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Gesundheit: „Eine Reise in andere Realitäten“

Schamanismus – Schabernack oder Heilmethode?

GERHARD MAYER ist Psychologe am Institut für Grenzgebiete der

Psychologie in Freiburg und Autor des Buches „Schamanismus in Deutschland“ (Ergon Verlag 2003).Foto: privat

Herr Mayer, was ist ein Schamane?

Ursprünglich ist das eine Person, die in einem Stamm hauptsächlich die Funktion eines Heilers innehat. Er ist ein Mittler zwischen zwei Welten. In der Vorstellung des Schamanismus gibt es nicht nur eine Realität, sondern mehrere. Krank ist man, wenn die Seele nicht im Gleichgewicht ist. Der Schamane durchdringt dann, in dem er sich in Trance versetzt, die anderen Welten und versucht das Gleichgewicht des Patienten wieder herzustellen.

Wie viele Schamanen gibt es in Deutschland?

Wenn man nur die ernsthaften zählt und nicht die, die das lediglich hobbymäßig betreiben: so um die 100.

Sie haben einige davon besucht...

...ja, ich habe sieben von ihnen interviewt.

Wie war das?

Was mich überrascht hat ist, wie realistisch die sind. Schamanen lehnen die „Schulmedizin“ nicht etwa ab. Sie sehen sich als Ergänzung, nicht als Ersatz.

In welchen Fällen könnten sie mir weiterhelfen?

Etwa bei psychosomatischen Beschwerden. Oder wenn es bei einem Patienten im Verlauf einer konventionellen Psychotherapie nicht mehr vorwärts geht – eine Sitzung beim Schamanen kann dann wieder Bewegung in die Therapie bringen.

Wie geht ein Schamane vor?

Zuerst spricht er mit dem Patienten, um sich ein Bild zu machen. Der Klient setzt sich auf einen Stuhl oder legt sich auf den Boden. Dann versetzt sich der Schamane mit Hilfe von Trommeln in Trance – etwa, indem er selbst trommelt, es geht aber auch mit einer Kassette oder CD. Der Patient kann dabei ebenfalls in Trance geraten, das muss aber nicht sein. Nun begibt sich der Schamane auf die Reise in die andere Realität. Dort trifft er auf Geister. Ein solcher Geist führt den Schamanen in eine Landschaft, wo er Szenen aus dem Leben des Patienten sieht, zum Beispiel traumatische Erlebnisse. Auf Grund der Traumata können sich Teile der Seele abgespalten haben, die der Schamane versucht, zurückzuholen. Am Ende beugt sich der Schamane über die Brust oder die Stirn seines Patienten und haucht ihm die Seelenteile wieder ein.

Oje! Ist das nicht magischer Schabernack?

Ja, vielleicht, zumindest aus unserer westlichen, naturwissenschaftlich geprägten Sicht. Aber das Erstaunliche ist, dass es wirkt. Manche Patienten fühlen sich schon nach einer Sitzung besser. Wir würden natürlich sagen, dass sich die Wirkung mit dem so genannten Placebo-Effekt, also dem Glauben, erklären lässt. Der Schamane sagt: Es waren die Geistwesen, die im Heilungsprozess eine wichtige und hilfreiche Rolle spielen.

Gibt es wissenschaftlich handfeste Studien, die die Wirkung belegen?

Nein, keine quantitativen. Aber der Schamanismus ist in Naturvölkern seit Jahrtausenden die Methode der Wahl schlechthin. Er hat nur überlebt, weil er wirkt. Auch wenn wir uns nicht erklären können, wie. Immerhin gibt es Studien, die die Wirkungsweise einiger Verfahren, wie sie auch von den Schamanen angewendet werden, nachgewiesen haben – etwa die therapeutische Arbeit mit inneren Bildern. So hat man in der Krebstherapie festgestellt, dass der Heilungsprozess positiv beeinflusst werden kann, wenn man sich bestimmte innere Bilder vorstellt und mit ihnen arbeitet. Auch die Arbeit mit Musik, Trance-Zuständen, Symbolen und Ritualen hat sich – in Begleitung zu herkömmlichen „schulmedizinischen“ und psychotherapeutischen Verfahren – als therapieförderlich erwiesen.

Würden Sie selbst zum Schamanen gehen?

In gewissen Fällen durchaus! Heilprozesse sind komplexe Vorgänge. Die „Schulmedizin“ erfasst nur einen Teil. Alternative Methoden können sie ergänzen – auch der Schamanismus.

Das Gespräch führte Bas Kast .

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