Gesundheit: Das Ende der Tage
Mit der Pille kann die Monatsblutung ganz gestoppt werden – eine Erleichterung für die Frau oder ein Marketingtrick der Pharma-Industrie?
„Schön wäre es schon“, reagiert die 35 Jahre alte Pillenbenutzerin auf die Frage, ob sie mit dem Verhütungsmittel nicht auch gleich ihre Regel abschaffen wolle. „Aber geht das denn wirklich?“ Unter Frauen sei es bislang nur „ein waberndes Gerücht“, dass man die Pille gar nicht einmal pro Monat absetzen müsse. Immerhin habe eine Freundin das Verhütungsmittel schon mal den fünfwöchigen Traumurlaub unbeschadet „hindurchgenommen“, um Kopfschmerz und Schlappheit zu entgehen. Und viele Sportlerinnen würden ihren Zyklus angeblich per Pille an den Wettkampfplan anpassen. Wirklich reden wollten über solche Fälle aber noch nicht einmal die Frauenärzte.
Bei der klassischen Pille macht die Frau einmal im Monat für sieben Tage Pause. Die Regel setzt ein – auch wenn sie keine biologische Funktion mehr hat. Die Grundidee dabei ist, den natürlichen Rhythmus des Organismus nicht zu stören.
Zumindest in Expertenkreisen ist dieser Grundsatz seit einigen Jahren ins Wanken gekommen: Zuletzt diskutierten Gynäkologen auf dem Menopause-Kongress in Wien offensiv, wie nötig die monatliche Blutung in Zeiten der Antibaby-Pille sei. „Wenn eine Frau nicht schwanger werden will, ist ihre Menstruation zu keinem Zeitpunkt notwendig oder sinnvoll“, sagte der Konstanzer Internist Rolf-Dieter Hesch. Letztlich sei es ein unnatürlicher Zustand, dass Frauen 13 mal im Jahr bluteten: „In der Natur ist die Frau entweder schwanger oder sie stillt.“ Damit spielt er auf Studien der 1980er Jahre an, die zeigten, dass in Völkern, die keine Verhütung kennen, Frauen im Mittel nur 100 Blutungen in ihrem Leben haben – Frauen in der westlichen Welt jedoch 400.
Hesch hat schon vielen Frauen mit den Pillenhormonen zu einem Leben ohne Regel verholfen. Sogar solchen, die vorher gar nicht die Pille nahmen. Viele Ärzte distanzieren sich jedoch davon, die Tage sogar bei Frauen zu unterdrücken, denen sie keine gesundheitlichen Probleme bereiten.
Die US-Firma Barr Laboratories kündigte dessen ungeachtet noch für dieses Jahr die Zulassung von „Seasonale“ an. Dieses Präparat unterscheidet sich in nichts von gewöhnlichen Pillen – nur wird die künstlich ausgelöste Blutung nicht alle 28 Tage, sondern alle drei Monate ausgelöst.
Europas Marktführer für hormonelle Verhütungsmittel, die Berliner Schering AG, strebt keine Zulassung eines solchen Mittels an, versichert Schering-Mitarbeiter Alexander Rübig. Natürlich beschäftige man sich mit dem Thema, seit man 1961 die erste deutsche Pille auf den Markt brachte. „Damals schien es jedoch wichtig, so wenig wie möglich in den Zyklus der Frau einzugreifen“, wie der Experte sagt.
Laut Rübig ist es allerdings „gynäkologisches Allgemeingut“, dass einige Frauen die Pause gelegentlich übergehen. So fanden Schering-Mitarbeiter einer Europa-weiten Umfrage heraus, dass etwa ein Drittel der Frauen durchaus bereit wären, die Pille durchzunehmen. In Skandinavien waren es mehr als die Hälfte. „Es gibt sogar wichtige medizinische Indikationen“, sagt Rübig. Beim prämenstruellen Syndrom, bei dem Frauen einige Tage vor den Tagen über Unterleibsschmerzen und Verstimmungen klagen und auch bei der zyklusabhängigen Migräne, bei der sie immer während der Menses heftige Kopfschmerzattacken bekommen, würden Ärzte zum künstlichen Verlängern des Zyklus raten.
Wie wichtig Aufklärung ist, hat Rübig in der eigenen Praxis erfahren: „Es ist überhaupt nicht vorhersehbar, ob und wann eine Frau, die die Pille durchnimmt, Blutungen bekommt.“ Diese könnten bereits nach wenigen Wochen, aber auch erst nach 15 Monaten auftreten. „Das Ganze ist unbedenklich, die Frau muss dann nur die Pille für sieben Tage absetzen, was eine richtige Entzugsblutung auslöst.“
Barbara Wanner, Hormonexpertin und niedergelassene Ärztin in Zürich, wittert hinter der Diskussion eine gezielte Manipulation der Frauen durch die Pharmaindustrie: „Wenn man den Frauen jetzt in die Köpfe setzt, es sei ganz normal, keine Mens zu haben, dann akzeptieren sie es später eher als Begleiterscheinung eines Verhütungsmittels.“
Misstrauisch macht sie, dass die Diskussion um den Sinn der Regel zur gleichen Zeit auflebte, als die ersten hormonellen Verhütungsmittel auf den Markt kamen, die dauerhaft Substanzen aus der Gestagenfamilie abgeben. Etwa die Hormonspirale Mirena, das implantierbare Stäbchen Norplant oder die Dreimonatsspritze Depo-Provera. Diese Mittel bewirken häufig ein Ausbleiben der Blutung. Es sei im Interesse der Hersteller, diese Begleiterscheinung in einem guten Licht erscheinen zu lassen.
Für die Züricherin ist es zudem bedenklich, dass einmal mehr ein normaler Zustand – die monatliche Blutung – zu einem unnatürlichen, fast schon krankhaften Geschehen umgedeutet wird. „Heute gehört es zu den Marketing-Strategien, neue Krankheitsideen zu verbreiten, um Bedürfnisse für bestimmte Pharma-Produkte zu erzeugen.“ Bislang habe keine Langzeitstudie die Unbedenklichkeit eines pausenlosen Pillenkonsums belegt. „Woher weiß ich zum Beispiel, ob nicht doch das Risiko für Krebs des Gebärmutterkörpers oder Osteoporose steigt?“
Vor allem ist Wanner „absolut dagegen“, neuerdings auch Frauen ohne Regelprobleme zu Kandidatinnen für den ununterbrochenen Hormonkonsum zu küren. Es sei absurd, bei jungen Frauen den Östrogenspiegel zur Regelverhütung zu senken, um ihn nach der Menopause zur Vorbeugung vor Alterskrankheiten künstlich wieder anzuheben, deutet sie auf die gängige Praxis der Hormonsubstitution nach den Wechseljahren an. Bei Frauen, die ein wirkliches medizinisches Problem mit den Tagen hätten, sei es etwas ganz anderes: „Bei Kopfschmerzen in der Pillenpause oder sehr starken Menstruationen ist es sinnvoll, den Zyklus zu verlängern. Zyklen, die sechs bis acht Wochen dauern, gibt es ja auch ohne Pille.“
Peter Spork
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