Gesundheit: Der weite Weg in die Oase von Turfan
Was Berliner Völkerkundler vor 100 Jahren aus den Orten der alten Seidenstraße mitbrachten, entziffern Forscher bis heute
Von Cornelia Höhling
Sitzgruppen zum Verweilen. Lektüre an Klemmschienen verleitet zum Schmökern. In der „Täglichen Rundschau“ vom 29. Februar 1909 findet sich ein Bericht über den Besuch des Kaiserpaars im Berliner Völkerkundemuseum. Wilhelm II. zeigt sich beeindruckt von der neuen Turfan-Sammlung. Zu lesen sind auch Briefe Albert Grünwedels, Direktor des Völkerkundemuseums. Er leitete zwei der vier Expeditionen in die Oase Turfan und andere zentralasiatische Stätten an der Seidenstraße. Das Museum für Indische Kunst in Dahlem hat seine Archive für eine Ausstellung zur Expeditionsgeschichte geöffnet. Anlass ist der 100. Jahrestag der ersten deutschen Forschungsreise nach Turfan.
Fast drei Jahre hatten die Vorbereitungen gedauert, bis Grünwedel 1902 an der Spitze einer Forschergruppe den weiten Weg nach Zentralasien antreten konnte. Reisepässe mussten beantragt und Grabungsgenehmigungen bei den chinesischen Behörden erwirkt werden. Als schwierigster Teil erwies sich auch damals schon die Beschaffung der nötigen Geldmittel. Grünwedel war mehrfach am Verzweifeln, wie die Zeitdokumente deutlich machen. Ohne private Sponsoren wäre die archäologische Expedition an die legendäre Seidenstraße, die einst das Reich der Mitte mit den Ländern des Westens verband, wohl nicht zu Stande gekommen. Einer der Mäzene war der Großindustrielle Krupp.
Ausdauer und Mühe wurden belohnt. Fotos zeigen Grünwedel mit der Grabungsmannschaft oder im Wintermantel auf der Erde sitzend beim Kopieren der Wandmalereien einer Tempelhöhle aus dem fünften Jahrhundert nach Christus. Im darauffolgenden Jahr kehrte der Völkerkundler mit 46 Kisten voller Kunstschätze zurück, für die eine behördliche Ausfuhrgenehmigung erteilt worden war. Sie reichen von Wandmalereien und Skulpturen aus Lehm, Holz und Bronze über Textilien bis hin zu 40 000 Handschriftenfragmenten in mehr als 20 Schriften und Sprachen. „Die Turfansammlung ist noch heute das Herzstück des Indischen Museums“, sagt Direktorin Marianne Yaldiz.
Bis 1914 sollten drei weitere Expeditionen folgen. Finanzielle Sorgen gab es keine mehr. Von nun an standen sie unter Schirmherrschaft Wilhelm II., der regen Anteil an den Forschungen nahm. Die zweite Expedition von 1904 unter der Leitung von Le Coqs gilt somit als die „Erste Königlich Preußische Turfan-Expedition“.
Obwohl auch in weiter westlich gelegenen Stätten der nördlichen Seidenstraße wie Shorchuk und Tumshuk wichtige Funde ans Licht kamen, trägt die Sammlung traditionell den n der Oase Turfan, die heute zur Autonomen Uigurischen Provinz Xinjiang der Volksrepublik China gehört. Die Aufsehen erregenden Entdeckungen, die die Forscher vor 100 Jahren in den Oasenstädten des Tarimbeckens machten, sollten die Wissenschaftslandschaft verändern. Sie wurden Ausgangspunkt neuer wissenschaftlicher Disziplinen. Zu den Funden gehören Reste der reich bebilderten manichäischen Literatur und Textfragmente einer verschollenen, einst aber weit verbreiteten iranischen Literatursprache, des Sogdischen. Sensationell war die Entdeckung des „Tocharischen“, einer bis dahin unbekannten indogermanischen Sprache. Bis heute sind die am Wegenetz der Seidenstraße geborgenen Kulturschätze noch nicht vollständig ausgewertet, so unermesslich ist der Reichtum der Funde.
Unter den ausgestellten Objekten fällt ein ein Meter langer, achteckiger Holzpfahl auf. Obwohl die uigurische (alttürkische) Inschrift schon kurz nach Ausgrabung durch Grünwedel in Chotscho publiziert wurde, ist ihre Lesung bis heute umstritten. Auf der anlässlich des Turfanjubiläums jetzt in Berlin ausgetragenen internationalen wissenschaftlichen Konferenz war sie erneut Gegenstand eines Disputs. Auf eine genaue Lesart dieser Stifterinschrift für ein buddhistisches Kloster konnten sich Takao Moriyasu (Japan) und James Russel Hamilton (Frankreich) auch dieses Mal nicht einigen.
Unter dem Thema „Turfan Revisited – Das erste Jahrhundert der Erforschung von Kunst und Kultur der Seidenstraße“ präsentierten etwa 120 Wissenschaftler aus über 15 Ländern ihre neuesten Forschungsergebnisse. So gelang Wang Ding (Potsdam) erst kurz vor Eröffnung der Ausstellung die Identifizierung eines einseitig beschriebenen Buchfragments, dessen Schrift bisher für Chinesisch gehalten wurde. Zwischen den Zeilen dieses ersten in der Sammlung entdeckten Fragments in großer Kitan-Schrift befinden sich uigurische Buchstabengruppen, die die Lesung der bisher kaum erforschten Zeichen verdeutlichen. Die Sprache der Kitan ist bisher nur aus Inschriften und chinesischen Glossen bekannt und weitgehend noch nicht identifiziert.
Tagung und Ausstellung dokumentieren auch die Bedeutung der Funde als kulturelles Erbe der Menschheit. Über ein Jahrtausend hatte die Seidenstraße die Hochkulturen Chinas, Indiens und Persiens verbunden. Als buddhistische Mönche aus Indien zur Zeitenwende auf diesem Weg nach China zogen und wenige Jahrhunderte später chinesische Pilger zu den heiligen Stätten Indiens, wurden hier buddhistische Gemeinden gegründet. In Chinesisch-Turkestan gefundene indische Palmblatt-Handschriften aus dem 3. Jahrhundert nach Christus bezeugen den regen Austausch nicht nur von Handelsgütern wie der Seide, sondern auch von Kulturen und religiösen Werten. Bis zum Ende der mongolischen Herrschaft im 14. Jahrhundert gilt Ostturkistan als Brücke zwischen Ost und West. Die archäologischen Funde brachten neue Erkenntnisse über die Wander- und Austauschwege von Kunststilen, Religionen und Erzählstoffen über die vorwiegend kommerziell genutzten Handelsstraßen. Beim Rundgang erzählen hölzerne Aschenurnen, stehende Buddhas und eine bemalte Elefantenkopfstele aus Lehm ihre eigene Geschichte.
„100 Jahre Turfanexpedition – Kunst und Kulturen der Seidenstraße – eine Dokumentation“, bis 5. Januar 2003 im Museum für Indische Kunst, Lansstraße 8 (Dahlem); Die. bis Fr. 10 bis 18 und Sa. und So. 11 bis 18 Uhr.
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