Drei-Sterne-Koch Björn Frantzén: Zu Gast im vielleicht besten Restaurant der Welt
Das Stockholmer Restaurant von Björn Frantzén gilt selbst im Drei-Sterne-Adel als etwas Besonderes. Wir haben uns angesehen, was der schwedische Überflieger anders macht als andere.
Das fette Grinsen hört an diesem Abend nicht mehr auf, und es beginnt schon im Fahrstuhl. Drinnen ist es dunkel, er bewegt sich langsam aufwärts, das Licht wird heller, und die Musik schwillt sanft an, es ist „Back in black“ von AC/DC. Kein konventioneller Start in ein Spitzen-Menü, aber einer, der Laune macht – und diese gute Laune wird uns in den folgenden gut fünf Stunden bei Björn Frantzén in Stockholm nicht mehr verlassen. Die locker kostümierte Hochpräzision, die dieses Restaurant in allen Bereichen kultiviert, beantwortet die übliche Frage nach der Zukunft der Gastronomie: So könnte sie aussehen, jedenfalls, wenn wirklich alles gut geht.
Jeder, der mit irrem Glück einen Platz in diesem Restaurant bekommt, reist mit allerhöchsten Erwartungen an, weiter weg vom Geheimtipp-Status könnte es nicht sein. Drei Chefs mit drei Michelin-Sternen gibt es in ganz Skandinavien, Frantzén ist einer von ihnen. Ein paar Extrem-Blogger lassen überdies deutlich durchblicken, dass sie ihn generell gegenwärtig für den Besten halten. Damit muss einer erstmal klarkommen! Wir waren nun da, haben den Chef selbst nicht einmal zu Gesicht bekommen. Aber seine Truppe hat unsere Erwartungen sogar noch übertroffen.
Ordnen wir die Küche Frantzéns grob ein, bevor es in die Details geht. Mit der typischen, fast schon zum Klischee geronnenen skandinavischen Nova-Regio-Küche hat er absolut nichts zu tun (und deshalb gottlob auch nichts mit dem Naturwein-Fimmel). Der Hummer kommt aus Irland, das Perlhuhn und der Kaviar aus Frankreich, die Jakobsmuscheln, immerhin, aus Norwegen – und die zugrundeliegende Ideenwelt, der Respekt vor dem Produkt und die Wertschätzung des Optischen, das alles ist sogar zweifelsfrei japanisch. Man könnte sagen, dass sich hier das japanische Kaiseki-Menü, die leichte Speisenfolge zur Teezeremonie, in europäischem Rahmen selbstständig gemacht hat.
Das ist ausschließlich stilistisch gemeint, denn die japanischen Modezutaten, die heute jeder deutsche Azubi ins Essen kippt, Dashi und Mirin und Soja und Miso und Yuzu – sie kommen hier kaum vor, aber es stehen ein paar andere japanische Vokabeln auf der Karte, die eher die Art der Zubereitung betreffen. Überhaupt fällt die Würzung betont zurückhaltend aus und nährt damit den bekannten Verdacht, dass viel Gewürze in erster Linie den Sinn haben, Mängel an den Grundprodukten zu übertönen.
Fabelhafte Balance der Konsitenzen und Aromen
Der Reihe nach. Der Fahrstuhl öffnet sich, die Gäste werden im Dachgeschoss des kleinen Stadthauses in Empfang genommen und mit Wasser versorgt. Dort ist eine recht große Bar-Lounge mit Dachgarten aufgebaut, die jeder Gast passiert, bevor er, dann per Treppe, wieder ins Restaurant hinuntergeht. Ein Glas Champagner ist hier unumgänglich, die Auswahl ist groß und skandinavisch teuer, aber dann kommen die kleinen Häppchen, kleine Präzisionswunderwerke, die vorwegnehmen, was später kommen wird.
Die grünen Erbsen, die mit Basilikumblüten in einem winzigen Tartelette serviert werden, könnten nicht ausdrucksstärker und zarter sein, und die Macarons mit Foie Gras, Lakritz, Salzzitrone, Möhren und einem winzigen Hafer-Cracker zeigen die Feinmechanik dieser Küche, die fabelhafte Balance der Konsistenzen und Aromen mit kaum merklicher Süße. Schließlich kommt die Drei-Sterne-Version des Råkaka, einer schwedischen Rösti-Variante, hier umgesetzt als Rolle mit knuspriger Sauerrahmfüllung, bedeckt mit reichlich Maränenkaviar und genau kalkuliert milden, marinierten Zwiebelringen.
Nächster Akt: Vorhang auf für die Hauptdarsteller. Eine Kellnerin zieht eine Holzplatte beiseite, darunter liegen auf Eis die Hauptzutaten des Menüs, Makrelen, ein Hummer, Trüffel, eine Perlhuhnkeule und der Vin Jaune aus dem Jura, der ihr zugedacht ist. Die Erklärung ist ausführlich, soll die spätere Prozedur am Tisch verkürzen, eine gute Idee. In einer winzigen Maiscreme macht sich Trüffelaroma ein bisschen zu breit, ein Konzentrat aus eigener Herstellung, wie zu erfahren ist – am Ende wird die übergroße Vorliebe dieser Küche für Trüffeln sich als kleines stilistisches Manko erwiesen; extreme Trüffelfans sehen das sicher ganz anders.
Das Restaurant drunten ist eher eine offene Küche – man darf sogar an den Herd gehen, wo Küchenchef und Souschef hallo sagen. Hallo sagt auch das offene Feuer, das sich später als das wichtigste Instrument der Frantzén-Küche herausstellen wird. Grobe Schätzung: Hier entfällt knapp ein Mitarbeiter auf jeden Gast, das erklärt den Menüpreis von rund 300 Euro.
Wie in fast allen Drei-Sterne-Restaurants der Welt wird die Speisekarte hier ganzjährig um die Signature-Gerichte herumgebaut, die allerdings nach Jahreszeit und Liefermöglichkeiten variabel bleiben. Eines dieser Gerichte ist der in Blütenform angerichtete rosa Rettich mit rohem Fisch – für uns Makrele mit japanischem Ingwer (Myoga) in einer Vinaigrette mit Tomatensaft und fermentierten Erdbeeren – eigentlich untypisch, weil hier der Fisch in die Aromen gleichberechtigt eingereiht wird und so Teil eines Mischgeschmacks wird, der mit betonter Säure den Gaumen wachkitzelt.
Dann geht die Sache mit den kulinarischen Wundern los, es ist die Konsistenz des Hummerfleischs, dessen verblüffend saftiger Biss weder zäh noch fasrig wirkt – das hatte so noch keiner an unserem Tisch erlebt. Und auch die sanfte Süße des Hummerfleischs kann sich auf einer Hollandaise-ähnlichen Ingwer-Butter-Emulsion neben geröstetem Koshihikari-Reis voll entfalten, weil kein Zucker im Spiel ist und auch die Säure gedämpft bleibt. Es sind vor allem diese Balance-Kunststücke, die zeigen, wie weit Frantzén vorn liegt, wenn es um nichts als die Optimierung des Geschmacks der Basisprodukte geht.
Über dem offenen Feuer lassen sich die Röstaromen genau dosieren
Dann das Feuer. Die Jakobsmuscheln werden hier wie später auch das Fleisch nicht gegrillt, sondern über offenem Feuer per Hand gegart. Das macht einen großen Unterschied, weil sich die Röstaromen genau dosieren lassen; in einem steten Wechselspiel von Erhitzen und Ruhe wird ein genau dosierter Gareffekt erreicht, die Muschel ist nicht abgeflämmt und innen roh wie meist, sondern durchgegart bei höchster Saftigkeit. Das hat auch nichts mit dem rituellen Verkohlen zu tun, das in deutschen Fancy-Restaurants üblich ist, sondern trägt den Geschmack der Muschel.
Berühmt ist Frantzén vor allem für sein Chawanmushi, den geschmeidigen Eierstich nach japanischem Vorbild, der ein weiteres Mal die Präzision demonstriert, mit der hier gearbeitet wird. Er kommt warm in kleinen Schüsseln, bedeckt von einer gereiften Schweinebrühe – ein Koch löffelt erst am Tisch den Kaviar obenauf, der sich bis zum Essen leicht erwärmen kann, eine Gratwanderung für die Aromenentwicklung. Das klingt simpel, ist auf der Zunge aber spektakulär.
Auch das Perlhuhn wird über dem Feuer gegart, und auch hier zeigt die Methode ihre Überlegenheit, was Zartheit und Aromenentwicklung angeht, das ist eben wirklich deutlich schmeckbar Perlhuhn und nicht nur irgendein Geflügel. Lustig, wie die cremige Sauce aus Jurawein, dem oxidativen Vin Jaune, die klassische französische Moderne heraufbeschwört. Auch die Beigaben, junge Walnusskerne und Scheiben eines Honigtrüffels, der an Steinpilz erinnert, stützen nur dezent.
Diese aromatisch monochrome Milde wird alsbald von einem Knalleffekt abgelöst, den „Vegetables Hommage Satio Tempestas“. Das sind Gemüse, angeblich etwa 50 verschiedene, zubereitet mit zwölf verschiedenen Garmethoden, bereichert am Rand um Buttermilchcreme, knusprige Fischschuppen und gemörserte Kräuter. Hier geht es wieder weniger ums Sezieren als um einen möglichst komplexen Mischgeschmack – Vorbilder wie Michel Bras’ „Gargouillou“ und ähnliche Gerichte von Alain Passard werden sichtbar.
Das berühmteste Ein-Haps-Gericht: der French Toast Grand Tradition
Nun ist die Bühne bereitet für das gegenwärtig wohl berühmteste Ein-Haps-Gericht, den „French Toast Grand Tradition 2008“: Leichtes, hochknuspriges Brot mit einem Hauch von bestem Parmesan im Hintergrund, darüber eine üppige Schicht gehobelter schwarzer (australischer) Trüffel – und auf der Zunge macht sich dann noch die Säure eines steinalten Balsamico bemerkbar... In dieser Aromenbombe steckt so viel Wissen über Konsistenzen, Kontraste und aromatische Abläufe, dass der Gast nur staunen kann.
Das Kagoshima-Rind, das als wertvollste Variante des original japanischen Wagyu gilt, erscheint schließlich in zwei schmelzend saftigen Scheibchen, ungewöhnlich lebhaft arrangiert mit Yuzu-Aioli, Wasserspinat und einem kleinen Salätchen aus Pilzen, weißen Bohnen und Kräutern, also mit gänzlich gebremster Wucht. Drauf gibt es noch eine Ochsenschwanz-Consommé mit Trüffelscheiben, deren feine transparente Art wiederum genau kalkuliert wirkt. Die Desserts, Varianten von Tee, Milch und Honig, ziehen den Vorhang respektvoll zu, sie sollen das Vorherige offenbar auf keinen Fall zu übertrumpfen versuchen.
Immer noch sind alle wach und aufnahmebereit, das war kein erschlagendes Menü, sondern ein in seiner Wirkung perfekt kalkuliertes. Und noch immer waltet großzügige Freundlichkeit: Wir fragen, was die Gäste denn so normalerweise vom üppig beladenen Petits-Fours-Wagen nehmen, und die Antwort, von einem Lächeln begleitet, lautet: „Die meisten nehmen von allem.“ Machen wir dann auch.
Ganz zum Schluss liefert die Patisserie einen Teller mit frisch gebackenen Kardamom-Madeleines. Und noch einen. Und noch einen. Und noch einen...
Frantzén, Klara Norra kyrkogata 26, 111 22 Stockholm, Schweden, restaurantfrantzen.com
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