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Irrer Streifen. Auf dem Strip kann man im falschen Venedig oder im falschen New York zocken.
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Ende des Vegas-Wahnsinns: Warum die „Sin City“ nicht mehr aufs Glücksspiel setzt

Las Vegas will den Wandel: Popstars statt Blackjack, Radfahren in Downtown statt Poker. Was bleibt, ist der Glitzer.

Egal wie schick oder legendär das Casino sein mag, egal wie opulent die Fassade – drinnen riecht es nach billigem Puff. Zu viel Vanille, zu viel Kloreiniger. Das Aroma wird mit Absicht in die Luft gepumpt, um den Zigarettenqualm zu übertünchen. Es riecht also eigentlich nach billigem Puff, in dem zu viel geraucht wurde.

Vegas ist ein Fünfkampf der Sinne. Man vergisst das Riechen bald und als Nächstes das Fühlen und Tasten, mit dem man über die Flauschteppiche federt, vergisst das Bier mit Zitronenaroma, das erst als Pfütze auf dem Tresen und dann am Unterarm klebt. Dann vergisst man das Hören, weil immer einer jubelt oder heult, eine grölt und alles andere klingelt und klackert. Man vergisst das, weil man sich aufs Sehen konzentriert. Darauf, niemanden anzurempeln und nicht angerempelt zu werden. Darauf, sich nicht zu verlaufen in diesen Irrgärten, die so konstruiert sind, dass jeder leicht rein-, aber schwer wieder rausfindet. Man sieht das Blinken und Blitzen, das zum Klingeln und Klackern gehört. Sieht all die leicht bekleideten Menschen, die man sich häufiger in mehr Kleidung wünscht. Und dann hat man gerade die ersten zwei Minuten im Casino geschafft und ist schon fix und fertig.

Natürlich ist es nicht sonderlich einfallsreich, einen Besuch in der „Sin City“ in einem Casino zu beginnen. Aber erstens ist es für Touristen gar nicht so einfach zu vermeiden und zweitens ist man doch genau deswegen hier. Um sich den Wahnsinn wenigstens einmal anzuschauen.

Die Leute wollen nur gucken

Nun ist genau das ein Problem für die Stadt geworden: Die Leute gucken nur, sind nicht mehr Teil des Wahnsinns. 2015 zockten nicht mal mehr zwei Drittel der Besucher, die jünger sind als 40 Jahre. 2007 war das letzte Jahr, in dem der Strip Gewinne machte. 2008, im Jahr der Finanzkrise, verbuchte er ein Minus von mehr als vier Milliarden Dollar.

Gerade macht die Stadt mal wieder das, was sie am besten kann: Sie erfindet sich neu. Für Vegas ist das vielleicht einfacher als für andere Städte, weil dieser künstliche Ort inmitten der Wüste es nie anders gewohnt war.

Einer, der das alles kennt, hier aufgewachsen ist und den Wandel schon oft miterlebt hat, ist Ron, Mitte 60. Er fährt mit einem Leihfahrrad durch Downtown. Biegt nach rechts ab, stadtauswärts zum Neonfriedhof. Hier liegen die alten Leuchtreklamen der verschwundenen Motels und Casinos – Stardust, Sahara, Moulin Rouge. Ron hat sie noch am Strip leuchten sehen, jetzt verstauben sie am Stadtrand. Sie alle mussten weichen, weil größere, glamourösere Hotels sie verdrängten. Doch irgendwann reichte auch Größe allein nicht mehr, um unter Riesen aufzufallen. „Da begann Ende der 90er Jahre die Casinolegende Steve Wynn damit, Themenwelten zu schaffen“, sagt Ron. Gigantische Vergnügungsparks, im Bellagio, dem Pionier, kommen mehr Gäste unter, als im gleichnamigen Ort am Comer See Einheimische leben. Damit war der nächste Überbietungswettbewerb eröffnet. Gegenüber liegt das Venetian, wer will, lässt sich hier durch ein Pappvenedig gondeln. Das Casinohotel Caesars Palace protzt mit vermeintlich antiken Säulen und einem Brunnen der Götter, durchs New York New York fährt eine hauseigene Achterbahn.

Das nächste Ding: Shows mit den ganz großen Namen

Zu den Themenwelten kamen Food-Attraktionen. Schicke Sternerestaurants, spektakuläres Showkochen, im Heart-Attack-Grill essen Gäste umsonst, die mehr als 160 Kilo wiegen.

Dem folgten die großen Shows, die an die Erfolge von Frank Sinatra und James Dean anknüpfen sollten. David Copperfield zersägt immer noch fast jeden Abend eine Assistentin und irgendwo ist ständig Zirkus oder Musical. Ron biegt in eine Seitenstraße, auf einer Freifläche werden gerade blau-gelbe Zeltplanen um die Manege ausgerollt. Das nächste Ding, prophezeien Hotel- und Eventmanager, sind Shows mit den ganz großen Namen.

Die Grundlagen stehen bereits: Céline Dion und Mariah Carey treten häufig im Caesars Palace auf, Journey spielten im Hard Rock Hotel und Carlos Santana ist Dauergast im Mandalay Bay. Wer nach dem Konzert noch auf Elektrobeats feiern gehen will, landet etwa im Wynn oder im Encore. Letzteres verkaufte schon 2015 an guten Abenden laut einem Bericht der „Zeit“ Getränke für eine halbe Million Dollar.

Angeblich bot das MGM Grand Hotel Adele eine halbe Million Dollar pro Auftritt, eine Suite und unbegrenzte Privatflüge nach Los Angeles, um sie dauerhaft zu binden und im Wochentakt auf die Bühne zu bringen. Und angeblich hat die Sängerin abgesagt, weil es bessere Angebote von anderen Casinos gegeben habe. Nichts ist in Vegas wirklich überprüfbar. Das MGM Grand selbst will davon nichts wissen, aber in dieser Stadt, die immer mehr will, ist nichts unvorstellbar.

Ein ganzes Museum widmet sich der Mafia

Willkommen in der "Sin City". Sechs Prozent der Einwohner von Nevada sind spielsüchtig.
Willkommen in der "Sin City". Sechs Prozent der Einwohner von Nevada sind spielsüchtig.
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Gegründet wurde Las Vegas um 1850 von strenggläubigen Mormonen mitten in die Mojave-Wüste. In den 1920ern kam die Prohibition und mit ihr die Mafia. Als 1933 der Ausschank von Alkohol legalisiert wurde, brauchten die „Mobster“, wie die Mafia hier genannt wird, ein neues Geschäft. Zwei Jahre zuvor wurde das Glücksspiel legalisiert. Daraus entstand eine Verbindung, die in den 60ern und 70ern ihren Höhepunkt fand. Die Organisierte Kriminalität brachte der Stadt ihren Reichtum und massenhaft Leute unter die Erde. In Downtown ist der Mafia heute ein ganzes Museum gewidmet.

Ron, der Fahrradfahrer, erinnert sich: Als Kind musste er auf dem Schulweg immer ein Stück über den Strip laufen. „Alle paar Tage kam man da an einem frischen Tatort vorbei, die weißen Leichensäcke lagen noch auf der Straße.“ Wie in den Filmen, in denen ständig jemand in der Wüste verbuddelt wird, weil er die falschen Fragen stellte – „stand doch jede Woche in der Zeitung“.

Jetzt biegt er wieder links ab, zurück stadteinwärts, quer durch Downtown. Hält an einem Café, wo Menschen Frozen Cappuccino und frisch gepressten O-Saft trinken, vergewissert sich, dass man genug Wasser dabeihat. Es ist elf Uhr morgens und schon 37 Grad warm.

Die haben hier gestern schon gespielt

Über Downtown würde man sagen, es ist gerade im Kommen. Kleine Bars und Restaurants, viele Wände bunt angemalt mit Murals, an einigen Kreuzungen stehen skurrile Skulpturen – Überbleibsel früherer Burning Man Festivals im Norden Nevadas. Hier findet man schon eher mal Einheimische wie Ron, einen Supermarkt oder einen Hotdog-Stand. Wenigstens für einen Augenblick das Gefühl von echtem Leben in einer Stadt, die nie den Anspruch erhob, aufrichtig zu sein.

2012 waren sechs Prozent der Einwohner von Nevada spielsüchtig. Touristen vergessen so profane Probleme schnell, sie wollen bloß ihren Spaß, und die Casinos tun alles dafür.

Obwohl man die Zahl im Kopf hat und weiß, dass die Bank am Ende immer gewinnt, geht man am letzten Abend doch noch mal ins Casino, setzt 20 Dollar beim Blackjack, spielt genau eine Hand und ist 20 Sekunden später 20 Dollar ärmer. Man geht rüber zur Bar, bestellt ein Bier für sieben Dollar, denkt sich, dass man davon auch einfach noch drei hätte trinken können und das Geld wäre nicht schlechter rausgeworfen, findet einen Sitzplatz zwischen einem texanischen Bowlingclub und einem Junggesellinnenabschied, der im Wechsel Schnapsgläser ext und „Yieehaaa“ grölt, hört der Coverband zu, blendet kurz das Klingeln und Klackern der Automaten im Hintergrund aus, denkt sich, die sind ja gar nicht so schlecht und bemerkt dann: Die haben hier gestern doch schon gespielt. Offenbar haben sie ein dauerhaftes Engagement.

Reisetipps für Las Vegas

Hinkommen

Flüge gehen täglich von Berlin, zum Beispiel mit United Airlines über Newark. Je nach Dauer des Aufenthalts beim Zwischenstopp beträgt die Reisezeit zwischen 17 und 20 Stunden. Hin und zurück ab gut 500 Euro.

Unterkommen

Den vollen Vegas-Wahnsinn bekommt man am besten direkt in einem der Casinohotels mit. Zum Beispiel das Mandalay Bay am südlichen Ende des Strip. Doppelzimmer ab 95 Euro pro Nacht, mandalaybay.com

Rumkommen

Wem die Zeit fehlt, sich durch die Sternerestaurants am Strip zu futtern, der ist bei der Lip Smacking Foodie Tour richtig. Drei Stunden, vier Gänge, vier Sterneküchen, 170 Euro, vegasfoodietour.com.

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