Kunstgeschichte: Vom Geist des Weines
Im Wein liegt nicht nur die sprichwörtliche Wahrheit, sondern auch ein uraltes Kunst- und Kulturgut. Was die Künste seit dionysischen Zeiten mit der Natur und Kultur des Rebsaftes verbindet.
Der Rebsaft als Lebsaft und Lustkraft gehört wohl zu den ursprünglichsten Motiven der Kunst- und Menschheitsgeschichte. In der Traubenzucht und im Weinbau verbinden sich wie selbstverständlich Natur und Kultur – weil es um die Früchte des Bodens und ihre kreative Verfeinerung geht. Diese Geschichte ist in ihren Anfängen etwa achttausend Jahre alt, und sie begann in einer Region der Welt, die heute auch ihre religiös-politischen Probleme hat mit der Freiheit von Wein, Weib und Gesang.
Mesopotamien, das einstige babylonische Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris (heute zum Irak und Syrien gehörig), war als früheste Weingegend auch die Wiege unserer westöstlichen, später vor allem mittelmeerischen Kultur. Daran erinnert etwa die Legende um den am Ende allzu trinkfreudigen König Belsazar. Heinrich Heine hat ihm um 1824 eines seiner eindrucksvollsten Gedichte gewidmet: „Die Mitternacht zog näher schon, / In stummer Ruh lag Babylon. // Nur oben in des Königs Schloss, / Da flackert’s, da lärmt des Königs Tross. // Die Knechte saßen in schimmernden Reihn /Und leerten die Becher mit funkelndem Wein...“
Im Wein aber steckt nicht nur, wie der lateinische Sinnspruch meint, die Wahrheit, sondern, im Überfluss genossen, auch der wilde Wahn. Der berauschte Belsazar lässt im Mythos, von dem auch Heine handelt, „viel gülden Gerät“ aus dem „Tempel Jehovas“ bringen und ergreift „mit frevler Hand /Einen heiligen Becher, gefüllt bis zum Rand“. So trinkt er und gotteslästert. Doch plötzlich wird es „leichenstill im Saal“: „Und sieh! und sieh! an weißer Wand /Da kam’s hervor wie Menschenhand.“ Es ist die berühmte Flammenschrift, das rätselhafte Menetekel, das keiner von des Königs Magiern zu entziffern weiß, und Belsazar, der Sohn des noch mächtigeren Nebukadnezar (als dessen Nachfahr sich Saddam Hussein rühmte), „ward in selbiger Nacht / Von seinen Knechten umgebracht.“
„Nebukadnezar“ übrigens lautet der Name der größten, nämlich 15 Liter fassenden Flasche aus der historischen Sammlung im Kellergewölbe des „Museums für Weinkultur“ in der pfälzischen Winzerhochburg Deidesheim. Heine wiederum hat den deutschen Rhein ebenso wie den deutschen Wein geliebt, und sein Gedicht, das allein dem Machtrausch galt, wurde unter anderem von Robert Schumann vertont. Zweihundert Jahre zuvor hatte schon Rembrandt die Nacht des babylonischen Zechers in einem furiosen Gemälde vorgeführt: mit stürzenden Kelchen, Schalen voller üppiger Reben und einem von einer (falschen) hebräischen Flammenschrift mit Entsetzen geschlagenen turbanhäuptigen Belsazar.
Lust und Leid, Gier und Genuss, Rausch und Reue, Schönheit und Schrecken – all diese großen Themen der Kunst kommen hier fast exemplarisch zusammen. Und Rembrandt, das größte und dunkelste Genie des goldenen niederländischen Barocks, ist nur einer von vielen seiner Zeitgenossen, die dem Bukolischen und Bacchantischen malerisch gehuldigt haben. Rubens, der andere Großmeister, lässt oft genug die dionysischen Jünger und das bocksbeinige, sexlüsterne Gefolge des Weingotts, die Satyrn und Silene, im saftigen, fleischlichen Gemenge mit üppig entblößten Frauen auftreten.
Die Barockmalerei ist in ganz Europa freilich auch die hohe Zeit des Stilllebens, das eigentlich dem „memento mori“, der Erinnerung an die eigene Sterblichkeit galt. Doch nicht nur. Gefeiert wird oftmals der schiere Sinnengenuss, in dem Trauben ebenso wie kristallene Gläser und Karaffen voll Wein Verheißung und Verführung bedeuten. Sie werden auf Tischen und Schalen anspielungsreich drapiert: neben feuchten Fischen, geöffneten Muscheln, blutigem Fleisch, phallischem Spargel, aufgeschnittenen Feigen, geschälten Zitrusfrüchten oder anderen irdisch-paradiesischen Gewächsen. Dabei gelten vor allem Austern und Alkohol seit der Antike als erotisch stimulierende Paarung.
Die Idee eines Weingotts kam zu den Griechen von den Ägyptern und Phöniziern her. Aus Osiris wurde in Abwandlungen Dionysos, der bei einem der vielen Seitensprünge des Zeus gezeugt und aparterweise im Schenkel des Göttervaters ausgetragen wurde. Dionysos, den die Römer dann Bacchus nannten, brachte den Menschen die Lust des Rausches, die ihn am Ende auch selbst zerriss. Erst die Leber, dann das Leben, diese Einsicht ist freilich erst eine der medizinischen Moderne. Im Altertum gründete das tiefer: im ungetrübten Sinn für das Tragische und Theatralische, weshalb Friedrich Nietzsche den Gegensatz zwischen dem dunkelsinnlich Dionysischen und der Verstandeshelle des Apollinischen in die Philosophie einführte. Nietzsche war es auch, der die Geburt der Tragödie, des Urgrunds aller Kunst, aus dem Geist der dionysischen Rhythmen und Rituale hergeleitet hat.
Bei den Griechen galt als höchstes Theater die Tragödie, und ihr berühmtester Schauplatz war das Dionysos-Theater am Fuß der Athener Akropolis. Doch der Tragödie folgte auch das Satyrspiel. Und in den bildenden Künsten gibt es neben der Paarung Eros und Thanatos (Liebe und Tod) von früh an die rauschhafte Lust am Sex und der Komödie. Das zeigen all die alkoholischen und erotischen Motive auf antiken Weinschalen, in Skulpturen und Wandmalereien. Mit dem aufkommenden Christentum war mit diesen Motiven zwar erst mal Schluss. Aber in der Renaissance kehrt das Anzügliche im Raffinement der Anspielung wieder.
Künstler verwenden dabei als Alibi zunächst religiöse, biblische Motiven. Die zur Mutter Gottes gewordene Jungfrau Maria beispielsweise entblößt nur zu gerne ihre dem trinkseligen Jesuskind dargebotene Brust. Es ist das Motiv der „Maria lactans“, deren Gottesmuttermilch bisweilen galaktisch ins Universum sprüht. Jan Steen beispielsweise überführt dieses Sujet um 1670 in seine Gegenwart. Auf einer bürgerlichen „Bauernhochzeit“ gerät im Interieur eines Gutshauses das eigentliche Brautpaar in den Hintergrund, zum Blickfang wird indes eine vollbusig stillende Dame, gesäumt von einer Gesellschaft, der es an rosig aufgeschnittenem Braten und einen den Betrachter direkt einladenden Weinkelch nicht fehlt. Trink- lust ist allemal Sinnenlust.
Der Italiener Guido Reni verknüpft Antike und Barock gar aufs Innigste, indem er als „Weintrinkenden Putto“ anstelle eines dionysischen Silens einen nackten Engelbengel zeigt, der einen tiefen Schluck aus der Flasche nimmt, um das Genossene zugleich in munterem Strahl auch wieder rauszupinkeln.
Kirche und Weinbau sind sich in der christlichen Kultur recht bald nahe gekommen. Schon das Johannes-Evangelium berichtet, wie Jesus bei der Hochzeit von Kana Wasser in Wein verwandelt. Im Mittelalter betrieben viele Klöster auch Weinbau (oder brauten Bier), und der Kelch beim Abendmahl ist mit Messwein gefüllt. Mancher Weinkult hat seine Wurzeln wiederum in der Antike, und Herrscher aller Zeiten, von Alexander dem Großen bis zu Präsidenten, Kanzlern und Kanzlerinnen von heute waren und sind erklärte Weinliebhaber.
Der italienische Manierist Giuseppe Archimboldo etwa malte 1590 den Kaiser Rudolf II. als Traubenkopf, mit einer stark geröteten Birnennase und ebensolchen Apfelbacken, ein Trinker von Natur. Caravaggio zeigt beim „Abendmahl in Emmaus“ (um 1602) auch Jesus Christus vor einer Karaffe Wein und einem Korb Trauben nicht abgeneigt – doch konnte die Kunst dem Dionysischen vorm Anbruch der Moderne am freiesten im Rückgriff auf die vorchristlichen Mythen und Riten huldigen. Ein Sinnbild dafür ist natürlich „Der Triumph des Bacchus“.
Dieses Motiv findet sich vielfach in der Kunstgeschichte, aber am genialsten ist die Version von Diego Velázquez, die heute im Prado von Madrid hängt. Der kühne spanische Hofmaler versetzt in seinem Gemälde von 1628/29 den antiken Weingott in eine Gesellschaft von Bauern und Trinkern, die mit ihren Schlapphüten und Wämsern als Zeitgenossen des Malers und der damaligen Betrachter erscheinen. Eben diese Vermischung der Epochen und Kulturen in der vieltausendjährigen Geschichte des Weins spiegeln dann auch die Maler der Moderne: angefangen von den französischen Impressionisten bis zu den archaischen Nächten und neuzeitlichen Dämonen eines Max Beckmann, bei dem im grandiosen späten New-York-Bild „City Night“ 1950 die Nacktheit und die Musik, der Schlaf und die Lust, die Schönheit und das menschliche Tier beschworen werden; wobei die umgestürzte Weinflasche und eine Schale Trauben nicht fehlen.
In den 1960/70er Jahren hat dann Markus Lüpertz den Geist des Weines abstrahiert: in seiner vom Dionysoskult und Friedrich Nietzsche inspirierten, von ihm selbst so genannten „Dithyrambischen Malerei“. Doch die Verbindung von Kunst und Wein funktioniert auch viel schwereloser und verspielter. So hat das berühmte Weingut Chateau Mouton Rothschild seit 1945 die Jahrgangs-Etiketten seiner Spitzenweine mit dem Bild jeweils eines international bedeutenden Künstlers geschmückt. Die Liste reicht von Jean Cocteau 1947 über Picasso 1973 (in seinem Todesjahr), Andy Warhol 1975, Georg Baselitz 1989 bis Niki de Saint Phalle 1997 oder Ilya Kabakov 2002.
Übrigens gehören Kunst und Wein auch zu jeder Vernissage. Bier wird dort selten gereicht. Und ohne den täglichen oder nächtlichen Roten im Glas wäre beispielsweise die französische Filmgeschichte nicht vorstellbar. Ganz unverbrüchlich ist die Paarung von Wein und Geist auch in der Literatur. Das beginnt mit Homers „Ilias“, in der die Zechgelage der Helden vor Troja kaum zu zählen sind, und es endet nicht im „Faust“ (in Auerbachs Keller). Goethe trank jeden Tag mindestens einen Liter Wein, E. T. A. Hoffmann wohl eher schon zwei, und das schönste moderne Weinmärchen ist gewiss Joseph Roths „Legende vom heiligen Trinker“.
Wie gut aber für alle lebenden Dichter, dass etwa zum Rheingau Literaturpreis, den dieses Jahr Jochen Schimang erhält, von jeher nebst 10.000 Euro auch 111 Flaschen Rheingauer Rieslings vom Verband der Deutschen Prädikatsweingüter gehören. Und die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland- Pfalz, die zuletzt Bodo Kirchhoff, Volker Schlöndorff und Emine Sevgi Özdamar erhielten, wird gar mitsamt einem 30-Liter-Weinfass aus Nackenheim verliehen, dem Geburtsort des großen Dichters und Trinkers Carl Zuckmayer. Das könnte durchaus ein Vorbild sein, von der Elbe und Saale bis hin zum Kaiserstuhl!
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