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Seit eineinhalb Jahren trifft sich Bärbel Rosenberg regelmäßig mit anderen krebskranken Frauen im Botanischen Garten in Steglitz.
© Mike Wolff

Krebs: Guolin Qigong als Stütze

Bärbel Rosenberg erzählt von ihrem Kampf mit dem Krebs und ihren Erfahrungen mit der Meditationspraktik Guolin Qigong und Selbsthilfegruppen.

Eine Art Riesenraupe bewegt sich durch die Alleen: Sechs Beine links, sechs Beine rechts, zwölf Arme pendeln im Gleichtakt nach links, zwölf Arme nach rechts - immer synchron mit dem Atem. Nur langsam kommt sie voran. Die Raupe, das sind wir. Sechs Frauen schwingen im Gänsemarsch die Arme von einer Seite zur anderen. Leichter Nebel hängt zwischen den Bäumen. So früh am Morgen ist der Botanische Garten noch fast leer. Nur wir und die Gärtner sind hier.

Wir setzen den linken Fuß auf und halten die Hände auf der Höhe des Nabels mit den Handflächen nach unten auf der linken Seite. Los geht’s mit dem linken Fuß! Links zweimal einatmen, rechts aus. Dabei gehen die Arme nach rechts. Und wieder links zweimal einatmen, rechts einmal aus. Arme, Beine und Atem synchron: sechs Frauen, die anderthalb Stunden hintereinander durch den Park im Gleichschritt wandern.

Was wir machen: Guolin Qigong – Übungen für Menschen mit Krebserfahrung. Erfunden hat das die 1907 geborene Malerin Guo Lin in Peking. Mit 42 erkrankte sie an Gebärmutterkrebs. Nach sechs erfolglosen Operationen wurde ihr gesagt, sie habe nur noch zwei Monate zu leben. „Soll ich jetzt solange im Bett liegen und auf den Tod warten?“ fragte sie sich und erinnerte sich an den Großvater, der mit ihr als Kind Qigong gemacht hatte. Sie ging hinaus in den Park und entwickelte ihr „Neues Qigong“. Später unterrichtete sie auch andere Krebskranke und starb 1984 an einem Schlaganfall.

Mir warf niemand das Wort „austherapiert“ an den Kopf – Gott sei Dank. „Sie haben den Krebs einer jungen Frau“, hatte man mir nach der Brustoperation 2009 gesagt. „Der ist sehr aggressiv, wächst schnell und kommt gern wieder.“ Das wollte ich verhindern. Ich hatte gehört, dass Bewegung, Ernährung und Selbsthilfegruppen die größten Überlebenschancen bei Krebs böten. Für die Ernährung las ich mit großem Vergnügen das Buch „Krebszellen mögen keine Himbeeren“. Eine Selbsthilfegruppe suchte ich mir fünf Monate nach meiner Operation – mitten in der Chemotherapie.

Sieben Frauen sitzen im Kreis um einen Blumenstrauß herum. Unter der Vase liegt ein farbiges Tuch. Durch die geöffneten Fenster kommen leise Geräusche vom Kurfürstendamm herüber. Brustkrebs, Lungenkrebs, Gebärmutterkrebs, Metastasen, Rezidive und Strahlenschäden. Das geht unter die Haut. Als ich die Geschichten der Frauen höre, denke ich: „Wenn die Frauen das überlebt haben, dann überlebe ich das auch!“

Zweimal im Monat treffen wir uns für drei Stunden, früher bei Sekis (Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle), jetzt in der Krebsberatung Berlin in Friedenau. Einmal im Monat begleitet uns eine Psycho-Onkologin. Wir besprechen besondere Themen, etwa „Angst“ oder auch „Mütter und Töchter“. Manchmal leitet sie uns zu Tiefenentspannungen und Visualisierungen an, oder sie macht Kunsttherapie mit uns. Neulich kam eine Atemtherapeutin in unsere Gruppe.

Aber das Beste ist einfach das Sprechen. Wie geht es dir, wie geht es mir? Wie war die letzte Nachsorge? Was steht mir gerade bevor? Habt ihr schon gehört, dass Cholesterin-Senker vielleicht gut sein sollen gegen Krebs? Und kennt ihr den Unsterblichkeitstee? Leider starben in den letzten dreieinhalb Jahren sieben Frauen. Dann machen wir ein kleines Ritual, zünden am Anfang der Sitzung ein Teelicht für sie an, sagen eventuell etwas dazu und gehen zu den Beerdigungen. Das ist hart!

Ich werde manchmal gefragt, ob ich mir das antun muss, so viel Leid von anderen mit anzuhören und immer wieder von der Krankheit zu sprechen. Aber der Krebs, die Angst vor Rückfällen, vor Metastasen ist immer präsent, allein wegen der Nachsorge-Termine alle drei Monate. Ich habe immer noch Angst davor. Jedes Mal! Dann spreche ich lieber darüber, als es in mir zu vergraben.

Und manche Frauen kann ich nur bewundern: ihren starken Überlebenswillen nach der x-ten Chemotherapie, ihre ungebrochene gute Laune auch nach mehreren Krebserkrankungen, den rabenschwarzen Humor von schon Totgesagten. Das macht Mut. Ich stelle immer wieder fest, dass ich mit Betroffenen am besten über meine Erkrankung reden kann. Sie wissen, wovon ich spreche, und können mir oft Tipps geben für Dinge, die ich ausprobieren könnte.

Die Selbsthilfegruppe ist natürlich kein sicheres Rezept für das Überleben nach einer Krebserkrankung. Und auch Guolin Qigong nicht. Aber sie können helfen, besser mit der Erkrankung umzugehen. Vor dreizehn Jahren begann meine Gruppe ihr morgendliches Gehen durch den Botanischen Garten, angeleitet von Viola, einer krebskranken Qigong-Lehrerin. Fünf Jahre später starb sie. Beim Teepavillon steht eine Bank, auf der ihr Name eingraviert ist und darunter in chinesischen Schriftzeichen „Danke“. Wenn wir dort vorbeikommen, halten wir kurz inne.

Guolin Qigong ist keine ultimative Strategie gegen einen frühen Tod durch Krebs. Aber es ist eine gute Strategie für das Leben. Im letzten Herbst kam eine meiner Chorschwestern, die an Krebs erkrankt ist, zur Probe. Sie sah so frisch aus, dass ich sie fragte, wie das sein könne. „Ich gehe zum Guolin Qigong in den Botanischen Garten“, sagte sie. Das würde ihr guttun. „Und es ist vor allem gut gegen die Angst“, fügte sie hinzu. Das war mein Stichwort. Ich meldete mich bei ihrer Heilpraktikerin an, die mir Guolin Qigong in zwei Stunden beibrachte.

Zuerst konnte ich mir die verschiedenen Abläufe zwischen dem langsamen und schnellen Gehen, zwischen doppelt oder einfach einatmen und einmal ausatmen sowie die Koordination zwischen Hand- und Fußbewegungen mit dem Atem nicht merken. Doch als ich begann, mit der Gruppe zu gehen, kapierte ich es langsam. Allerdings war es November. Gruselig, morgens im Dunkeln aufzustehen und bei Wind und Wetter durch den kalten Garten zu stapfen. Nun gehe ich schon seit anderthalb Jahren einmal die Woche mit den Frauen durch den Park. Wenn wir im Gänsemarsch mit den Händen von rechts nach links wedelnd an den – in den Beeten hockenden – Gärtnern vorbeikommen, grüßen wir uns. Was sie wohl denken mögen?

Guolin Qigong ist nicht nur eine gute Bewegungs- und Atemübung, sondern auch eine wunderbare Naturerfahrung: zu erleben, wie es im Winter langsam hell wird und manchmal sogar die Sonne durchbricht, den Park zu sehen, wie er Woche für Woche aus dem Winterschlaf erwacht, das erste Grün zu entdecken und die Zaubernuss, die schon blüht, oder den Schneeball, der wunderbar duftet. Im Frühjahr wedeln wir zum Aronstab, der mitten im Sumpf blüht, im Sommer schnuppern wir an den Rosen, die von Lavendelbüschen eingefasst sind. Die reinste Aromatherapie.

Manchmal werden wir von Meisen verfolgt. Vielleicht denken sie, dass wir mit den Bewegungen unserer Arme Futter ausstreuen – wie ein Sämann. Wenn wir die Handflächen nach oben drehen, hüpfen sie auf unsere Fingerspitzen. Das pralle Leben. Zuweilen ist es morgens so still im Garten, dass man die Blätter fallen hört. Auch ich werde dereinst so fallen – aber hoffentlich nicht so bald. Dabei werden mir die Selbsthilfegruppe, gute Ernährung und Bewegung – Guolin Qigong, Tai-Chi, Yoga und Spaziergänge – hoffentlich helfen. Darauf versuche ich zu vertrauen.

www.krebsberatung-berlin.de

Bärbel Rosenberg

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