Gesundheit: Baby-Blues
Die postnatale Depression trifft viele Frauen – nun studieren Ärzte erstmals auch das Befinden des Mannes
Tom Cruise, letzte Woche: Wochenbett- Depressionen, meinte der Hollywoodstar, den die Medien in den USA schon spöttisch als „Dr. Cruise“ titulieren, könne man mit Vitaminen und einem Bewegungsprogramm verscheuchen. Den Einsatz von Medikamenten, erklärte der Scientology-Anhänger in einer US-Talkshow für überflüssig, die Psychiatrie für eine „Pseudo-Wissenschaft“. Seine Kollegin Brooke Shields, deren Buch über die eigene Depression nach der Geburt ihrer Tochter als Aufhänger für den Rundumschlag gedient hatte, konterte in der „New York Times“: „Ich wette, Mister Cruise hat nie unter einer Wochenbett- Depression gelitten!“
Die Hälfte aller Wöchnerinnen kennt den „Baby Blues“ zwei bis vier Tage nach dem freudigen Ereignis. Der sprichwörtliche Heultag, dessen biochemische Grundlage der rapide Abfall der Hormone Östrogen und Progesteron nach Beendigung der Schwangerschaft bildet, macht jedoch meist seinem Namen Ehre: Er dauert wirklich nur ein bis zwei Tage.
Etwa jede zehnte Frau hat aber länger darunter zu leiden. „Die Zahlen hängen davon ab, welche Messinstrumente für die Diagnostik verwendet werden“, sagt die Psychologin Corinna Reck, die an der Klinik für Allgemeine Psychiatrie der Uni Heidelberg ein Mutter-Kind-Projekt leitet. In einer Studie ermittelt sie, wie weit verbreitet nicht nur der harmlose Baby Blues, sondern auch echte Depressionen bei jungen Müttern wirklich sind.
Die Betroffenen fühlen sich nicht nur erschöpft und müde, ein Zustand, den so gut wie alle junge Eltern kennen, sondern können auch keine Freude über das Baby empfinden. Es kommt ihnen sogar fremd vor, nicht zu ihrem Leben gehörig, obwohl es zuvor doch meist heiß ersehnt war. Selbst Frauen, die jahrelang auf eine Schwangerschaft warten mussten, können darunter leiden. „Die Frauen schämen sich, weil man sich doch eigentlich freuen sollte“, sagt die Psychiaterin und Psychotherapeutin Iris Hauth, Chefärztin am Berliner St. Joseph Krankenhaus in Weißensee. Auch Corinna Reck spricht vom Druck, den die Mütter auf sich lasten fühlen, „in einer Phase, in der man doch glücklich sein muss“. Einige der jungen Mütter wollen vor Verzweiflung sogar sich und dem Kind das Leben nehmen. Und jede tausendste Frau bekommt im Anschluss an eine Schwangerschaft eine schwere Psychose. „Diese Frauen leiden unter Verfolgungsideen, sie haben Halluzinationen und ein verändertes Realitätsempfinden“, sagt Hauth.
Schnell mit der Behandlung zu beginnen, ist für Mutter und Kind wichtig. Die Krankheit raubt ihnen sonst eine unwiederbringliche gemeinsame Lebensphase. „Schon wenn eine solche Depression drei Monate andauert, kann die psychische und motorische Entwicklung des Säuglings beeinträchtigt sein“, sagt Pascale Britsch, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, die im Berliner DRK- Krankenhaus Westend mit Müttern und ihren Babys arbeitet.
Viele junge Mütter haben Angst, sich für eine Therapie von ihren Kindern trennen zu müssen. In einigen Krankenhäusern können heute junge Mütter, die kurz nach der Entbindung psychisch krank werden, zusammen mit den Babys aufgenommen werden. „Wir behandeln die Mutter, parallel dazu wird aber auch die Mutter-Kind-Beziehung behandelt“, sagt Iris Hauth. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Mütter lernen, auf die Signale des Kindes zu achten und sie kindgerecht zu beantworten. „Die intuitiven Kompetenzen, die wir alle haben, werden durch eine psychische Erkrankung häufig blockiert“, sagt die Psychologin Reck.
Im St. Joseph Krankenhaus werden die Patientinnen bei der Pflege der Kinder durch Säuglingsschwestern unterstützt. Zur Behandlung ihrer Depression gehört eine Psychotherapie. Wenn sie Antidepressiva brauchen und noch stillen, wird die Auswahl der Mittel nach Möglichkeit darauf abgestimmt. Nach vier bis sechs Wochen können sie meist in der Tagesklinik weiter betreut werden.
Dass kurz nach der Geburt des Kindes bei der Mutter eine Depression ausbrechen kann, erklärt man sich heute nicht mit den Hormonen allein. Zwar muss nach deren Talfahrt ein neues Gleichgewicht im Verhältnis zu den Botenstoffen des Gehirns gefunden werden. „Trotzdem sind die Hormone – neben den Geschlechtshormonen sind das auch die der Schilddrüse und das Cortisol – nur der Auslöser für ein Geschehen, das eine besondere Anfälligkeit voraussetzt“, sagt Pascale Britsch. Risikofaktoren sind psychische Erkrankungen in der Familie und in der Vorgeschichte der jungen Frau selbst.
Für Anfällige können in der frühen Elternphase auch andere Auslöser als die Hormone zur Gefahr werden. So weiß man, dass auch Adoptivmütter in dieser Zeit verstärkt Depressionen bekommen. Mit den psychischen Problemen „frisch gebackener“ junger Väter, vor allem aber mit deren Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder hat sich bisher aber noch kein Forscherteam so richtig beschäftigt. „Meist wurden Väter nur als willkommene Spielkameraden gesehen, die aber nur einen marginalen Effekt auf die Entwicklung ihrer Kinder nehmen“, heißt es in einem Kommentar zu einer Studie, die jetzt im Medizin-Fachblatt „Lancet“ veröffentlicht wurde.
Dort geht es um Depressionen junger Väter und ihre Auswirkungen auf die frühe Entwicklung ihrer Kinder. Paul Ramchandani von der Universität Oxford und seine Arbeitsgruppe haben dafür erstmals auch 12800 junge Väter, die mit Frau und Kind zusammenleben, acht Wochen nach der Geburt des Kindes und 21 Monate danach anhand der anerkannten „Edinburgh Postnatal Depression Scale“ eingestuft. Als die Kinder dreieinhalb Jahre alt waren, untersuchten die Forscher sie im Hinblick auf Verhalten und emotionale Entwicklung. Es zeigte sich, dass die Kinder, vor allem die Söhne, in beiden Bereichen größere Probleme hatten, wenn die Väter in der frühen Phase unter Depressionen zu leiden hatten. Der väterliche Gemütszustand wirkte sich auch dann ungünstig auf die Entwicklung aus, wenn die Mutter nicht unter einem längeren Baby Blues gelitten hatte. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass väterliche Depressionen einen spezifischen und anhaltenden ungünstigen Einfluss auf die frühe Entwicklung des Verhaltens und der Gefühle ihrer Kinder haben“, resümiert Ramchandani.
Junge Väter werden durch Schwangerschaft und Geburt nicht wie ihre Frauen mit starken körperlichen Veränderungen konfrontiert. Die neue familiäre Rollenverteilung kann jedoch auch ihr Leben erschüttern. In einem Punkt könnte Brooke Shields also Unrecht haben: Tom Cruise, der Medienberichten zufolge bald wieder eine Familie gründen will, ist vor einer Depression nach der Geburt eines Kindes keineswegs gefeit, nur weil er ein Mann ist.
Adelheid Müller-Lissner
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