Ernährung Schwangerschaft: Für zwei denken, nicht essen
Auch der ungeborene Mensch ist, was er isst. Experten zur Frage, was Schwangere zu sich nehmen sollen. Einiges aus der Fülle des Angebots für Schwangere nützt mehr der Industrie als Mutter und Kind.
Ernährung in der Schwangerschaft: Jetzt nur nichts falsch machen! Die Ungeborenen sollen wachsen und gedeihen, aber wenn Schwangere und Neugeborenes zu schwer werden, dann steigt das Risiko des Kindes, im späteren Leben an Diabetes zu erkranken. Fehlt Folsäure, dann droht ein offener Rücken. Doch welche Vitamine, Spurenelemente und speziellen Fettsäuren braucht man sonst? Ist genug im Essen drin? Was sollte man in der Schwangerschaft zusätzlich einnehmen? Und gibt es etwas, das Schwangere besser nicht essen sollten, wenn in der Familie ein besonders hohes Risiko für Allergien besteht?
Über gesunde Ernährung während der Schwangerschaft ist heute so viel zu hören wie nie zuvor. Mit Nahrungsergänzungsmitteln ist zudem viel Geld zu verdienen. Da liegt der Verdacht nahe, dass zumindest einiges aus der Fülle der Angebote der einschlägigen Industrie mehr nützt als der werdenden Mutter und dem Kind in ihrem Bauch. Handlungsempfehlungen zur Ernährung in der Schwangerschaft, hinter denen die Fachgesellschaften und Berufsverbände der Gynäkologen, Kinderärzte und Hebammen ebenso stehen wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund und das Bundesinstitut für Risikobewertung, versuchen jetzt für Klarheit zu sorgen (nachzulesen unter www.gesund-ins-leben.de).
Folsäure ab Kinderwunsch
„Solche nationalen, harmonisierten Handlungsempfehlungen für Schwangere zur Ernährung sind europaweit einmalig“, urteilt Berthold Koletzko, Leiter der Abteilung Stoffwechsel und Ernährung am von Haunerschen Kinderspital der Uniklinik in München und zugleich Leiter des wissenschaftlichen Beirats des Projekts „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie“. Das Netzwerk hatte zuvor schon ein Papier zur Ernährung von Säuglingen und stillenden Müttern veröffentlicht. Demnächst, sagt Koletzko, wird ein solcher ausführlicher Text auch zur Ernährung in der Schwangerschaft erscheinen.
„Wer sich normal und ausgewogen ernährt, braucht in der Schwangerschaft wenig Zusätzliches“, resümiert Gynäkologe Klaus Vetter, langjähriger Geburtshelfer am Vivantes-Klinikum Neukölln. Folsäure sollten junge Frauen aber auf jeden Fall einnehmen. Und zwar vor der Schwangerschaft, sobald der Kinderwunsch konkret wird. Unter anderem wird die Folsäure gebraucht, damit sich während der Embryonalentwicklung das Neuralrohr schließen kann. Gute Quellen für Folat sind grünes Blattgemüse, Tomaten, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide und Eier. Untersuchungen zufolge erreichen 86 Prozent aller Frauen aber die Zufuhrempfehlungen nicht. Und in der Schwangerschaft wird noch einmal 50 Prozent mehr Folsäure gebraucht.
Der Bedarf an blutbildendem Eisen steigt gar um 100 Prozent. Das heißt nach Ansicht der Experten allerdings keineswegs, dass alle Schwangeren Eisenpräparate schlucken müssten. Einen Anhaltspunkt dafür, ob das nötig ist, gibt der bei den Vorsorgeuntersuchungen gemessene Hämoglobinwert des Blutes. Vetter und seine Kollegen setzen sich seit einiger Zeit dafür ein, als genaueren Wert das Ferritin zu erheben, das Auskunft über die Eisenspeicher erteilt. Kritisch sei die Versorgung mit Eisen in der Schwangerschaft regelmäßig bei Frauen, die sich streng vegan ernähren, so warnen die Experten. Im Konsensuspapier wird dazu geraten, dass sie sich auf jeden Fall medizinischen Rat zur Ernährung einholen. Denn auch an Vitamin B 12, das nur in tierischen Lebensmitteln enthalten ist, besteht nun ein Mehrbedarf.
Fettreicher Seefisch während der Schwangerschaft soll geistige Schädigungen verhindern
Allen Schwangeren, bei denen es nicht spezielle Schilddrüsenprobleme gibt, raten die Experten, täglich zusätzlich zum jodierten Speisesalz und einer jodreichen Ernährung 100 bis 150 Mikrogramm Jodid einzunehmen. „Nach wie vor ist Jodmangel weltweit die häufigste Ursache für geistige Schädigungen beim Kind“, warnt Koletzko. Der Kinderernährungsexperte findet es zudem sinnvoll, dass Schwangere pro Woche ein bis zwei Portionen fettreichen Seefisch essen. „Frauen, die keinen oder nur wenig Fisch essen, sollten Kapseln mit langkettigen Omega-3-Fettsäuren einnehmen.“ Denn das Öl von Hering, Makrele oder Lachs enthält viel Docosahexaensäure (DHA), eine mehrfach ungesättigte Fettsäure, die in den Membranen von Nervenzellen enthalten ist.
Zwar ist noch umstritten, ob es Kinder klüger macht, wenn ihre Mütter in der Schwangerschaft reichlich Fischöl zu sich nehmen. Eine im letzten Jahr im Fachblatt „Jama“ erschienene australische Studie mit DHA-haltigen Kapseln fiel eher enttäuschend aus. „Doch die Daten zur Vorbeugung von Frühgeburten, Allergien und Erkrankungen im ersten Lebensjahr sind überzeugend“, sagt Koletzko. Gerade ist in der Fachzeitschrift „Pediatrics“ eine Studie erschienen, für die 2000 Frauen entweder ein DHA-Präparat oder ein Scheinpräparat bekamen: Babys aus der DHA-Gruppe waren im ersten Lebensjahr deutlich seltener und kürzer verschnupft.
Fetter Seefisch sollte also auf dem Speiseplan stehen. Das heißt allerdings nicht, dass die Experten insgesamt für eine deutlich erhöhte Kalorienaufnahme plädieren würden. Nur in den letzten Monaten der Schwangerschaft würde rund zehn Prozent mehr Brennstoff als sonst gebraucht. Wie viel genau, das sei jedoch abhängig vom Ausmaß der körperlichen Aktivität. Nicht für zwei essen, aber für zwei denken, heißt folglich die Devise.
Rohes Fleisch und rohe Eier sind tabu
Für einige wenige Speisen und Getränke bedeutet das auch: Lieber verzichten. Zum Beispiel auf Sushi, Salami und Tiramisu, weil eine Toxoplasmose-Infektion durch rohes Fleisch, rohen Fisch oder rohe Eier schwere Schäden beim Kind hinterlassen kann. Obwohl es in den vergangenen Jahren Stimmen gegeben hat, die das ein oder andere Glas Wein in der Schwangerschaft für unbedenklich erklärten, sagen die Handlungsempfehlungen auch hier deutlich: „Am sichersten ist es, in der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken.“ Bis zu drei Tassen Kaffee könne man dagegen ohne Bedenken zu sich nehmen.
So besonders die Zeit der Schwangerschaft für eine Frau auch ist: Beim Essen gibt es nur einige wenige Sonderregeln. Die meisten Empfehlungen für die richtige Ernährung gelten auch vorher und nachher. Für die ganze Familie.
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Adelheid Müller-Lissner
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