendung? In den USA gibt es seit über 30 Jahren die „Union of Concerned Scientists“, eine Vereinigung von Wissenschaftlern, die Entwicklungen in ihren Disziplinen kritisch verfolgen und versuchen, auf problematische Fragen aufmerksam zu machen. Ein möglicher Ausweg für die über 60000 Mitglieder: Sie können sich selbst verpflichten, auf Militärgelder in ihrer Forschung zu verzichten. Im Konflikt um das von Ronald Reagan forcierte Raketenschild im All – dem „Star Wars“ wie er spöttisch genannt wurde – sind diesem Aufruf viele gefolgt. Nicht wenige von ihnen haben ihre Unterschrift teuer bezahlt: mit finanziellen Nachteilen für Institutsausstattung, Karriere und Forschungsergebnisse.
„Der falsche Weg“, findet Wolfgang Frühwald, weil man das Kind mit dem Bade ausschüttet. Das gilt heute in ganz besonderem Maße: Wurde die Grundlagenforschung früher erst nach zehn Jahren auf ihre Anwendungsmöglichkeit abgeklopft, so sprechen inzwischen bereits die Namen der Gebiete eine deutliche Sprache. In den modernen Bio-, Nano-, und Informationstechnologien geben sich Grundlagenforschung und Anwendung von Anfang an die Hand. Eine Verantwortungsdiskussion, sagt Frühwald deshalb, müsse deshalb heute schon viel früher beginnen: durch geeignete Gesprächsstrukturen innerhalb der Wissenschaft und zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit.
Tobias Beck
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