Gesundheit: Astronomen machen große Augen
Mit neuen Teleskopen wird man sogar eine Münze auf dem Mond erkennen
Der Blick ins All wird immer schärfer. Das 1948 in Betrieb genommene Fünf-Meter-Spiegelteleskop auf dem Mount Palomar in Kalifornien blieb über Jahrzehnte die unbestrittene Nummer Eins unter den künstlichen Augen, die in den Kosmos schauten. Es schien unmöglich, noch größere Teleskope zu bauen. Denn das Glas der massiven Riesenspiegel verformte sich bei Temperaturschwankungen. Erst als die Mainzer Firma Schott Ende der 60er Jahre die temperaturunabhängige Glaskeramik „Zerodur“ entwickelte, ergaben sich neue Möglichkeiten.
„Dieses Material kann man bei 200 Grad in den Ofen stecken und anschließend in kalten, flüssigen Stickstoff werfen, ohne dass es platzt", sagt Axel Quetz vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, das damals den Auftrag für die Entwicklung des Spiegelmaterials erteilte. Der „Spin-Off“ für die Alltagswelt: Die Glaskeramik findet sich heute in Küchen: als „Ceran-Kochfeld“.
Neben Zerodur ermöglichte auch eine zweite Erfindung in den 90er Jahren den Bau einer neuen Generation von Superteleskopen: die adaptive Optik. Bei dieser Technik misst der Computer das hin- und hertanzende Bild eines Sternes. Mit Hilfe elektronischer und mechanischer Bauteile wird ein flexibler Teleskopspiegel anschließend blitzschnell so verformt, dass er die Luftunruhe korrigiert und ein gestochen scharfes Bild erzeugt. Insbesondere bei Infrarotaufnahmen gelingt das inzwischen gut. Nun haben Astronomen sechs Observatorien mit zehn Geräten in Betrieb genommen, deren Spiegel acht Meter oder größer sind. Vier weitere Teleskopspiegel dieser Klasse sind in Bau.
Bereits seit Mai 1993 macht das Keck-Teleskop vom mehr als 4000 Meter hohen Gipfel des Mauna Kea auf Hawaii aus Weltraumbilder. Sein Zehn-Meter Spiegel ist nicht aus einem Stück gefertigt, sondern aus 36 sechseckigen Segmenten zusammengesetzt. Mit dem Keck-Teleskop und seinem 1996 gebauten Nachbargerät haben Forscher etliche der inzwischen rund 100 bekannten Planeten außerhalb unseres Sonnensystems nachgewiesen. Die kalten Planeten senden kein eigenes Licht aus. Astronomen konnten nur indirekt auf ihre Existenz schließen: Große, massereiche Planeten bringen die Sonne, die sie umkreisen, durch ihre Anziehungskraft ein wenig ins Schwanken. Und dieser Tanz des Sterns lässt sich messen.
Mit einem anderen Gerät hoffen Astronomen, einen Planeten erstmals direkt sichtbar machen zu können: dem „Very Large Telescope“ (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) in der chilenischen Atacama-Wüste. Seine vier Spiegel haben jeweils 8,2 Meter Durchmesser. Es sind – anders als bei den Keck-Teleskopen – einzelne Scheiben. Sie sind mit 20 Zentimetern extrem dünn und biegsam. Ihre Form wird durch 150 hydraulische Stempel stabilisiert und bei der Bewegung des Teleskops ständig korrigiert. Die Geräte sind so konstruiert, dass sich das Licht der vier Spiegel zusammenführen lässt. Durch diesen Trick lässt sich die Sehschärfe enorm steigern.
Im vergangenen Jahr gelang es erstmals, zwei der Teleskope zu koppeln. Sie wurden unter anderen auf Proxima Centauri gerichtet, den nächstgelegenen Fixstern. Dabei stellte sich heraus, dass er siebenmal kleiner ist als unsere Sonne. Allerdings war die Aufnahme, die Astronomen aus den kombinierten Lichtstrahlen gewannen, nicht mit einem normalen Bild zu vergleichen.
Die sich überlagernden Lichtstrahlen erzeugen ein Muster aus Lichtstreifen (Interferometrie). Die Lichtstrahlen verstärken sich zum Teil, zum Teil löschen sie sich gegenseitig aus. An dem entstandenen Streifenbild erkennen Astronomen nach elektronischer Bearbeitung, ob ein beobachtetes Objekt aus einem oder mehreren Lichtpunkten besteht.
Im Endausbau soll das VLT-Interferometer nicht nur die vier großen Acht-Meter-Teleskope, sondern zusätzlich vier auf Schienen verschiebbare 1,8-Meter Hilfsteleskope kombinieren. Mit der kompletten Anlage wird dann ein richtiges Bild zu sehen sein. Sie wird eine Sehschärfe haben, die der eines einzelnen Teleskop-Spiegels von 200 Metern Durchmesser entspricht und mit dem sich auf dem Mond eine Geldmünze erkennen lassen wird. Damit könnte auch ein Planet, der eine ferne Sonne umkreist, erstmals sichtbar gemacht werden.
Spiegel im Weltraum
Mit solchen Fähigkeiten wird das VLT auch das im April 1990 ins All geschossene Hubble-Weltraumteleskop übertreffen. Der Spiegel dieses 1,5-Milliarden-Dollar-Projekts ist mit seinen „bescheidenen“ 2,4 Meter Durchmesser dem Lichtsammelvermögen erdgebundener Teleskope unterlegen. Allerdings macht es Bilder von exzellenter Schärfe. Durch die Entwicklung der adaptiven Optik auf der Erde und der Interferometrie schrumpft dieser Vorzug immer weiter.
Dennoch grübelt die Nasa bereits über einen Hubble-Nachfolger: das „James Webb Space Telescope“. Es soll im Jahr 2010 in den Orbit geschossen werden und mit einem aus 36 Einzelelementen aufgebauten Sechs-Meter Spiegel in die Tiefe des Weltraums blicken. Da die erdgebundene Konkurrenz immer leistungsfähiger wird, wird sich das künftige Auge im All vor allem auf solche Strahlung konzentrieren, die nicht durch die Erdatmosphäre dringt und deshalb vom Boden aus nicht beobachtet werden kann: ultraviolettes Licht, das vor allem heiße Sterne abgeben, und langwellige Infrarotstrahlung. Die Idee für die nächste Generation erdgebundener Superteleskope kommt von den Europäern und heißt „Overwhelmingly Large Telescope“ (OWL). Dieses Riesenauge von 100 Metern Durchmesser soll aus rund 3000 Einzelspiegeln zusammengesetzt werden und die Erfahrungen und Vorzüge aller bisherigen Teleskopkonstruktionen in sich vereinen. Wegen der riesigen Lichtsammelfläche könnte es extrem lichtschwache Objekte aufspüren.
„Es wäre sehr interessant, sich damit erdähnliche Planeten anzusehen“, sagt ESO-Mitarbeiter Richard West über das zukünftige Hightech-Gerät. Denn mit dem Riesenteleskop ließe sich auch das schwache Licht eines solch kleinen Planeten in seine Farbanteile zerlegen. Mit dieser Zusatzinformation könnten Forscher die chemische Zusammensetzung des Planeten studieren. Daneben soll das Teleskop enthüllen, wie sich einige 100 Millionen Jahre nach dem Urknall die ersten Sterne und Galaxien gebildet haben und welche Prozesse das Universum zu dem gemacht haben, was es heute ist.
Das Superteleskop könnte 2012 in Betrieb gehen und mit einer 40-mal besseren Sehschärfe als das Hubble-Weltraumteleskop und der Lichtsammelfläche eines ganzen Fußballfeldes alle bisherigen Bilder des Kosmos in den Schatten stellen. Das allerdings hat seinen Preis: Rund 900 Millionen Euro werden für das Projekt kalkuliert.
Henning Engeln
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