Vegetarische Ernährung: „Wandel geht nur über Genuss“
Koch und Multitalent Tobias Sudhoff sieht die Spitzengastronomie als Wegbereiter für die Ernährungswende. Ein Thema beim Festival "eat!Berlin".
Selbst in der Gastronomie, wo bunte Lebensläufe ja alles andere als selten sind, ist Tobias Sudhoff ein ziemlich schillernder Typ: Er ist Musiker und Kabarettist, außerdem hat er einen Lehrauftrag im Fachbereich Oecotrophologie an der Fachhochschule Münster. Und wenn er nicht gerade ein Jazzfestival organisiert oder ein Kochbuch schreibt, dann er steht selbst am Herd. In der „Westfälischen Stube“, dem Sternerestaurant des Parkhotel Surenhof im Münsterland, ist er seit Ende 2017 Küchenchef. Als Autodidakt. In seiner Arbeit verschränkt er wissenschaftliche Ergebnisse aus dem Food Lab Münster mit praktischen Küchenfragen und beschäftigt sich damit, wie wir in Zukunft essen werden und welche Rolle Fleisch überhaupt noch spielen kann.
Herr Sudhoff, sind Sie auf dem Weg in den Hörsaal? Oder ins Tonstudio? Oder in die Küche? Oder kommen Sie womöglich gerade von einer Kabarettbühne?
Nichts von allem heute. Ich bin dabei, meine „Clean Foie gras“ herzustellen. Ich bekomme heute die Leber geliefert und verschwinde damit ins Labor der Hochschule Münster.
Was ist denn bitte eine „Clean Foie gras“?
Eine Gänsestopfleber, die nicht gestopft ist. Eine ungestopfte Gänseleber also. Die wird im Nachhinein aufgefettet. Sie stammt von Biogänsen, die glücklich aufgewachsen sind, von denen ich viele mit Namen kenne. Wenn die geschlachtet werden, nehmen wir die Leber und fetten sie im Labor über ein bestimmtes technisches Verfahren auf. Sie hat dann die Qualität einer normalen Foie gras, aber ohne die ethischen Probleme, die eine Stopfleber mit sich bringen würde.
Sie trommeln schon seit Jahren für eine Nahrungsmittelwende, ein Begriff, den Sie geprägt haben, der sich gegen Massentierhaltung, die industrielle Lebensmittelindustrie und für die Verantwortung von Verbrauchern starkmacht. Ist die ungestopfte Gänseleber ein Beitrag dazu?
Na ja, sie erhöht natürlich den ethischen Standard in der Edelgastronomie. Aber sie besteht immer noch aus Fleisch. Ich glaube, dass wir auch in 100 Jahren noch kleinere Mengen von Fleisch zu uns nehmen werden. Es muss aber deutlich weniger werden als heute, wo die Deutschen im Schnitt 60 Kilo pro Jahr essen. Vor allem Warmblüter sind ökologisch problematisch, sie brauchen viel Nahrung, um Gewicht anzusetzen. Wechselwarme Tieren brauchen weniger. Insofern wird ein Großteil unserer Ernährung auf pflanzlichen Produkten basieren müssen. Da kommen wir nicht drum herum. Insekten sind ein spannendes Thema, weil man die leicht züchten kann, und es gibt kaum ethische Probleme. Und gut zubereitet sind sie lecker, aber da ist die Gesellschaft noch nicht sehr offen. Bei mir zu Hause gibt’s oft Grillen. Die mach ich im Wok – Sichuan Style.
In der „Westfälischen Stube“, in der Sie Küchenchef sind, stehen die aber nicht auf der Karte?
Nein, das war nicht vermittelbar. Aber ich glaube fest daran, dass die Sterneküche ein Vorreiter für die dringend notwendige Nahrungsmittelwende sein kann, die sicherstellt, dass 2050, wenn zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, alle gesund und gut satt werden. Das ohne großen Verteilungskampf zu ermöglichen, ist eine Menschheitsaufgabe. Für die haben wir noch 31 Ernten Zeit.
Warum sollte ausgerechnet die elitäre Sterneküche einen gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel bewirken?
Erfahrung: Es gab ja schon viele Nahrungsmittelwenden, die aus der Sterneküche entstanden sind. In den 1950er Jahre haben wir uns aus dem Keller von Oma und Opa ernährt. Da standen große Einweckgläser, in denen die Lebensmittel haltbar gemacht wurden. Vieles davon war totgekocht, kaum was frisch und neben den Vitaminen ist auch viel Geschmack verloren gegangen. Dann kam die Nouvelle Cuisine und mit ihr frisches Gemüse auf die Teller. Eckart Witzigmann brachte das nach Deutschland. Und plötzlich gab’s im Supermarkt frisches Gemüse. Das war wesentlich initiiert von den Eliten des Kochens. Auch der asiatische Einfluss kam aus der Spitzengastronomie, und bald hatte jede WG einen Wok und Sojasauce im Schrank. Die Spitzenküche hat immer großen Einfluss.
Nutzt sie den auch?
Wir haben die Verantwortung, da etwas anzuschieben. Wir können den Leuten nicht sagen: Ihr müsst weniger Fleisch essen. Das ist zwar ein starkes Argument. Aber das zählt im Alltag wenig. Wenn aber ein Dreisternekoch wie Sven Elverfeldt im „Aqua“ das Gemüse ins Zentrum seiner Menüs setzt oder wenn Stephan Hentschel im „Cookies Cream“ zeigt, wie er einen fleischlosen Jus aus Wurzelgemüse macht, dann entwickelt das eine Breitenwirkung. In der Gastronomie und dann auch in der Gesellschaft.
Sie trauen dem Garten des „Noma“ mehr gesellschaftliche Wirkkraft zu als Verbote seitens der Politik?
Absolut. Es bringt der Menschheit nichts, zu wissen, woran sie untergeht. Das ist abstrakt. Es ist nicht sinnlich. Die Fähigkeit der Menschheit, abstrakt antizipieren zu können, wird überschätzt. Die Situation mit dem Klimawandel ist ja seit 20 Jahren auf dem Tisch: Wir sehen sie und lassen uns von scheinbar politischen und ökonomischen Zwängen leiten. Wandel funktioniert nur, wenn er sinnlich erfahrbar ist. Über Genuss. Das kann die Gastronomie.
Jetzt ist die Zahl der vegetarischen Sternerestaurants in Deutschland gerade um 100 Prozent gestiegen. Es gibt nun zwei. Woraus schöpfen Sie die Hoffnung, dass der Prozess schnell genug in Gang kommt?
Uff. Schwierige Frage. Das Lernen geht ja so langsam. Und das Handeln ist immer sehr verzögert. Aber wir kriegen Kinder, die lieben wir, und wenn ich das ernst nehme, dann muss ich den Kindern etwas Vernünftiges hinterlassen.
Gutem Essen haftet in Deutschland der Ruch des Elitären an. Politiker gehen höchstens heimlich in ein teures Restaurant. Welche Impulse könnten sie geben?
Ich habe seit vielen Jahren einen Traum, den ich auch versuche, mit Aktionen anzuschieben. Wenn ich mal in den Trüffel beiße – ich will nicht ins Gras beißen –, dann möchte ich, dass wir ein Unterrichtsfach haben, das Lebensqualität heißt und all das bündelt, was uns an Sinneseindrücken begegnet. Das gilt besonders fürs Essen. Wenn Kinder in großen Mengen Fleisch essen, dann haben sie kein Verständnis für dessen Wert. Sie müssen den Unterschied zwischen Massenware und handwerklichen Produkten erkennen. Warum sollten die nicht verschiedene Salzarten zu unterscheiden lernen? Oder verrückte Dinge zu beurteilen? An einer Schule, an der ich Kochkurse gegeben habe, habe ich erzählt, dass man Ameisen essen kann.
Wie fanden das die Kinder?
Die haben dann auf dem Schulhof angefangen, Ameisen zu essen. Die sind ja offen für diese Erfahrungen. Die haben entdeckt, dass die knusprig sind und sauer schmecken, wenn man darauf lange herumkaut. Ich koche mit den Kindern eine ganz einfache Tomatensauce. Aus guten frischen Tomaten, getrockneten Tomaten und frischen Kräutern. Die fanden das fantastisch. So kann man den ganzen Industriekram, der nur über Werbung funktioniert, ganz schnell umgehen. Damit hätten wir einen großen Teil der Nachhaltigkeitsdiskussion gelöst.
In der „Westfälischen Stube“ haben Sie das Fleisch nicht abgeschafft. Drüber nachgedacht?
Nein. Es gibt aber die klare Ansage: maximal 80 Gramm Fleisch pro Menü. Nicht mehr, und meistens ist es deutlich weniger. Und das in Westfalen. Der normale Westfale braucht das Schnitzel ja größer als den Teller. Fleisch ist für mich auch ein Kulturgut. Es muss nicht verschwinden von der Speisekarte. Kann aber gut sein, dass in 50 Jahren alle über so eine Meinung lachen und ich ein Dinosaurier bin mit dieser Haltung. Vielleicht essen wir dann Fleisch aus der Laborproduktion, die total nachhaltig ist, oder wir strukturieren Eiweiße so, dass sie komplett nach Fleisch schmecken. Oder eben gar keins.
Stichwort Labor: Als Dozent arbeiten Sie mit Studenten im Food Lab der Fachhochschule Münster. Kommen Forschungsergebnisse auch auf den Teller in Ihrem Restaurant?
Ja, klar. Eine Heusuppe zum Beispiel. Ich dachte, man müsste die Aromen von der ersten Mahd im späten Frühling in einem Gericht einfangen. Dann haben wir uns hingesetzt im Labor und analysiert, was für Aromen im Heu sind. Sind die fettlöslich? Wasserlöslich? Sind die schnell als Aromastoffe in der Luft, muss man die mehr als olfaktorische Aromastoffe begreifen? Dann guckt man sich das an. Wir haben dann eine Espuma daraus entwickelt, die wir über ein Wachtelei geben. Und weil da viele olfaktorische Eindrücke eine Rolle spielen, haben wir uns aus Tirol Bergheu schicken lassen und unter den Teller gelegt. So füllte der Duft den ganzen Raum.
Sie sind als ungelernter Koch seit anderthalb Jahren Küchenchef eines Sternerestaurants. Zittern Sie vor dem neuen Michelin-Guide?
Eigentlich bin ich ganz entspannt, auch wenn es eine unfassbare Herausforderung für mich war. Wir hatten gutes Feedback, das wird schon klappen, hoffe ich.
Das Feinschmecker-Festival "eat!Berlin" findet vom 21. Februar bis 3. März statt. Alle Informationen zum Festival unter eat-berlin.de
Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.
Die Stars der Vevolution
"Vevolution" lautet der Titel der neuen Reihe zu veganer und vegetarischer Küche, die an acht Abenden im Restaurant der Max-Schmeling-Halle (Falkplatz 1) in Prenzlauer Berg stattfindet. Moderiert werden die Veranstaltungen von Tagesspiegel-Redakteurin Maris Hubschmid. Und dies sind die Gäste der "Vevolution":
Tobias Sudhoff: Niemand verknüpft Theorie und Praxis so unterhaltsam wie Tobias Sudhoff. Er kocht im Sternerestaurant „Westfälische Stube“, unterrichtet an der FH Münster Ökotrophologie und verknüpft die Zukunft des Essens mit Genuss. Die passenden Weine zu seinem Dinner sucht der Moselwinzer Nik Weis vom St. Urbans-Hof aus.
(Fr. 22. 2., 19 Uhr, 149 Euro)
Andreas Krolik: Gleich ein komplett „tierfreies“, also veganes Menü serviert Andreas Krolik, der im Frankfurter Zwei-Sterne-Restaurant „Lafleur“ über die Töpfe wacht und den der „Gault Millau“ 2017 zum Koch des Jahres kürte. Die Weine zu seinen fünf Gängen suchen Paul und Sebastian Fürst aus. Vater und Sohn leiten das Weingut Rudolf Fürst im Maintal zwischen Spessart und Odenwald.
(Di 26. 2., 19 Uhr, 179 Euro)
Heiko Antoniewicz: Was der ehemalige Sternekoch und heutige Gastro-Berater unter einer zeitgemäßen Gemüseküche versteht, das hat er schon in seinem Kochbuch „Vegetarisch – Green Glamour“ vorgestellt. Seine fünf Gänge werden kongenial begleitet von Weinen des Weinguts Espenhof in Rheinhessen, dessen Philosophie der Winzer Nico Espenschied „unkonventionell, autochthon und lebendig“ nennt.
(Sa 23. 2., 19 Uhr, 159 Euro)
Daniel Schmidthaler: Was Daniel Schmidthaler in der „Alten Schule“ in Fürstenhagen/Feldenberger Seenlandschaft kocht, ist unangepasst, spontan und eigen. Ob Pilze, Kohlrabi, Birke, Johannisstrauch
oder Löwenzahnhonig – der Sternekoch bringt die Mecklenburger Natur in fünf Gängen auf den Teller. Die Weine passen auch regional: Sie kommen von Dr. Wobar aus Großräschen.
(Mi, 27. 2., 19 Uhr, 159 Euro)
Bobby Bräuer: Ein festes vegetarisches Menü hat Bobby Bräuer immer auf der Karte seines mit zwei Sternen geehrten „EssZimmers“ in München. Jetzt zeigt der ehemalige Souschef von Eckhard Witzigmann in Berlin, was er aus Gemüse rausholen kann. Die Weine vom Schlossgut Diel an der Nahe stellt die renommierte Winzerin Caroline Diel zusammen mit ihrem Mann Sylvain Taurisson-
Diel vor.
(So 24. 2., 19 Uhr, 179 Euro)
Benjamin Biedlingmaier: Aus Dresden stammt Benjamin Biedlingmaier, wo er im „Caroussel“ des Hotels Bülow-Palais mit französischem Einschlag und unkonventionellen Ideen kocht. Seine „Faux Gras“ etwa besteht aus Macadamia-Nüssen, Pinienkernen, Trüffel, Ei und Kakao. Die Weine zu den fünf Gängen stammen ebenfalls aus Sachsen vom bekanntesten Weingut der Region: Georg Prinz zur Lippe holt sie aus dem Keller von Schloss Proschwitz.
(Do 28. 2., 19 Uhr, 159 Euro)
Thomas Kellermann: In Berlin erkochte er seinen ersten Stern, im „Kastell“ in der Oberpfalz bekam er den zweiten, mittlerweile wirkt er am Tegernsee in den Egerner Höfen, wo Viktualien – wie er regionale Gewächse liebevoll nennt – eine Hauptrolle spielen. Die unkonventionellen Weine bringt Winzer Christian Peth vom Weingut Peth-Wetz in Bermersheim/Rheinhessen mit.
(Mo 25. 2., 19 Uhr, 179 Euro)
Felix Denk
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