Dr. WEWETZER: Ein Mittel gegen Ehec
Vor einem halben Jahr machte die Ehec-Epidemie weltweit Schlagzeilen. Anfang Mai traten in Norddeutschland die ersten Fälle einer gefährlichen Darminfektion mit giftigen Coli-Bakterien vom Typ O104:H4 auf. Wichtigstes Symptom war blutiger Durchfall.
Bereits Ende des Monats wurde das Erbgut des Keims entziffert. Und es gelang, Sprossen von einem Biohof im niedersächsischen Bienenbüttel als Erregerquelle ausfindig zu machen.
Zwei Monate später war der Ausbruch weitgehend überstanden. Bilanz: mehr als 4000 Erkrankte, 850 von ihnen am hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), bei dem die Nieren befallen sind. Auch das Gehirn war oft mit betroffen, Delirium, Lähmungen, epileptische Anfälle und Koma dann die Folge. 53 Patienten fielen dem Keim zum Opfer. In schweren Fällen griffen die Ärzte mehr mit dem Mut der Verzweiflung zu einem bislang kaum erprobten Medikament, dem Antikörper Eculizumab. Ein Schritt, der offenbar richtig war.
Drei Eigenschaften machen den Keim besonders brisant. Er bildet ein Gift namens Shiga-Toxin, ist immun gegen bestimmte Bakterienmittel (Antibiotika) und heftet sich an die Darmwand. Ergebnis: ein aggressiver, so noch nie da gewesener Mikroorganismus, „gut dafür gerüstet, Chaos zu stiften“, wie der New Yorker Infektionsexperte Martin Blaser kommentierte. Das Shiga-Toxin macht die Wände der kleinen Blutgefäße in den Nieren „klebrig“ und führt in einer Art Kettenreaktion zu einer Attacke des Immunsystems gegen das Gewebe. Die Blutgefäße verstopfen, und die Nieren versagen. Eculizumab kann das Ausscheidungsorgan gegen diesen selbstzerstörerischen Angriff abschirmen.
Ärzte der Hamburger Uniklinik haben nun erste Informationen über 148 mit Eculizumab behandelte HUS-Patienten veröffentlicht. Die Kranken bekamen den Wirkstoff, nachdem ein entgiftender Austausch des Blutplasmas keinen Erfolg gebracht hatte. Nach Ansicht der Wissenschaftler hat der Wirkstoff sich hervorragend bewährt. Alle Patienten überlebten, und die Schäden an Nieren und Gehirn besserten sich bei 95 Prozent innerhalb von acht Wochen schnell und deutlich. 60 Prozent der Kranken mit Nervenschäden seien wiederhergestellt, die restlichen 40 Prozent hätten nur noch leichte Beschwerden. Der Wirkstoff wird also vermutlich künftig das schmale Arsenal gegen Ehec-Erreger bereichern.
Die andere Frage ist, wie man einen neuen Ausbruch verhindern kann. Das Ehec-Bakterium O104:H4 ist so rasch verschwunden, wie es auftauchte. Es stammt wohl von Bio-Bockshornkleesamen, die Ende 2009 aus Ägypten eingeführt wurden und aus denen die Sprossen in Bienenbüttel gezogen wurden. In feuchtwarmem Milieu gezüchtetes Sprossengemüse ist anfällig für Verkeimung, deshalb sollten Produktion und Produkte auf giftige Colibakterien geprüft werden.
Nur der Herstellerbetrieb in Bienenbüttel sieht sich eher zu Unrecht verdächtigt. Obwohl die Indizien klar für den Hof als (selbstverständlich unabsichtlichen) Verursacher der Epidemie sprechen.
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