Gemeinsamer Senat entscheidet: Gericht kippt Rabatte für Medikamente
Die Deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Mittel gilt auch für Versandapotheken im EU-Ausland. Das Urteil trifft insbesondere chronisch kranke Menschen, die dauerhaft verschreibungspflichtige Präparate einnehmen müssen.
Europäische Versandapotheken dürfen Kunden in Deutschland für Medikamente auf Rezept keine hohen Rabatte mehr gewähren. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in Karlsruhe entschied am Mittwoch, dass die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneien auch für Anbieter im EU-Ausland gilt, die nach Deutschland liefern. Das Urteil betrifft insbesondere chronisch kranke Menschen, die dauerhaft verschreibungspflichtige Präparate einnehmen müssen.
Ein deutscher Apotheker hatte die Europa-Apotheek im niederländischen Venlo verklagt, weil sie Kunden in Deutschland, die Medikamente auf Rezept bestellten, Rabatte von bis zu 15 Euro je Packung angeboten hatte. Deutsche Apotheken können damit nicht konkurrieren, denn sie müssen rezeptpflichtige Arzneien zum gebundenen Preis verkaufen. Rabatte oder Bonus-Systeme sind verboten – zum Schutz der Patienten, wie es im Gesetz heißt. Nach einem früheren Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) dürfen sie allenfalls kleine Nachlässe von bis zu einem Euro gewähren. In der Verhandlung hatten Apotheken-Vertreter argumentiert, die Preisbindung garantiere die gerechte Versorgung der Bevölkerung mit Arzneien. Die gegnerische Seite erklärte, eine Freigabe diene dem Wettbewerb und damit den Patienten, die Geld sparen könnten.
Der Gemeinsame Senat, dem die Präsidenten der fünf obersten Bundesgerichte angehören, tritt nur selten zusammen. Die letzte mündliche Verhandlung hatte es 1986 gegeben. Im Fall der Versandapotheken war er angerufen worden, weil zwei Bundesgerichte gegensätzlicher Auffassung waren. So konnten sich EU- Anbieter bisher auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2008 berufen, das die Preisnachlässe in Form von Boni für zulässig hielt. Der BGH war hingegen anderer Ansicht.
Die deutschen Apotheken dürfte die Entscheidung freuen, denn ihnen geht bisher viel Geld verloren: Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken schätzt, dass die Niederländer etwa 80 Prozent ihrer Umsätze mit dem Versand von Medikamenten auf Rezept machen, bei den deutschen Anbietern seien es nur 27 Prozent. Der Europäische Verband der Versandapotheken will nun bei der EU-Kommission Beschwerde einlegen. „Die Mitgliedsapotheken werden auch zukünftig ihren Kunden in Deutschland Preisvorteile anbieten“, hieß es in einer Mitteilung. Allerdings hatte der Gemeinsame Senat am Mittwoch ausdrücklich erklärt, die deutsche Regelung verstoße nicht gegen die Warenverkehrsfreiheit in der EU. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) sei nicht nötig. Ungeachtet des Rechtsstreits will auch die Politik die Preisbindung zementieren. FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr plant dazu eine Gesetzesnovelle, die im Oktober in Kraft treten könnte.
Verbraucherschützer kritisierten, dass die Entscheidung besonders chronisch Kranke benachteilige. Ihre Zahl liegt nach Angaben des Sachverständigenrats des Gesundheitsministeriums „in einer Größenordnung von 40 Prozent“ der Bevölkerung. Diese gut 30 Millionen Menschen verursachen 83 Prozent der Arzneimittelverschreibungen. „Unter ihnen sind viele, die mit jedem Euro rechnen müssen. Sie können dann nur hoffen, dass der EuGH irgendwann zu ihren Gunsten entscheidet“, sagte Susanne Mauersberg vom Verbraucherzentrale Bundesverband. (mit AFP)
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