Polestar 2: Vegan fahren
Vollelektrisch, innovativ und zugleich familientauglich - ein Wagen, der deutschen Herstellern und auch Tesla heftig Konkurrenz machen könnte.
Wie sieht die Zukunft des individuellen Fahrerlebnis aus? Das fragt man sich unwillkürlich, wenn man im Polestar 2 sitzt. Polestar – was? Kenn ich nicht. Werden Sie noch kennenlernen. Ab August wird das vollständig elektrisch angetriebene Fahrzeug in Deutschland ausgeliefert – und für Menschen, denen innovatives und umweltfreundliches fahren wichtig ist, wird der Polestar 2 durchaus eine Versuchung sein. Eines der spannendsten neuen Fahrzeuge ist der Polestar 2 auf jeden Fall. Der Unternehmens-Chef Thomas Ingenlath möchte das Auto denn auch als Beitrag gegen den Klimawandel und einem nachhaltigen Lebensstil sehen. Die CO2-Bilanz beim Fahren ist schon mal Null, nun muss das auch noch gelten für die Ladestrom-Herkunft und die Herstellung des Fahrzeugs. Tierische Produkte werden in dem Wagen nicht verarbeitet, weswegen es auch keine lederbezogenen Sitze gibt, sondern recyceltes Material. Die Fußmatten sind etwa aus PET-Trinkflaschen hergestellt. Und die mit einer schön haptischen Oberflächenstruktur versehenen Holzpanele sind in einem speziellen Verfahren verbrauchsarm geschnitten und bearbeitet. Super verarbeitet übrigens. So wie man es eben vom Autobauer Volvo kennt, der zusammen mit dem chinesischen Volvo-Eigner Geely hinter dem Unternehmen Polestar steht. Ist der Polestar 1 noch ein luxuriöses Hybrid-Coupé für mindestens 155 000 Euro, dessen Verbrenner und die zwei weitere Elektromotoren zusammen über 600 PS auf die Straße bringen, aber im Alltag nur 80 Kilometer elektrische Reichweite hat, ist der Polestar 2 eine durchaus massenkompatible und familientaugliche Fließheck-Limousine mit ausschließlich elektrischem Antrieb.
Mit Wumms und zwei Elektromotoren
Auch der hat es in sich. Zwei Elektromotoren, die jeweils die vordere und die hintere Achse antreiben, bringen immerhin ein wuchtiges Drehmoment von 660 Newtonmeter und 408 PS auf die Straße. Das bringt enormen Wumms und ein beeindruckendes Anzugsmoment. Tempo 100 erreicht der Wagen in 4,7 Sekunden. Anders als bei Volvo wird die Geschwindigkeit nicht bei 180 Stundenkilometern abgeregelt; Schluss ist erst bei 205 km/h. Vor allem aber soll der Polestar 2 eine rein elektrische Reichweite von 560 Kilometern in der Stadt haben und europaweit an 200 000 Säulen aufgeladen werden. Damit gehört die Angst, irgendwo mit leerer Batterie liegenzubleiben, nun endgültig der Vergangenheit an. Mit dem permanenten Allradantrieb, der im Normalbetrieb die Kräfte je zur Hälfte auf die Vorder- und Hinterachse verteilt, zeichnet sich der Polestar 2 durch hohe Fahrstabilität aus.
Dynamische Linie
Gut schaut der 4,60 Meter lange Wagen aus, und seine Gene verleugnet der Polestar 2 auch nicht, von dem im ersten Jahr 50 000 Exemplare verkauft werden sollen. Weltweit, wohlgemerkt. Aber lieber bescheiden anfangen, sagt Thomas Ingenlath, der Chef der Firma. Der war früher Chef-Designer von Volvo und hat in dieser Funktion viel zu der seit Jahren anhalten Erfolgsgeschichte des schwedischen Autobauers beigetragen. Die Schweinwerfer mit der charakteristischen Thors-Hammer-Lichtsignatur in der leicht ansteigenden Haube findet sich in den Volvo-Baureihen ebenso wie die Lüftungsschlitze oder das Lenkrad. Ansonsten aber ist der Polestar 2 design-mäßig auf ganz eignen Straßen unterwegs. Die sportlich wirkende viertürige Limousine hat eine dynamische Linienführung, bei der unter dem Fließheck die Tailenlinie leicht ansteigt – was auch dazu führt, dass die Fenster relativ flach ausfallen. Kraftvoll wirkt das breite Heck hinter den ausgestellten Radhäusern, das noch betont wird durch die markanten horizontalen Linien der Rückleuchten. Hinter der großen Klappe, die per Fußsensor öffnet, findet sich übrigens ein durchaus alltagstauglicher Kofferraum (englisch: Trunk) von 405 bis 1095 Litern Fassungsvermögen.
Hinten und vorne ein Kofferraum
Und wo sind hinten die Ladekabel untergebracht? Gar nicht. Denen hat Ordnungsfanatiker Ingenlath unter der Fronthaube einen „Frunk“ spendiert. Schließlich gibt es dort keinen Verbrennermotor unterzubringen. Der „Frunk“ erinnert übrigens sehr stark an den vorderen Kofferraum des VW Käfers. Einen Startknopf gibt es nicht mehr. Mittels Sensor im Fahrersitz erfährt das Fahrzeug, dass es losgehen wird. Und danach gilt das one-pedal-Prinzip. Bei der ersten Fahrt erinnert man sich unwillkürlich daran, wie es war, als plötzlich kein Kupplungspedal und kein unentwegtes herumrühren mit dem Schalthebel notwendig war, weil die Automatik das übernahm. Nun braucht es auch das Bremspedal nicht mehr wirklich. Nun rekuperieren auch andere Elektrofahrzeuge, nicht aber in einer Weise, die einer neuen Qualität gleichkommt. Eine ganz neue Fahrerfahrung. Bei der mehrstündigen Fahrt durch den Verkehr auf Berliner Straßen und der Stadtautobahn und unzähligen Ampeln war es nur wenige Male nötig, auf die Bremse zu steigen. Ansonsten verzögert der Polestar 2 dermaßen kräftig, wenn die Fahrer*innen vom Gaspedal gehen, dass Bremsen unnötig ist. Was übrigens schade ist, weil der Polestar2 mit einer exzellenten Brembo-Bremsanlage ausgestattet ist. Die individuell verstellbaren Öhlins-Stoßdämpfer geben daneben dem Wagen zudem eine straffe Straßenlage, die auch auf sehr holpriger Buckelpiste nicht zu hart ausfällt. Nur die Lenkung reagiert in der ersten Stufe zu schwabbelig, um sich wohlzufühlen.
Google fährt mit
Und in der Fahrgastzelle? Trifft man einen guten Bekannten, das I-Phone. Der Polestar 2 ist das erste Fahrzeug weltweit, dass ein komplettes Navigation- und Infotainment-Paket von Google hat. Über der Mittelkonsole findet sich das riesige Tablet, auf dem man die gewohnten Symbole findet. Anders als bei einigen Konkurrenten benötigt man deshalb auch kein Abitur, um durch die vielfältigen Funktionen zu irren. Und auch die direkten Fahrzeugeinstellungen sind puristisch-sparsam, aber dadurch praxisnah ausgelegt. Das übersichtliche Multifunktionsinstrument über dem Lenkrad ist ziemlich hoch angebracht, weswegen es für den Polestar 2 auch kein head-up-display gibt. Angezeigt wird nur weniges: Die Geschwindigkeit in Ziffern und die Reichweite – die kleiner an den Rand rücken, wenn Google Maps dazwischen eingeblendet wird. Ansonsten gibt es die komplette Palette an höchst sinnvollen und zusätzliche Sicherheit bietenden Fahrerassistenz-Systemen – zur Einführung auch ohne Aufpreis. Das gilt übrigens auch für das riesige Panorama-Dach, das den Innenraum sehr luftig macht. Zwei Kritikpunkte: Die eingeblendeten Symbole der Verkehrszeichen-Erkennung sind zu klein. Und die Mittelkonsole ist so hoch gezogen, dass ein Gefühl der Abschottung zum Beifahrer entsteht.
Ein Panorama-Dach zum verlieben
Sehr gut – auch das ist Tradition bei Volvo – ist die Qualität der elektrisch verstellbaren Sitze. Platz genug ist auch. Hinten haben die Mitfahrer genug Kopffreiheit. Die Batterien sind zudem nicht flach im Fahrzeugboden verlegt, sondern unter den Vordersitzen und der Rückbank angeordnet. Dadurch müssen die Passagiere auf der Rückbank nicht mehr die Knie hochziehen, wie es teilweise bei anderen Elektrofahrzeugen der Fall ist. Weil es trotzdem noch einen – mit Batterien gefüllten – Kardantunnel gibt, ist der mittlere Platz auf der Rückbank aber nur Kindern zuzumuten.
Die Konkurrenz nicht nur von BMW und Mercedes, sondern vor allem Tesla mit dem Modell 3, haben im Polestar 2 einen echten Herausforderer. Das Fahrzeug kommt zum Preis von 57 900 Euro auf den deutschen Markt. Rechnet man die Elektroprämie, die Mehrwertsteuer-Senkung und die von der Bundesregierung angekündigte Innovations-Zulage ab, dann bekommt man für 49 000 Euro ein sehr gut ausgestattetes E-Auto.