Arztbrief: Gaumenmandelentfernung
Unser Experte André Zakarneh ist leitender Oberarzt der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Sankt Gertrauden Krankenhaus in Wilmersdorf. Die Klinik ist das von niedergelassenen HNO-Ärzten Berlins für eine Gaumenmandelentfernung am häufigsten empfohlene Krankenhaus (Ärzteumfrage 2015 von Tagesspiegel und Gesundheitsstadt Berlin).
ERLKÄRUNG Die Mandelentzündung, kann jeden mal erwischen und klingt in der Regel nach einigen Tagen auch wieder ab. Doch einige Menschen erkranken immer wieder, oft mehrmals im Jahr, müssen dann jedes mal für den Körper belastende Antibiotika schlucken. Sie leiden unter einer chronischen Tonsillitis, wie Mediziner sagen. Für sie kann die chirurgische Entfernung der Gaumenmandeln ein Ausweg sein.
SYMPTOME Die deutlichsten Anzeichen einer akuten Mandelentzündung sind hohes Fieber (über 38 Grad), Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und ein allgemeines Schwächegefühl. Die entzündeten Mandeln sind hochrot geschwollen und mitunter eitrig, also weiß bis gelblich belegt. Auch die Lymphknoten im Kieferwinkel sind oft fühlbar angeschwollen. Die vergrößerten Gaumenmandeln können auf die Atemwege drücken - Atembeschwerden, Schnarchen und sogar nächtliche Atemaussetzer sind die Folge. Von einer chronischen Tonsillitis sprechen Mediziner meist, wenn die Mandeln mindestens drei Mal im Jahr entzündet sind.
URSACHEN Als Teil des Immunsystems schützen die Mandeln unseren Körper vor eindringenden Erregern. Bakterien und Viren werden auf der großflächigen, zerklüfteten Oberfläche der Mandeln abgefangen und mit speziellen Antikörpern unschädlich gemacht, bevor sie in tiefer liegende Atemwege eindringen können. Versagen die Mandeln allerdings in der Keimabwehr, beispielsweise weil der Körper durch einen grippalen Infekt bereits geschwächt ist, droht eine Mandelentzündung. „Eine Tonsillitis wird oft zuerst von Viren ausgelöst und erst später kommen Bakterien hinzu“, erklärt André Zakarneh, Oberarzt der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Sankt Gertrauden-Krankenhaus. Corona-, Adeno-, Rhino- oder Influenzaviren bereiten den Weg für einen späteren bakteriellen Infekt - oft sind es Streptokokken, die das Organ befallen.
Tritt die Tonsillitis immer wieder auf - wird sie also chronisch -, hat das mitunter dramatische Folgen: „Durch die chronische Entzündung kann das Gewebe der Gaumenmandeln vernarben und sich so die Struktur des Organs verändern“, sagt Zakarneh. Die anatomisch deformierten Mandeln verlieren ihre schützende Funktion, Bakterien und Viren können sich nun dauerhaft einnisten und drohen andere Körperregionen zu infizieren. „Die geschädigten, chronisch entzündeten Mandeln werden zu einer Belastung des Immunsystems, machen eher krank, als dass sie nutzen.“
Neben der chronischen Mandelentzündung können die Gaumenmandeln von Kleinkindern bis zu einem Alter von sechs Jahren aber auch natürlich, also ohne bakterielle Infektion, vergrößert sein. Mediziner sprechen dann von einer Gaumenmandelhyperplasie. „Bei diesen Kindern entwickelt sich das Immunsystem so stark, dass die Mandeln übermäßig wachsen und so die Atemwege einengen“, sagt Zakarneh.
In seltenen Fällen kann auch ein Tumor für eine vergrößerte Gaumenmandel verantwortlich sein. „Auffällig sind besonders asymmetrisch vergrößerte Mandeln“, sagt Zakarneh. Schwillt also nur eine der beiden Mandeln an, könnte der Grund Krebs sein.
DIAGNOSE Um eine akute Gaumenmandelentzündung zu diagnostizieren, erfragt der Arzt den Krankheitsverlauf, untersucht Rachen und Gaumenmandeln und tastet die mitunter angeschwollenen Lymphknoten ab. Mit einem Rachenabstrich, mit dem etwas Speichel von der hinteren Rachenwand abgenommen wird, kann per Schnelltest oder im Labor die Art der Erreger identifiziert werden. Bei besonders schweren Mandelentzündungen bestimmen Ärzte mit einer Blutuntersuchung die Entzündungswerte im Blut.
THERAPIE Die chirurgische Entfernung der Gaumenmandeln - im Medzinerjargon Tonsillektomie genannt - ist der häufigste stationäre Eingriff unter Vollnarkose bei Kindern und Jugendlichen. Oberarzt Zakarneh schätzt, dass rund 70 Prozent der Patienten, denen im Sankt Gertrauden-Krankenhaus die Gaumenmandeln chirurgisch entfernt werden, zwischen sechs und 25 Jahren alt sind. Der Eingriff ist Routine - fast 5000 Tonsillektomien führen Chirurgen allein in Berlin jedes Jahr durch. „Trotzdem sollte die Operation nicht bagatellisiert werden und Nutzen und Risiko gründlich abgewogen sein“, sagt André Zakarneh. Ein operativer Eingriff komme erst infrage, wenn konservative Maßnahmen, also vor allem die medikamentöse Therapie mit Antibiotika, versagt haben. „Während die Mandeln früher sogar prophylaktisch entfernt wurden, sind Mediziner heute deutlich zurückhaltender“, sagt Zakarneh.
Die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie empfiehlt in einer im September 2015 herausgegebenen Leitlinie zur „Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln“: Traten in den letzten zwölf Monaten weniger als drei Gaumenmandelentzündungen auf, ist die Tonsillektomie keine Therapieoption. Bei drei bis fünf eitrigen, mit Antiobiotika behandelten Mandelentzündungen könne der chirurgische Eingriff eine Option sein, wenn in den kommenden sechs Monaten die Zahl auf mindestens sechs steigt. Die „Tonsillektomie ist eine therapeutische Option“, wenn in den vergangenen zwölf Monaten sechs eitrige und mit Antibiotika therapierte Mandelentzündungen auftraten.
André Zakarneh rät allerdings dazu, auch Faktoren wie Leidensdruck, Alter und weitere Erkrankungen in die Entscheidung mit einzubeziehen. Bei Kindern unter sechs Jahren raten Ärzte in der Regel von der OP ab - die Operationsrisiken sind in diesem Alter noch zu groß. Bei herzkranken Menschen wiederum sollte der Eingriff eher früher als später erwogen werden - die dauerhaft infizierten Mandeln sind ein Infektionsrisiko für das geschwächte Herz.
Chronisch entzündete Mandeln werden fast immer unter Vollnarkose chirurgisch entfernt. Der Kopf des auf dem Rücken liegenden Patienten wird für die OP etwas tiefer gelagert, leicht überstreckt, Mund und Zunge mit Metallklammern fixiert. Zunächst öffnet der Chirurg den Gaumenbogen mit einem Skalpell, um anschließend die Mandel aus dem Mandelbett zu lösen. Chirurgen nutzen dazu verschiedene Instrumente: Die älteste, aber auch bewährte Methode ist das Raspatorium, ein Instrument, das einem schmalen Spatel ähnelt und sowohl über eine scharfe Klinge zum Schneiden und als auch eine stumpfe Seite zum Schaben verfügt. Blutende Gefäße verödet der Operateur mit einer mit Strom durchflossenen Pinzette. Bei der Bipolaren Radiofrequenzdissektion wird die Mandel durch ein gebündeltes Plasmafeld herausgetrennt.
Je nach Methode und Operateur dauert der Eingriff 20 bis 30 Minuten. Doch egal welche Technik angewendet wird, der Chirurg muss zwangsläufig größere Blutgefäße, die das Organ versorgen, durchtrennen. Das Hauptrisiko des Eingriffs sind daher Nachblutungen, die bis zu zehn Tage nach dem Eingriff auftreten können. „Bei etwa 4,5 Prozent der Eingriffe ist mit Nachblutungen zu rechnen, die zwar nicht in allen Fällen operativ versorgt werden müssen, aber in Einzelfällen lebensbedrohlich sein können und extrem selten letal verlaufen“, heißt in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Letal bedeutet im Medizinjargon tödlich. Doch in der Tat seien solche Fälle die absolute Ausnahme. Um das Risiko trotzdem so klein wie möglich zu halten, wird der Eingriff in der Regel stationär, also im Krankenhaus durchgeführt. Im Sankt Getrauden-Krankenhaus werden Patienten nach einer Mandelentfernung noch vier Tage stationär überwacht. „Am sichersten wären natürlich zehn Tage, um auch späte Nachblutungen rasch behandeln zu können“, sagt Zakarneh.
Bei natürlich vergrößerten Mandeln genügt es meist, die beiden Tonsillen zu verkleinern - Mediziner sprechen von einer Tonsillotomie. „Dieser Eingriff kommt hauptsächlich für Kinder zwischen zwei und sechs Jahren infrage, da sich der Rachen in der weiteren Entwicklung weitet und leicht vergrößerte Mandeln anatomisch kein Problem mehr darstellen“, sagt Zakarneh. Statt die Gaumenmandeln ganz herauszunehmen, wird nur überschüssiges Gewebe abgetragen.
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