Gesund leben: Leicht gealtert
„Ich fühle mich unsicher und ungeschickt“. Autorin Magdalene Weber unterzieht sich einem Selbstversuch.
Gebrechlich, vergesslich, hilfsbedürftig: Die Aussichten auf das Alter sind nicht besonders rosig. „Altwerden ist nichts für Feiglinge“, soll Hollywood-Diva Mae West daher einmal gesagt haben, Schauspieler Joachim Fuchsberger überschrieb mit diesem Zitat dann auch gleich seinen 2011 veröffentlichten Ratgeber. Und Vicco von Bülow alias Loriot befand sogar: „Altwerden ist eine Zumutung“.
Ist das wirklich so? Und vor allem: Muss das so? Genau das will ich herausfinden. Der Plan: Ich werde alt - und versuche dann, es mir so leicht wie möglich machen zu lassen, mit all dem, was Industrie und Technik für diesen Zweck zu bieten haben. Das ist allerdings nicht nur ein langfristiger Plan für mein späteres Leben. Sondern auch ein ganz konkreter: Ich werde einen Vormittag als 75-Jährige verleben, mithilfe des Alterssimulationsanzugs „Age Man“ des Meyer-Hentschel Instituts in Saarbrücken. Und zwar in der sogenannten „Ermündigungswohnung“, einer Musterwohnung in Berlin-Marzahn. Wissenschaftlich begleitet vom Institut für Telematik der Technischen Hochschule Wildau wurde sie von dem Orthopädietechnik- und Sanitätswaren-Unternehmen OTB konzipiert und ist ausgestattet mit all dem, was alternden Menschen helfen soll, ihren Alltag zu bewältigen und möglichst lange selbstbestimmt zu leben - von modernster Technik bis hin zur klassischen Leselupe.
Am Tag meiner Instant-Alterung sind die Aussichten dann aber auch erst einmal alles andere als rosig: Es ist ein Freitagmorgen Ende Februar, typischer Berliner Halbwinter, trist und grau und ungemütlich. Und schon auf dem Weg nach Marzahn - zu spät dran, genervt, gestresst - stimme ich Loriot innerlich zu: Ja, Alter kann tatsächlich ein Zumutung sein - für die Nicht-Alten. Denn als ich mir am U-Bahnhof noch schnell ein Ticket kaufen will, steht in der Schlange vor mir eine weißhaarige Frau. Die ziemlich umständlich und ziemlich langsam erst ihr Portemonnaie aus der Handtasche und dann das Kleingeld aus dem Portemonnaie nestelt. So umständlich und so langsam, dass ich meine Bahn verpasse. Und deswegen viel zu spät komme. Na toll.
Ein paar Stunden später erlebe ich dann auch einen „Mae-West-Moment“ - der mich allerdings als Feigling entlarvt. Denn das Altsein macht mir im Laufe des Vormittags vorübergehend richtig Angst. Und trotzdem gibt es immer mehr Menschen, die sich in das „Abenteuer Alter“ stürzen, das zudem immer länger wird: Die Lebenserwartung der Deutschen steigt stetig, wer heute zur Welt kommt, wird durchschnittlich 78 (Männer) beziehungsweise 83 Jahre (Frauen) alt. Aktuell stellen die mindestens 65-Jährigen rund ein Fünftel der Bevölkerung. 2060 soll dann bereits rund jeder Dritte 65 Jahre oder älter sein, jeder Achte mindestens 80 Jahre. Heute ist es rund jeder Zwanzigste. Stärker beachtet wird dieser demografische Wandel aber erst, seit mit den Babyboomern die geburtenstärksten Jahrgänge ins Alter kommen, was den Pflegenotstand verstärkt. Zudem stellen die 65- bis 74-Jährigen eine der vermögendsten Bevölkerungsgruppen - die außerdem Wert auf ein selbstbestimmtes Leben legt. Das schafft einen Markt für Hilfsmittel und Assistenzsysteme aller Art, die das Leben im Alter erleichtern sollen.
Mehr als 100 davon, von mehr als 50 Unternehmen, sind in der „Ermündigungswohnung“ im Marzahner Gewerbegebiet östlich der Rhinstraße versammelt, die seit Ende 2014 offen für Besichtigungen ist: 140 Quadratmeter, sechster Stock Plattenbau, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, zwei Bäder, alles hell und freundlich - und komplett ausgestattet mit nützlichen Dingen. Das kann eine Tasse mit Aussparung für die Nase sein, damit man sie austrinken kann, ohne den Kopf in den Nacken legen zu müssen. Oder ein Sessel, der sich nach vorne kippen lässt, um beim Aufstehen zu helfen. Das kann außerdem ein Herd sein, der sich selbst ausschaltet, wenn sein Sensor eine gewisse Zeit lang keine Aktivität mehr in der Nähe feststellt. Oder auch intelligente Systeme, die beispielsweise die Heizung danach regulieren, wann welche Räume genutzt werden, und auch registrieren, wenn die Kühlschranktür zu lange offen steht oder schon zu lange nicht mehr geöffnet wurde - und dann beispielsweise bei Angehörigen oder einem Pflegedienst Alarm schlagen.
Ambient Assistant Living (AAL, zu Deutsch etwa „von der Umgebung unterstütztes Wohnen“) nennt sich dieses Konzept, das dem Wunsch vieler älterer Menschen nach Eigenständigkeit und Sicherheit entgegenkommt, gleichzeitig die pflegenden Personen entlastet und die Pflegekosten senkt. Dafür erfordert es jedoch eine recht hohe Anfangsinvestition: Eine Wohnung umfassend umzurüsten, kostet leicht mehrere zehntausend Euro. „Allerdings braucht natürlich nicht jeder alles“, sagt Anja Schlicht von der Firma OTB, die die Wohnung betreut und auch ihren Sitz hier im Haus hat. „Deshalb kann man sich hier auch alles anschauen und ausprobieren - und dann entscheiden, was davon den eigenen Bedürfnissen entspricht.“ Schlicht hat uns in die Wohnung gelassen, herumgeführt - und lässt uns dann alleine. „Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause!“
Den vollständigen Selbstversuch finden Sie im Magazin für Medizin und Gesundheit in Berlin: "Tagesspiegel Gesund - Fit und gelassen älter werden".
Weitere Themen der Ausgabe: Was die Biologie sagt. Ein Altersforscher erklärt, warum und wie sich der Körper im Laufe des Lebens verändert. Jungbrunnen. Welche Lebensmittel lange fit halten. Fit für die Enkel. Sport im Verein macht Spaß und stärkt das Familienleben. Sex im Alter. Auch mit 70 oder 80 wollen Menschen nicht auf die Lust verzichten. Die Kraft der Pflanzen. Helfen Gingko, grüner Tee oder Ginseng gegen Altersbeschwerden? Kaufberatung. Welche Sehhilfen und Hörgeräte sich wann wirklich lohnen. Den Notruf wählen. Trotz Gebrechen sicher zu Hause. Helfer ja, Pfleger nein! Wie nützlich können Roboter sein. Heilkunde für das Altern. Geriater - die Spezialisten für Senioren. Immer schlau bleiben. Wirkungsvolles Training für das Gehirn. Grauer Star. Wie die trübe Linse wieder klar wird. Schwache Knochen. Osteoporose ist behandelbar. Diabetes. Was gegen den Zucker hilft. Gefährlicher Cocktail. Zu viele Arzneien schaden. Raus aus dem Dunkel. Wie man der Depression entkommt. Außerdem: Kliniken und Arztpraxen im Vergleich.