Berlins Gastronomie und der Lockdown: „Wir werden gestärkt aus der Krise gehen“
Manche von ihnen hatten es schon befürchtet, nun müssen Berlins Restaurantbetreiber wieder einen Monat ohne Geschäft leben. Denken sie ans Aufgeben?
Kaum raus aus dem letzten Lockdown, schon kommt der nächste. Dabei hatte sich Berlins Gastronomie im Laufe der Sommermonate mit Mühe einigermaßen erholt und wieder bessere Umsätze eingefahren - unter Einhaltung der Corona-Regelungen, sagen die meisten. Vor der Herbst- und Wintersaison drückten die Sorgen ohnehin schon. Wie sollte man genügend Gäste unterbringen, damit der Betrieb des Restaurants sich lohnen würde?
Viele hatten damit begonnen, ihre Außenbereiche einigermaßen winterfest zu machen - mit Heizstrahlern, Zelten, Decken. Oder sie hatten teuere Luftumwälzungsanlagen angeschafft. Was nun, wo der November nach dem Willen der Bunderegierung und der Länder wieder ein Lockdown-Opfer wird und damit ein kompletter Verdienstausfall? Wer hält durch? Wer gibt auf?
Dunja Funke, Restaurant Obermaier
Gerade erst hat die Inhaberin des alpenländischen Lokals „Obermaier“ in Kreuzberg die Restaurantfläche für den Winter um 24 Quadratmeter erweitert und im Biergarten ein beheizbares Rundbogenzelt mit dämmendem Holzboden installiert. Platz für 18 zusätzliche Gäste – nun vorerst unbenutzbar. „Aber keine vergebliche Investition“, sagt sie, „sondern eine Option fürs nächste Jahr, sogar die nächsten Jahre.
Denn das Leben wird sich mit und nach Corona verändern, da machen wir uns mal nichts vor.“ Während das Telefon heiß läuft, weil Stammgäste am Wochenende ganz schnell nochmal bei ihr essen gehen wollen, plant Funke mit ihrem Team die Schließung für November und will notwendige Baumaßnahmen, die erst im nächsten Jahr hätten laufen sollen, vorziehen.
Das Küchenpersonal wird sie vorübergehend wieder in Kurzarbeit schicken, an Zuschüssen will sie „alles beantragen, was geht, sonst überleben wir das nicht“.
Sie hält an dem Gedanken fest, im Dezember wieder öffnen und ein kleines Trost-Programm bieten zu können: In der Adventszeit sollen einmal die Woche Musiker und Sänger draußen auf dem Biergarten-Balkon auftreten, für die Gäste spielen und singen. Was ist mit Take-away? „Müssen wir erstmal sehen, ob sich das lohnt“, antwortet sie. Das ist ein Geschäft, das nur am Rande mitläuft. Überleben kann man damit nicht.“
Serhat Aktas, Weinbar „Der Weinlobbyist“
„Die Nachricht von der Schließung der Gastgewerbes hat uns schon sehr getroffen“, sagt Weinfachmann Serhat Aktas, der erst vor kurzem seine Weinbar „Der Weinlobbyist“ eröffnet hat. „Aber wir werden das akzeptieren und positiv an die Situation rangehen.“
Am Mittwochabend hatte er entschieden, schon ab Donnerstag zu schließen. „Ich habe noch am Abend angefangen zu planen, wie wir die Zeit des Lockdowns nutzen können. Wir haben ja erst seit kurzem geöffnet, da gibt es noch einiges, was man optimieren kann und wozu wir im normalen Betrieb die Zeit nicht finden würden.“
Am Donnerstag habe er die ersten Bestellungen rausgegeben; er will zum Beispiel den Hof wintertauglich machen, mit Schirmen und effizienten Heizstrahler, so dass Gäste auch bei null Grad draußen sitzen können. Aktas bleibt Optimist. „Durch die Schließung ergibt sich auch Zeit für Kreativität, man kann in Ruhe planen, Ideen entwickeln. Wir werden im Dezember gestärkt aus der Krise hervorgehen!“
The Duc Ngo, prominenter Multigastronom
„Als die Nachricht von der Schließung kam, war ich richtig sauer.“ Der TV-bekannte Koch The Duc Ngo betreibt knapp ein Dutzend Restaurants in Berlin (u.a. „Kuchi“, „893 Ryotei“, „Funky Fisch“), er hatte gehofft, dass – nach den Berichten über das geringe statistische Risiko, sich in Restaurants anzustecken – eine Sonderregelung für die Gastronomie gefunden werde. „Ich war sehr enttäuscht, musste mich dann aber zusammenreißen und sagen: weiter geht’s! Was sollen denn die sagen, denen es schlechter geht.“
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Sein Plan ist, die Hälfte seiner Restaurants zu schließen, die Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken und die versprochenen staatlichen Hilfen zu beantragen. Die anderen bleiben offen und werden auf Take-Away umgestellt.
Er rechnet, damit 70 Prozent des normalen Umsatzes zu erwirtschaften, die Mitarbeiter der Take-Away-Lokale blieben weiter vollbeschäftigt. The Duc Ngo rechnet damit, im Dezember wieder öffnen zu können. „Aber was passiert, wenn die Zahlen fallen? War dann alles richtig und die Gastro an den steigenden Infektionen schuld? Und was passiert, wenn die Zahlen weiter steigen? Bleibt dann weiter alles geschlossen?“
Philipp Vogel, Geschäftsführer im Hotel „Orania“ in Kreuzberg
„Dass es noch einmal einen Lockdown geben würde, hätte ich, ehrlich gesagt, nicht gedacht“, sagt der Orania-Geschäftsführer und Restaurantchef. „Wir waren in den letzten Monaten total glücklich: Jeden Abend ein volles Restaurant. Die Sperrstunde war für uns kein Problem.“ Trotzdem sieht Vogel keinen Grund aufzugeben. „Das Lachen dürfen wir uns nicht nehmen lassen.“ Und er hält sich fest am Regierungsversprechen, wonach Wirte 75 Prozent des Vorjahresumsatzes als finanzielle Unterstützung bekommen. „Damit kann ich mich arrangieren.“
Die größte Schwierigkeit, sagt Vogel, sei, die Mitarbeiter zu motivieren. Das Team werde, wie schon beim ersten Lockdown, in Kurzarbeit umschichtig arbeiten, so dass keiner ganz zu Hause bleiben müsse. „Unser Vorteil ist, dass wir das Hotel offen halten können für Business-Gäste. Das ist zwar alles andere als wirtschaftlich gedacht, aber psychologisch wichtig.“
Philipp Vogel will in etwa anderthalb Wochen auch das Take-away-Geschäft wieder aufnehmen und für Bestellungen außer Haus zudem mit dem neuen Berliner Lieferdienst „Wolt“ zusammenarbeiten. „Wir werden unter der Marke X-Berg-Duck witzige Entengerichte anbieten, Comfort-Food wie etwa unsere Entenpizza“, sagt der Gastronom, der sich mit seiner Peking Ente in Berlin einen Namen gemacht hat.
„Diesmal“, sagt er, „sind wir ein bisschen besser vorbereitet. Und im November schreiben wir einfach schon mal unsere 1000 Weihnachtskarten. Dafür hatten wir sonst immer zu wenig Zeit.“ Sein großes Mitgefühl hätten aber die Künstler. „Die Musiker und Sänger bei unseren Konzerten im Orania waren so glücklich, wieder vor Publikum spielen zu können. Da haben so richtig die Augen geglänzt…“
Bini Lee, Restaurant „Kochu Karu“ in Prenzlauer Berg
Müde fühlt sie sich. Und frustriert. Dabei hatte Bini Lee vom koreanisch-spanischen Restaurant „Kochu Karu“ schon damit gerechnet, „dass da noch was kommt“. Und vorbereitet ist die umtriebige Wirtin sowieso. Während des ersten Shutdowns hatte sie erfolgreich ein Take-Away-Konzept etabliert, bei dem man die vorbestellten Kochu-Karu-Boxen in Weinläden abholen konnte. „Das haben wir jetzt noch verbessert.
Es gibt eine À-la-Carte-Auswahl und kein Plastik mehr als Verpackung“, sagt Lee. Stattdessen kommt das Essen verpackt in Karton und Weckgläsern. Bringt man die Gläser zurück, gibt es eine Flasche Wein als Dankeschön. Los geht es ab nächsten Freitag.
Ab Mittwoch ist die Karte auf der Website. Die ersten Anrufe seien schon eingegangen, sagt Lee. Und Gutscheine habe sie auch schon wieder einige verkauft. Was Lee aufmuntert, ist die in Aussicht gestellte Hilfe. „Wenn die erstattet würde, wäre das natürlich gut. Gerade unter diesen Umständen, wo ich nur wenige Tische habe und es auch kein Weihnachtsgeschäft gibt.“
Matthias Gleiß, Restaurant „Volt“ in Kreuzberg
Gelassen gibt sich auch Matthias Gleiß vom Kreuzberger „Volt“. Er hatte die Zwangspause zu längeren Umbauarbeiten in seinem Restaurant im ehemaligen E-Werk genutzt und den Betrieb mit einem weitgehend neuen Team um Küchenchef Christopher Jäger überhaupt erst vor drei Wochen wieder aufgenommen.
Das sei von Anfang gut gelaufen, sagt er. „Und nun gleich wieder dicht – na, das ist eben so.“ Ob das Restaurant ein Take-Away-Geschäft aufnimmt, sei noch nicht entschieden.
Maximiliane Wetzel, Geschäftsführerin „Frühstück 3000“
Das „Frühstück 3000“ hat einen Traumstart hingelegt. „Manche Leute sind in den drei Wochen, die wir jetzt aufhaben, schon fünf Mal gekommen“, sagt Maximiliane Wetzel. Die kommenden Wochenenden waren alle ausgebucht im smarten Schöneberger Frühstückslokal.
Auch drei neue Arbeitsverträge waren unterschrieben. Jetzt hängt Wetzel am Telefon: Reservierungen auf den Dezember schieben, Kurzarbeit beantragen, mit dem Vermieter über einen Nachlass verhandeln. „Wir lassen den Laden zu“, sagt Wetzel. Ein Take-Away-Angebot lohnt sich für sie nicht. Das passe auch nicht zum Konzept.
Ob sie Zuschüsse erwarten können, weiß sie noch nicht, die bezögen sich ja auf den November 2019, und da hatte das Frühstück 3000 noch lange nicht auf. „Wir müssen unsere Kosten so weit wie möglich runterfahren.“ Und hoffen, dass es im Dezember weitergeht. „Dann werden wir auch Weihnachten offen haben.“
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Antonio Bragato, Enoiteca Il Calice“, Charlottenburg
„Ich sehe den neuen Lockdown als das Ende einer „Aufholjagd erster Sahne.“ Man habe im Sommer die Verluste durch die erste Sperrphase zu einem großen Teil ausgleichen können und werde nun wohl erneut zurückgeworfen.
Bragato hofft, dass die Einschränkungen nach spätestens vier Wochen aufgehoben werden können, um der Gastronomie wenigstens noch ein kleines Weihnachtsgeschäft zu ermöglichen. Letztlich komme es darauf an, welche Entschädigung der Staat gewähre. „Denn warum sollen wir in der Gastronomie wieder allein die Zeche zahlen?“ Bragatos Ferienprogramm für die Belegschaft: Schulungen und Renovierungsarbeiten.
Pia Kindermann, Restaurant „Rutz Zollhaus“
Einen guten Sommer hat das im Frühjahr wieder eröffnete „Rutz Zollhaus“ in Kreuzberg hinter sich, wie überhaupt alle Restaurants mit Terrassen bis zuletzt viel vom Einbruch aufholen konnten. Nun aber sei die Unsicherheit groß, sagt Pia Kindermann, stellvertretende Restaurantleiterin. Man werde sich am Freitag mit allen Beschäftigten der „Rutz“-Gruppe zusammensetzen und über das weitere Vorgehen entscheiden.
Björn Swanson, Restaurant „Faelt“
„Relativ entspannt“ nimmt Björn Swanson die Lage, Inhaber des brandneuen kleinen Restaurants „Faelt“ im Schöneberger Vorberg-Kiez. Er hatte erst am 1. Oktober eröffnet, spricht aber von „guten Reserven“, mit denen er einen Monat überstehen könne. „Das Restaurant wurde von Beginn an bestens angenommen.“ Mit seinen Leuten hat er bereits begonnen, ein Lieferprogramm zu entwickeln, und auch eine Kooperation mit nahen Bäckereien ist in Arbeit.
Thomas Kammeier, gastronomischer Leiter auf dem EUREF-Campus in Schöneberg
"Der erste Gedanke war: Katastrophe! Nicht nur für uns, für die Gastronomie überhaupt." Küchenchef Thomas Kammeier versucht dennoch optimistisch zu bleiben. Er rechnet damit, auf dem EUREF-Campus auch im November „Die Schmiede“, das „Bamboo Bay“ und das „Café am Wasserturm“ weiterbetreiben zu können.
„Wir nennen sie zwar Restaurants, es sind aber von der Funktion her Kantinen; es gibt ja auch ein Zwei-Preis-System für Campus-Mitarbeiter und deren Gäste. Der Justiziar der DeHoGa hat uns bereits bestätigt, dass wir sie im Mittagsgeschäft weiter betreiben können.“
Fehlen wird das Veranstaltungsgeschäft, das einen großen Teil des Umsatzes ausmachen wird. Und natürlich platzt die geplante Eröffnung des gehobenen Grill-Restaurants "Cord". Kammeier: „Wir wollten am 12. November als Abendrestaurant starten, haben von Anfang an mit Corona geplant, Abstände eingehalten, die Lüftung gepimpt mit echter Abluft und Zuluft, kein Quirl, und zusätzlich UVC-Filter eingebaut. Mehr kann man nicht mal für ein Krankenhaus tun.“
Normalerweise würde im November in den Tagessrestaurants der Gans-to-go-Service beginnen. „Den werden wir jetzt um einige Speisen aus dem ,Cord' ergänzen: Trüffelspaghetti, Kammeiers Fischeintopf, solche Sachen. Und dann hoffen wir auf Dezember und dass nicht gleich wieder ein Lockdown kommt.“