Gesundheit: Der Computer der alten Griechen
Schon vor mehr als 2000 Jahren konnte die Bahn von Sonne und Planeten mit Rechenapparaten bestimmt werden
Rechenmaschinen gelten als Produkte der Neuzeit. Doch ihre Geschichte reicht bis vor die Zeitenwende zurück. So wurde der Abakus, ein mit Kugeln oder Steinen bestücktes Rechenbrett, bereits um 1100 vor Christus im indochinesischen Kulturraum erfunden. Auf dem Balkan und von Arabien bis China ist die praktische Hilfe bis heute auf Märkten oder Basaren im Gebrauch.
Nun gibt der einfach gebaute Abakus, bei dem die Lage der Kugeln bestimmte Zahlen darstellt, kaum Rätsel über seine Funktion auf. Dagegen regt ein anderer jahrtausendealter Rechenapparat vom Tag, an dem er aus dem Meer gezogen wurde, bis heute die Fantasie an. „Es handelt sich um den ersten Rechner der Welt“, sagt Wolfram Lippe vom Informatik-Institut der Universität Münster. Der Hochschullehrer arbeitet an einem Buch über die Geschichte von Rechenmaschinen und widmet dem „Räderwerk von Antikythera“ ein ganzes Kapitel.
Als der halb zerfallene Holzkasten im Jahre 1900 unweit der kleinen Ägäis-Insel Antikythera gefunden wurde, war seine wissenschaftliche Bedeutung nicht absehbar. Anfangs sogar als Fälschung verdächtigt, gilt das uhrwerkähnliche Gebilde mittlerweile als ausgetüftelter Rechner, mit dem sich die Bewegungen der Himmelskörper bestimmen lassen.
Von dem komplexen Räderwerk sind aber nur wenige Teile erhalten geblieben, viele Inschriften konnten lange nicht entziffert werden. So war immer die neueste wissenschaftliche Technik gefragt, um den Mechanismus aufzuklären. Im letzten Jahr kamen griechische und englische Wissenschaftler in Athen zusammen, um mit Röntgenapparaten, Computertomografen und Scannern die zerbrechlichen Funde zu analysieren.
Vor kurzem präsentierten nun die Archäologen, Astronomen, Mathematiker und Chemiker der Universitäten Athen und Thessaloniki sowie der englischen Hochschule in Cardiff und des griechischen Nationalmuseums ihre Ergebnisse. Mit Magnetresonanzspektroskopie war es gelungen, auf den Zahnrädern eingeritzte Inschriften lesbar zu machen, die manche Forscher als Gebrauchsanleitung verstehen. „Der Antikythera-Mechanismus funktioniert wie ein komplexer mechanischer Computer, der die Kreisläufe des Sonnensystems aufspürt“, sagte Xenophon Moussas, Astrophysiker an der Uni Athen. Der aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert stammende Mechanismus sei wohl vom Astronom Poseidonius auf Rhodos konstruiert worden.
Fast unglaublich klingt die Mitteilung, die antike Apparatur sei mit einem Differenzialgetriebe versehen gewesen, ein Mechanismus, der zu den schwierigsten mechanischen Konstruktionen gehört. „Ein solches Prinzip ist erst knapp 2000 Jahre später wieder präsentiert worden“, sagt Lippe. Genauer gesagt erst wieder 1832, als ein Differenzialgetriebe in England als Patent angemeldet wurde. 1896 wurde die Technik erstmals in Kraftfahrzeuge eingebaut und dient vor allem dazu, die Drehzahldifferenz zwischen äußerem und innerem Rad auszugleichen.
An derartig hochkarätige Technologie dachte keiner, als Taucher vor 106 Jahren ein Schiffswrack aufspürten. Es lag zwischen Kreta und der Südspitze der Peloponnes in 40 Meter Tiefe. Es seien aber nicht, wie oft berichtet, Schwammtaucher gewesen, sondern Räuber, die auf wertvolle Kunstwerke und Münzen aus waren, sagt Lippe.
In dem versunkenen römischen Schiff fanden sich tatsächlich antike Statuen und Amphoren. Unter der Beute war aber auch eine vermoderte Holzschachtel, in der verkrustete bronzene Klumpen lagen. Der Fund gelangte ins Athener griechische Nationalmuseum, wo der Archäologe Spyridon Stais im Jahre 1902 einen Teil einer runden Skala als Zifferblatt identifizieren konnte. Er entdeckte zudem griechische Beschriftungen mit Hinweisen auf den damals gültigen Kalender, auf Sonne, Mond und die seinerzeit bekannten fünf Planeten. Auf dem Schiff gefundene Münzen und die Beschriftung des Gehäuses ließ ihn auf das Jahr 80 vor Christus als Entstehungsdatum des rätselhaften Gebildes schließen.
„Es handelt sich um eine Reihe von Zahnrädern in 60-Grad-Verzahnung“, sagt Lippe. Das sei eine „echte Sensation“ im Vergleich zu den damals angewandten, recht simplen Zahnradtechniken, bei denen die Kraft im rechten Winkel übertragen wurde. So bezeuge der Fund von Antikythera technische Fähigkeiten bereits zu Zeiten Christi, wie man sie früher nicht für möglich gehalten habe.
Ähnliches empfand 1958 auch der Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price von der amerikanischen Universität Yale (New Haven, Bundesstaat Connecticut), als er im Athener Museum die beschädigten Fragmente betrachtete. Fasziniert von dem antiken Geheimnis arbeitete er über ein Jahrzehnt daran, die vollständige Apparatur zu rekonstruieren. Unter den Verkrustungen entdeckte er etwa 30 aus Bronze gefertigte Zahnräder.
Weitere Aufschlüsse über Aufbau und Funktion des Zahnradgetriebes gaben Röntgenaufnahmen. Auffallend sind kreisförmige Skalen mit Sternzeichen und – dagegen verschiebbar und konzentrisch dazu – entsprechende Einteilungen mit Monatsnamen. „Das Frontblatt stellt das einzig bekannte umfassende antike Exemplar eines wissenschaftlich gebauten Instruments dar“, sagt Lippe. Auf der Rückseite des Räderwerks fanden sich vier wiederum konzentrisch gegeneinander verschiebbare Ringe, die auf andere Himmelskörper hinwiesen.
„Der Mechanismus ähnelt einem modernen Analogcomputer, der mechanische Teile benutzt, um Berechungen zu speichern“, erklärt Lippe. Die Apparatur sei wahrscheinlich in der Hand gehalten und durch ein seitliches Rad gedreht worden. Die Achse, über die die Eingabe erfolgte, setzte eine ganze Kaskade von Zahnrädern in Gang. Über eine Reihe von Schäften wurden schließlich die Zeiger des Ziffernblattes bewegt.
Auch nach den neuesten Erkenntnissen der Forscher bleibt die Frage offen, wie die komplizierte Technik rund eineinhalb Jahrtausende vor Erfindung der mechanischen Uhr geschaffen werden konnte. Schließlich sind keine schriftlichen Quellen über derartige Konstruktionen bekannt. Warum ist dieser – so Lippe – „unglaubliche Wissensstand der Fertigungstechnik“ so lange verborgen geblieben? „Im Mittelalter ging in Europa viel Wissen über die antiken Künste verloren“, sagt der Münsteraner Informatiker. Forscher aus der ganzen Welt arbeiten nun daran, das Dunkel, das auch über der Geschichte antiker Rechentechnik liegt, weiter aufzuhellen.
Paul Janositz
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