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Ein traditioneller Korsi, eine Art Heiztisch, ist mittlerweile kaum noch anzutreffen.
© Beatrice Minda

Seltene Fotografien: Wo die Menschen in Iran ihre Freiräume haben

Wenn die Sittenpolizei auf den Straßen alles kontrolliert, bekommen die eigenen vier Wände eine große Bedeutung. Eine Berliner Fotografin gewährt Einblicke in iranische Häuser.

Ein altes Patrizieranwesen in Teheran, nicht weit vom trubeligen Basar der Stadt entfernt. Die eingerichteten Räume, die herumstehenden Skulpturen und Fotos erinnern an Zeiten, als hier noch Menschen gewohnt haben. Wie oft sie wohl um den Korsi, diesen niedrigen Tisch aus dem iranischen Kulturkreis, herumsaßen. Wie oft sie wohl die riesige Decke hochhoben und das Becken unter dem Tisch mit Kohle füllten. Für warme Füße an kalten Wintertagen, für heimliche Berührungen. Mittlerweile kann nur noch ein ehemaliger Diener von der Familie berichten. Und diese Aufnahme aus dem Bildband „Iran.Interrupted“ (Hatje Cantz Verlag) von Beatrice Minda.

Die 46-Jährige lebt in Berlin und hat in den Jahren 2010 und 2011 drei Monate lang Wohnungen, Häuser und Gärten in Iran fotografiert. Einen persönlichen Bezug hatte sie damals nicht zu dem Land. Die Fotografin wusste nur, dass das Zuhause dort eine besondere Bedeutung hat. „Für die Iraner ist der private Innenraum sehr wichtig, weil sie sich darin freier als im öffentlichen Außenraum bewegen können“, erzählt Minda in einem Café in Kreuzberg. Frauen dürfen zu Hause beispielsweise ihren schwarzen Tschador ablegen und die Haare offen tragen. Ohne verhaftet zu werden oder Peitschenhiebe zu riskieren.

Mauern, Vorhänge und Gitter

Um sich in Iran gefahrlos zu bewegen, las Minda viel über das Land. Für einige Motive hatte sich die Fotografin vor ihrer Reise verabredet, andere ergaben sich vor Ort. Die Einreise war kein Problem, die Menschen sehr herzlich. Weil das private und öffentliche Leben in dem Land strikt voneinander getrennt werden, ist ihre Arbeit eine Seltenheit.

Wenn man durch das Buch der Fotografin blättert, sind Mauern, immer wieder Mauern zu sehen. Bäume versperren die Sicht auf Hausfassaden, vor manchen Fenstern hängen schwere Vorhänge, andere sind mit Gittern verriegelt. Ein Grund für diese Abschottung waren die Islamische Revolution und der Iran-Irak-Krieg (1980-1988). Wenigstens daheim wollten sich die Menschen sicher fühlen. Nach der Revolution, mit der 1979 eine jahrtausendalte Monarchie zu Ende ging, bezeichnet sich das Land als Islamische Republik.

Hässlichkeit als Teil der Kultur

Ein Wandel, von dem Swimmingpools erzählen. So ist auf einem von Mindas Bildern, die sie demnächst in Berlin ausstellt, ein Pool zu sehen, umringt von Sträuchern und Unkraut. Er ist rechteckig, blau angestrichen. Stillgelegt. Draußen baden, wenn der Nachbar einen vielleicht sehen könnte – das ist in dem Gottesstaat, wo das Gesetz auf der Scharia basiert, verboten. Um nichts von dem Privatleben des anderen mitzubekommen, ist auch ein Mindestabstand zwischen den Grundstücken in Iran vorgeschrieben.

Wie die Fotografin das Land empfunden hat? Unter anderem hatte sie das Gefühl, dass die Menschen ihren Wohlstand in der Öffentlichkeit nicht zeigen, dass sie nicht mit Statussymbolen protzen. Diesen Eindruck bestätigt die iranische Autorin Shahrnush Parsipur im Vorwort des Bildbandes. In Iran sind ihre Bücher mittlerweile verboten, seit 1994 lebt sie als politischer Flüchtling im amerikanischen Exil. „Das äußere Vortäuschen von Hässlichkeit ist Teil der iranischen Kultur“, schreibt sie. Ob es nun um triste Häuser aus Lehmmauern geht oder um verhüllte Frauen, die Absicht ist die gleiche: In dem orientalischen Land soll nichts verlockend, nichts verführerisch sein. Weder eine Frau, noch fremdes Hab und Gut.

Immer mehr alte Villen verfallen in dem Land

Auch dieses Anwesen wurde dem Verfall preisgegeben...
Auch dieses Anwesen wurde dem Verfall preisgegeben...
© Beatrice Minda

In den eigenen vier Wänden sieht das anders aus. Dort werden Gäste in prächtigen Räumen empfangen. Goldverzierte Stühle. Geraffte Vorhänge. Bilder aus der Renaissance. Manche Aufnahmen ähneln dem Stil in Versailles. „Besonders kurios ist, dass die Iraner, die den Schah mit großem Getöse aus dem Land vertrieben haben, fast durchweg eine Inneneinrichtung im monarchischen Stil bevorzugen“, meint Parsipur. Allerdings dient das nur der Repräsentation der Familie, das Privatleben, das Intimleben findet in einfachen Zimmern statt. In manchen steht kein einziges Möbelstück, nur ein Perserteppich ist ausgerollt, oft rot und gemustert.

„Weil die traditionellen Häuser nach und nach verschwinden, wollte ich den Spuren ursprünglicher Wohnformen nachgehen und diese in einem Bildband festhalten“, sagt die Künstlerin, und zeigt Fotos von Ruheliegen, von Öllampen, und Ornamenten an den Wänden. „Schauen Sie mal hier! Die Stühle in den Vorzimmern sind nach wie vor an den Wänden entlang positioniert, wie die Sitzkissen in früheren Wüstenzelten.“ Ebenso erinnert eine Säule in einem ihrer Räume an das Leben im Zelt. Darin war ein senkrechtes Seil gespannt, das der Behausung Stabilität versprach.

Immer weniger Nomaden ziehen umher

Heute gehören in Iran nur noch weniger als zwei Prozent der Bevölkerung einem Wanderstamm an. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwang Reza Schah Pahlavi die Nomaden dazu, sesshaft zu werden. Zelte ließ er anzünden. Jene, die weiter umherzogen, wurden ermordet. Trotzdem zeigt eine von Mindas Arbeiten ein Wüstenzelt, wie es noch heute existiert. Geschmückt mit lauter bunten Bommeln. Ein Brauch, der auch bei Hochzeitszeremonien vorkommt.

Parallel zu diesem Trend nahm der westliche Einfluss mit Leucht-Spots an den hohen Zimmerdecken, französischen Türen und Marmorböden mit den Jahren immer mehr zu. Der Stuck an einer Wand zeigt einen Löwen aus der persischen Mythologie und daneben eine Putte. In einem anderen Raum hängt ein Bild von der Mona Lisa, und wenige Seiten weiter schmückt ein traditionelles Spiegelmosaik einen offenen Kamin. Anders als in Europa ist der Innenraum in Iran aber nach wie vor nicht individuell geprägt. „Räume sind nicht mit persönlichen Büchern und Bildern eingerichtet und insofern keine Porträts ihrer Bewohner, sondern sie dienen der Repräsentation und den vielfältigen Bedürfnissen der Großfamilie“, sagt Minda.

Menschen wollen in Appartements leben

Was sie in Iran noch beobachtet und fotografiert hat, ist der Verfall vieler Villen. So wie in Teheran. Die wachsende Bevölkerung zieht es in die Städte, die Menschen wollen in neuen, modernen Appartements leben. In manchen Häusern bröckelt deswegen so langsam der Putz. Andere sind längst Ruinen.

„Iran. Interrupted“, 28. Januar bis 15. März, Galerie „Only Photography“, Niebuhrstr. 78, Berlin

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