zum Hauptinhalt

Saison: Versprechen auf ewige Jugend

Superfood verheißt viel und legt einen beachtlichen Siegeszug hin. Auch in der Gastronomie. Aber wie super sind Geschmack und gesundheitlicher Nutzen wirklich?

Der gesündeste Ort der Welt muss am Rosenthaler Platz sein. Hier treffen sich eher junge und recht biegsame Menschen, die auch in geschlossenen Räumen ihre Mützen nicht abnehmen. Wenn sie auf den terrassenförmig angelegten Paletten sitzen, was eine gewisse körperliche Geschmeidigkeit erfordert, und einen Chia-Pudding mit Açai-Topping löffeln, könnte man meinen, sie würden gerade eine Yoga-Übung machen. Und wer weiß? Vielleicht entsteht hier gerade ein neuartiges Ess-Yoga, immerhin ist die Speisekarte im „Daluma“ nach gesundheitlichem Nutzen gegliedert: Gut fürs Immunsystem soll der Wheat Treat Smoothie mit Weizengras, Orange, Fenchel und Spirulina sein. Isotonisch wirke hingegen der Pink Fuel Cold Press Juice mit Grapefruit, Spitzkohl, Mandelmilch, Kokoswasser, Chia und Kokosblütenstaub.

Daluma, Weinbergsweg 3, Mitte, daluma.de
Daluma, Weinbergsweg 3, Mitte, daluma.de
© Promo

Das „Daluma“ ist so erfolgreich, dass schräg gegenüber ein weiterer Laden mit nicht wenigen konzeptuellen Überschneidungen aufgemacht hat. Im „Superfoods & Organic Liquids“ sind die Sandwiches aus glutenfreiem Buchweizen-Brot und die Salate sortiert nach ihrer Wirkung: Antioxidativ etwa soll die Version mit Babyblattspinat, Heidelbeeren, Goji-Beeren, Brokkoli, Rote Bete, Edamame, Kürbiskernen und Quinoa sein. Wem nach Detox ist, der greift zur Variante mit grünem Spargel, grünen Bohnen und Granatapfel.

Cafés dieser Art, meist in Weiß gehalten wie eine Mischung aus Arztpraxis und Apple-Store, sind in Berlin in den vergangenen zwei Jahren wie Shitakepilze aus dem Boden geschossen. Doch das war offensichtlich nur die erste Welle. Längst erobern speziellere Superfood-Konzepte nicht nur die Müsliregale der Bio-Läden und ­Supermärkte, sondern auch die Gastronomie.

Kürzlich hat in Neukölln eine Bar namens „Bonafide Broth“ eröffnet, als winterliche Zwischennutzung einer Eisdiele. Broth, das bedeutet eigentlich Brühe, so wie Oma sie noch gekocht hat, nämlich aus Knochen. Nichts wirklich Neues also, trotzdem ist sie aktuell das heißeste Ding in New York und London. Denn Bone Broth soll die Abwehrkräfte stärken und ist reich an Kollagen, das als Geheimnis schöner Haut gilt. Praktisch: Im „Bonafide Broth“ bekommt man die Brühe im Pappbecher to go.

The Bowl, Warschauer Straße 33, Friedrichshain, thebowl-berlin.com
The Bowl, Warschauer Straße 33, Friedrichshain, thebowl-berlin.com
© Promo

In diese Reihe passt auch „The Bowl“, das erste „Clean Eating Restaurant“ Berlins. So planen das jedenfalls die Betreiber des Ladens über dem Veganz-Supermarkt in Friedrichshain, wo zuvor zwei vegane Restaurants gescheitert sind. Clean Eating ist im Grunde Vollwertkost. Es verzichtet auf verarbeitete Lebensmittel, etwa Zucker oder Mehl. Nicht aber auf hyperventilierende Sätze auf der Speisekarte. Da steht beispielsweise über die Avocado, sie sei „der ultimative Dauerkick für Deine Zellen“.

Wir leben in lebensmittelbesessenen Zeiten. Und klar, es gibt einen Kult ums gesunde Essen. Aber was um alles in der Welt ist denn da los? Geschmacklich kann man den Siegeszug des Superfood schon mal nicht begründen. Eine Verkostung zeigt das: Eine Auswahl an Green Smoothies und Cold Press Juices aus mehreren Berliner Läden steht in sechs Weingläsern bereit, sie sind gefüllt mit dickflüssigen, bunten Getränken. Sie sind dunkelrot, mal knallorange, mal grasgrün mit einem Schlag ins Matschige. Beim Schwenken des Glases bleibt ein zähflüssiger Rand kleben. Mal schmeicheln Vanillenoten die Nase, mal muss sie einen muffigen Kohlgeruch ertragen und mal etwas wittern, das an Schlammpfütze erinnert. Trotz vieler verwendeter Zutaten fehlt es oft an geschmacklicher Spannung. Fazit nach dem Flight aus sechs probierten Säften: Begeistern tut keiner, drei sind solide, einer ist grenzwertig und zwei muss man als Totalausfälle bezeichnen. Ein Cold Press Juice aus Brokkoli, Gurke, Sellerie, Zitrone, Spinat, Petersilie und Ingwer schmeckt so metallisch, als würde man eine Batterie ablecken. Der Smoothie mit Karotte, Kürbis, Apfel, Grapefruit und Kurkuma hinterlässt ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Und günstig ist keiner der verkosteten Säfte: Ab 4,50 Euro für 250 Milliliter kann man an dem Großprojekt der Selbstoptimierung teilnehmen.

Woher also kommt die Begeisterung für Superfood? Der amerikanische Journalist ­David Sax liefert in seinem aktuell erschienenen Buch „Tastemakers“ (Residenzverlag) ein Erklärungsmodell für die rasant wachsende Welt der Lebens­mitteltrends. Die gab es selbstverständlich schon immer. Manche halten sich - zum Beispiel der Espresso - andere verschwinden wieder - wie das Fondue Chinoise. Mit zunehmenden Wohlstand wurde Essen zum Modeartikel, Statussymbol und Machtinstrument. Längst ist es ein Stück Popkultur mit den entsprechenden Wellen der Hysterie, die durch die sozialen Netzwerke beschleunigt und verstärkt werden.

David Sax unterscheidet vier Arten von Foodtrends. Es gibt kulturelle Trends, etwa den Cupcake. Nachdem er 20 Sekunden in einer Folge „Sex and the City“ vorkam, hat sich der Absatz in Amerika von 2008 bis 2012 um 56 Prozent gesteigert. Es gibt landwirtschaftliche Trends, etwa wenn neue Produkte auf den Markt kommen. Beispielsweise die Reissorte China Black, die pro Kilo 1000 Dollar kostet. Andere Trends werden von Köchen initiiert. Warum erst die korea­nische und jetzt die peruanische Küche so beliebt ist, geht auf einzelne Pioniere am Herd zurück. Und schließlich gibt es die gesundheitlichen Trends. Dazu gehört Superfood.

Das Wort ist relativ neu. 1998 machte es ein amerikanischer Journalist bekannt, indem er damit Lebensmittel bezeichnete, die einen hohen Nährstoffreichtum aufweisen würden. Seither hat „Superfood“ eine steile Karriere als Marketingbegriff der Lebensmittelindustrie hingelegt. Warum? In einer komplexen und hyperoptionalen Welt, so David Sax, bietet es eine attraktive wie simple Erklärung. Wenn Du das hier isst, wirst Du gesund und glücklich. Meist wird das Versprechen auf ewige Jugend und immerwährende Gesundheit noch irgendwie kultur­anthropologisch unterfüttert. Es ist ja fast immer auf der Rückseite der Müslipackung von einem Urvolk die Rede, das irgendwo im Dschungel lebte, Beeren, Körner und Nüsse aß und so von zivil­isatorischen Plagen wie Krebs, Übergewicht oder Alzheimer verschont blieb.

Fragt man nach bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, hört sich das alles schon viel nüchterner an. „Unsere heimischen Lebensmittel stehen dem exotischen Superfood meist in nichts nach“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Isabelle Keller. Eine Rosine sei mit einer Goji-Beere in Bezug auf Nährwerte und sekundäre Pflanzenstoffe durchaus auf Augenhöhe. Allerdings haben die getrockneten Weinbeeren mehr Kalium und müssen nicht von ewig weither importiert werden. Ohnehin ist man skeptisch, wenn von einzelnen Lebensmitteln allzu Magisches an gesundheitlichem Nutzen versprochen wird. Viel wichtiger sei die Mischung: „Wir raten generell zu einer möglichst abwechslungsreichen Ernährung. Täglich 500 Gramm Gemüse, darunter viele Hülsenfrüchte, 250 Gramm Obst, viel Nüsse und Vollkornprodukte. Dann ist man auf einem guten Weg.“

Problematisch am Superfood-Hype hingegen ist, dass man noch nicht so viel über diese exotischen Lebensmittel weiß. Und da geht es längst nicht nur um hehre Versprechen wie das der Açai-Beeren, die angeblich schlank machen sollen. Bei Goji-Beeren etwa wurde erforscht, dass sie zu Wechselwirkungen mit bestimmten, gerinnungshemmenden Medikamenten führen können. Chia ist zwar reich an Omega-3-Fettsäuren und Ballaststoffen, steht allerdings im Verdacht Verdauungsprobleme auszulösen. Das Korn kann eine große Menge Wasser binden und somit stark aufquellen, was im Darmtrakt zu unschönen Folgen führen kann.

Ohnehin ist Chia, das lange nur als Vogelfutter verwendet wurde, kaum besser als Leinsamen, was seine Nährwerte angeht. Da gab es übrigens auch mal ein Urvolk, das dieses heimische Getreide fleißig gegessen hat: die Germanen.

Goji-Beeren Sie spielen in der „Traditionellen Chinesischen Medizin“ seit Jahrhunderten eine Rolle. Sie haben viel Vitamin C, hohen Kalium-Gehalt, kaum Ballaststoffe und liefern wesentlich weniger Zucker als etwa Rosinen. Der Anti-Aging-Effekt ist wissenschaftlich noch nicht belegt. Problematisch: Die importierten Goji-Beeren weisen bisweilen hohe Pestizidbelastungen auf. Außerdem kann es zu Wechselwirkungen mit blutverdünnenden Medikamenten kommen.

Chia-Samen Der Superfood-Star aus Südamerika findet sich aktuell in unzähligen Müslimischungen, Backwaren oder als Pudding. Sie haben viele Ballaststoffe und einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, vor allem Omega-3-Fettsäuren. Allerdings auch nicht höher als bei heimischen Ölsaaten wie Leinsamen oder Mohn. Besonders an Chia-Samen ist ihre hohe Quellfähigkeit. Dadurch haben sie eine bindende Wirkung. Beim veganen Kuchenbacken können sie Eier ersetzen.

Chlorella Die Süßwasseralgen enthalten B12-Vitamine, sind sehr beliebt als Nahrungsergänzungsmittel und werden in der Alternativmedizin zur Entgiftung eingesetzt. Wissenschaftlich ist der Nutzen jedoch nicht belegt. Sekundäre Pflanzenstoffe, die Chlorella enthalten, gibt es auch in ausreichender Menge in unseren heimischen Lebensmitteln.

Açai-Beeren Die Frucht der Kohlpalme vom Amazonas ist gerade das ganz große Ding, soll sie doch schlank machen und jung halten. Hierzulande bekommt man sie als Saft oder getrocknet. Die Mengen an Ballaststoffen, Eiweiß und Mineralstoffen sowie bei den sekundären Pflanzenstoffen ähneln denen von Heidelbeeren oder Rotkohl, die eine vergleichbare antioxidative Wirkung haben.

Weizengrassaft Einen Hype erlebt auch die Flüssigkeit, die heraustritt, wenn noch junger Weizen geerntet und gepresst wird. Aber es gibt keine verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Weizengrassaft Krankheiten lindern oder vorbeugen könnte.

Mehr zum Thema gut Essen, Trinken & Kochen in Berlin finden Sie im Magazin "Tagesspiegel Genuss".

Felix Denk

Zur Startseite