Die Untergrund-Bands von Teheran: Verbotene Bilder einer verbotenen Musik
Sie spielen Gitarre, eine Frau singt, sie tanzen: All das ist illegal. Im Iran kann sich Jugendkultur nur im Untergrund entfalten. Ein ausländischer Fotograf, der anonym bleiben muss, hat jahrelang um das Vertrauen der Musiker geworben. Wir zeigen exklusiv einige seiner Bilder.
Im Festsaal einer Musikschule dreschen am helllichten Tag junge Männer auf Gitarren ein. Vor ihnen sitzen Jungs auf der einen, Mädchen mit Kopftüchern auf der anderen Seite. Es gibt Tee, kein Bier. Keiner singt mit, keiner wippt, keiner tanzt. So sieht ein staatlich genehmigtes Rockkonzert im Iran aus. Erschad, das Ministerium für Kultur und islamische Führung, und die Moralpolizei wachen darüber, dass das so bleibt.
Dabei gibt es im Iran alles, was es im Westen auch gibt. Kurze Röcke, Drogen und Alkohol, Prostituierte, Regimekritik und wilde Partys. Freiheit, nur eben im Verborgenen, hinter Mauern und Fassaden, in Kellern, im Dunkeln, wenn die Nacht hereinbricht, auf dem Land, wo keiner hinschaut. Die Iraner kiffen am Steuer und jammen in der Küche. Doch sie dürfen sich dabei nicht erwischen lassen, Feiern ist genauso strafbar wie Homosexualität und Ehebruch. Für illegale Partys lautet die Strafe Peitschenhiebe, für Alkoholkonsum Gefängnis und im wiederholten Falle sogar Hinrichtung.
Die religiösen Führer des Landes, die Ajatollahs, befürchten eine „samtene Unterwanderung durch Kultur“, wie ein iranischer Autor schrieb. Musik sehen sie als ein Mittel des Westens, einen Regimewechsel herbeizuführen. Während manche Popmusik inzwischen erlaubt ist, assoziieren sie Rock und Heavy Metal mit Satanismus. Der ist besonders schlimm, weil es im Islam keinen Teufel als Widersacher zu einem guten Gott gibt, Allah ist allmächtig.
Trotzdem ist die iranische Untergrund-Rockszene in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Mehr als 500 verbotene Bands soll es allein in der 13-Millionen-Metropole Teheran geben.
Diese Kultur hat nun ein international renommierter Fotograf dokumentiert. Seinen Namen darf niemand erfahren, damit er weiterhin in den Iran reisen und dort Geschichten vom Widerstand gegen die Zensur einsammeln kann. Seit Jahren fotografiert er für amerikanische und europäische Magazine: iranische Künstlerinnen, heimliche Balletttänzerinnen, trinkende Jugendliche. „Vieles wird erst durch das Verbot richtig interessant“, sagt er. Beispielsweise, wenn die Zensoren der islamischen Republik in Magazinen nackte Haut überkleben, Gauguins nackte Tahitianerinnen ankleiden und Mahatma Gandhis Lendenschurz zur Hose machen.
Auf der Suche nach den Untergrundmusikern spazierte der Fotograf wochenlang durch Teherans Straßen. In einem Café lernte er Künstler kennen und verbrachte so viel Zeit mit ihnen, bis er Teil der Szene wurde. Da Kommunikation für die Bands untereinander gefährlich und deshalb selten ist, kannte er bald mehr Rockmusiker als die Rockmusiker selbst. „Die Unterdrückung macht ihre Musik besser, emotionaler, so wie damals bei den Rockbands in der Sowjetunion.“
Von jeder Band nur ein einziges Bild
Die Kamera hatte er nie dabei. Erst, wenn die Musiker ihm vertrauten, schoss er ein einziges Bild. Das konnten sie selbst kontrollieren: Er fotografierte die Bands mit Fuji- Instax-Filmen, machte also Polaroids. So konnten sie sich das Ergebnis direkt anschauen und sichergehen, dass keine weiteren Bilder im Umlauf waren. Dann gab er ihnen Filzstifte und bat sie, das Bild nach eigenem Wunsch zu verändern, etwas auf Farsi zu schreiben, Textzeilen und Botschaften unterzubringen. Wer wollte, konnte sein Gesicht übermalen. Für den Fotografen hat diese Technik auch ästhetische Gründe. „Sie gibt einem als Zuschauer das Gefühl von etwas Alltäglichem, etwas Hausgemachtem“, sagt er. Hinter die Polaroids legte er digitale Schwarz-Weiß-Fotos von Teheraner Häusern. „Es sind beliebige – ich will die Proberäume und Wohnungen der Musiker ja nicht enttarnen.“ Aber hinter jedem Fenster geschehe etwas, das die Zensur nicht wisse.
Bei seinen Streifzügen traf der Fotograf beispielsweise Mareza Hariri (Bild 5), den Gitarristen der Band Vandida. Seine Musik beschäftigt sich, trotz des verträumten Elektrosounds, offen und wütend mit der Unterdrückung.
Wie viele begabte Musiker unterrichtet Hariri am Konservatorium, statt auf der Bühne zu stehen. Manche vertonen kitschige TV-Serien, um Geld zu verdienen. Wenn er auftritt, dann vor ein paar Freunden im engen Wohnzimmer, im Ausland, in Istanbul zum Beispiel, oft zahlen die Bands dabei drauf. Zu Festivals lädt sie niemand ein, weil unsicher ist, ob sie ein Visum bekommen. Oder sie spielen nach den Regeln der Zensur, reichen Text und Musik bei der Behörde ein und stehen dann vor bewegungslosem Publikum. „Wir sind verboten, weil unsere Musik die Leute zum Tanzen bringt“, sagt Hariri. Auf den Flyern heißt es dann, dass hier zu Rockmusik "geforscht" würde. Manchmal lassen sich die Polizisten auch bestechen, wegzuschauen, wegzuhören. Wenn nicht, schreiben die Zeitungen am nächsten Tag, dass wieder eine Gruppe verhaftet wurde, die gegen Gott gesungen habe.
Hariri war sechs, als er sich in Musik verliebte, sein Vater spielte damals auch in einer Band. In den ersten Jahren nach der Iranischen Revolution 1979 waren nicht traditionelle Musikinstrumente noch verboten. Im Fernsehen liefen zu Musik Bilder von Sonnenuntergängen. Flugzeugpersonal schmuggelte Platten ins Land, die die Iraner dann illegal bei einem Dealer als Kassetten erstehen konnten. Das ist einfacher geworden, seit es das Internet gibt. Über Proxy-Server umgehen Jugendliche staatliche Filter und downloaden sich die verbotene Kost.
Wer auf der Straße eine Gitarre schwenkt, bekommt Ärger mit der Moralpolizei
Mit 14 wurde Hariri Fan von Nirvana, Kurt Cobain sein Idol. Er bekam eine Gitarre vom Basar – unter dem Reformpräsidenten Mohammed Khatami hatten sich einige Regeln gelockert. Jedoch in Maßen: Im Iran entscheiden nicht die demokratisch gewählten Präsidenten, sondern der herrschende Rechtsgelehrte. Heute ist das Ajatollah Ali Chamenei. Unter Präsident Mahmud Ahmadinedschad wurde die Zensur dann erneut verschärft. Wer eine Gitarre auf der Straße schwenkte, handelte sich Schikane durch die Moralpolizei ein.
Der derzeitige Präsident Hassan Ruhani verkündete Anfang des Jahres: „Mischt euch nicht in das Leben der Leute ein, man kann sie nicht mit Gewalt und Peitschenhieben zum Paradies führen.“ Zeitgleich forderten hunderte Schriftsteller, Lyriker, Journalisten und Künstler, die Zensur endlich abzuschaffen. Denn noch immer begleitet die Zensurbehörde legale Filme vom Drehbuch bis zur Postproduktion, Romane werden manchmal jahrelang geprüft, bis sie veröffentlich werden dürfen. Sachbücher sind oft schon veraltet, wenn sie in den Läden liegen. Antennen zum Empfang von ausländischen Sendern sind verboten und werden beschlagnahmt. Die Iraner kaufen sie nach. Die Polizei kommt nicht hinterher. Seit Ruhani im Amt ist, wurde zwar schon das „Haus des Kinos“ wiedereröffnet, doch dass sich der Präsident im Machtkampf zwischen Radikalkonservativen und Reformern weiter durchsetzen kann, glauben die wenigsten der Musiker. Vielleicht, sagt einer, wolle er mit den Zugeständnissen nur die Jugend besänftigen, die seit der gescheiterten Grünen Revolution von 2009 wütend ist. Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung sind unter 30.
Wer als Musiker im Iran bekannt werden will, verhandelt geschickt mit der Zensurbehörde. Manchen Bands wie Thunder oder O-Hum, die sich vorauseilend selbst beschränken, gelingt das. Ihre Plattencover sind harmlos: keine rasierten Schädel, keine ketzerischen Symbole, keine singenden Frauen. Frauen nämlich dürfen im Iran noch immer nicht solo auftreten – ihre Stimme könnte fremde Männer erregen. Davon kann Behnaz erzählen, die als Frontsängerin der Band Pi eine Gefängnisstrafe riskieren würde, wenn sie öffentlich aufträte. „Background wäre erlaubt, doch wo fängt das an, wo hört das auf?“ Sie spielt nur für Freunde. „Es sieht danach aus“, sagt sie, „dass wir für immer Untergrund-Musiker bleiben werden. Aber wir geben nicht auf.“
Julia Prosinger
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