Lesestoffe: Aufdrucke sind allgegegenwärtig: Sprüche gehören dazu, auf T-Shirts, Tüten, Wänden
Hier ein lustiger Text, da eine besinnliche Weisheit - überall ist irgendetwas zum Lesen. Der moderne Mensch hat sein Hab und Gut als Werbefläche in eigener Sache entdeckt und bedruckt es mit Botschaften. Muss das eigentlich sein?
Der Papst könnte es sich bei seiner Osterbotschaft leicht machen. Er könnte sich auf den Balkon des Petersdoms in Vatikanstadt vor die üblicherweise zu Zehntausenden dort versammelten Menschen stellen, die Arme zum Segen heben – und nichts sagen. Stattdessen würde, was er mitzuteilen wünscht, auf seinem Gewand stehen. „Urbi et orbi“ zum Selberlesen.
Voll im Trend läge er damit auf jeden Fall. Botschaftssendungsfreude ist allgegenwärtig. Auf T-Shirts, Pullovern, Mützen, auf Jutebeuteln, Seesäcken, Handtaschen, Smartphoneschutzhüllen, Tassen, Tellern, Badvorlegern und Zimmerwänden.
Die Botschaft macht kenntlich in der unverbindlichen Welt
Es sei eine „Tattooisierung der Personen selbst und ihrer Umgebung“, die da um sich gegriffen habe, sagt Axel Venn, in Berlin lebender emeritierter Professor für Gestaltung an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. Und das sei durchaus als eine Reaktion auf die strukturellen Veränderungen der sozialen Gesellschaft zu verstehen, in der die vielen einzelnen Menschen sich mit ihrer Smartphone-Internettechnik ihre vielen einzelnen Individualwelten schaffen. Ein T-Shirt-Aufdruck mache in der dadurch entstandenen Unverbindlichkeit kenntlich und schaffe rare realweltliche Anknüpfungspunkte nach dem Motto: „Guck, der ist wie ich“.
Die Qualität der präsentierten selbstvermarktenden Botschaften ist dabei laut Venn von nachrangiger Bedeutung. Ihr Charme liege in ihrer Unkonkretheit. Und so bieten längst ungezählte T-Shirt-Printshops Aufdruckfloskeln mit großer Allgemeingültigkeit an. „Oma sagt, ich darf das“, „Spitzenbraut“, „Ich schmeiß alles hin und werd Prinzessin“ und Sonstiges, was für alles und nichts passen kann – also die Träger der Botschaft jenseits aller Plakativität auf nichts festnagelt. Die durch den Spruch überwundene Unverbindlichkeit wird durch dessen Vagheit direkt wieder hergestellt. Motto: Könnte ein Gag sein.
2008 war das Jahr des "Is mir egal, ich lass das jetzt so"
Venn erinnert sich an ein T-Shirt, auf dem nur das Wort „Genau“ stand. „Das fand ich großartig“, sagt er. Weil es dem Betrachter alle Denkarbeit überlässt und zugleich dem Träger eine leicht ironische Lässigkeit andichtet, die nichts übertrieben wichtig und ernst nimmt (zumindest wird eine dahingehende Absicht transportiert, was ja auch etwas heißt). In Berlin haben Lässigkeitsbotschaften 2008 einen Boom erlebt, als die abgabetermingeplagte Designstudentin Jana Reich „Is mir egal, ich lass das jetzt so“ linksbündig auf T-Shirts druckte. Die lakonische Schicksalsergebenheit kam gut an, und bald gab es Variationen („Is mir egal, ich trink das jetzt noch“) und Entgegnungen: „Kannst du so machen, dann ist es halt kacke“.
Besinnliches hier, Nonsensetexte da - Hauptsache da steht irgendwas?
Jenseits von T-Shirt- und Jutebeutel-Sprüchen haben sich auch die sogenannten Wandtattoos rasant ausgebreitet. Slogans und Sprüche statt Tapete, gemalt, geklebt oder in 3-D prangen sie überm Bett, überm Sofa, über der Küchenzeile. Städtesilhouetten gibt es da und im Verbalsortiment jede Menge schnörkelige Texte: „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“, „Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag“, „Die Schönheit ist die Blüte des Glücks“ und Ähnliches. Sprüche mit „Anregungscharakter“ nennt Venn das und kann darüber lachen, weil sie „nichts Böses wollen“. Der appellative Charakter stört ihn nicht, da sind ihm eher die Häkelbildchen ein Graus, die früher an Wohnungstüren hingen und dem Gast ein strenges „Tritt ein, bring Glück herein“ zuriefen – „Was für eine Bürde!“
Wandtattoos statt Bücherregal. Das ist die Reihenfolge
Der Wandspruch von heute ist damit eher der Nachfolger goldgerahmter Ölgemälde vergangener Zeiten, der kaum noch geliebten Poster oder möglicherweise auch Ersatz für Bücherwände, die im E-Book-Zeitalter schmaler werden und an Aussagekraft verlieren.
Jenseits des absichtsvollen Inhalts kommt auch das großflächig mit Nonsenseinformationen bedruckte Shirt oder Hemd wieder. Lange Zeit ging diese Art laute Poppigkeit gar nicht, da war es am besten, wenn nicht mal das Label der getragenen Marke irgendwo zu erkennen war. Dezenz war das Ziel, das ist vorbei, und die „Society“ macht’s vor: Auf der schwarzen Clutch, mit der Elisabeth von Auersperg-Breunner, geborene Flick, vergangenen Samstag bei der „Otello“-Premiere der Salzburger Festspiele auftauchte, glitzerte höchst undiskret der Strassschriftzug „Miss Flick“, Iris Berben trug am selben Tag am anderen Ort eine riesige Halskette, die den Schriftzug „Cool“ darstellte.
Sailing in Olympic Waters? Camp David denkt sich die Drucke einfach aus
Weit weniger ironisch ist, was Männern an textilen Botschaften angeboten wird. „Big Surf California“, „State Athletics Coaching Dept.“ druckt die Marke Superdry auf Shirts, mit „Mad Sunday Racing“ kommt die Marke Geelong daher, und „Sailing in Olympic Waters 63“ stammt von der Marke Camp David, die keinen Hehl daraus macht, dass ihre Prints der Fantasie entspringen. Zu den Kollektionen, die beispielsweise „Skydiving“ oder „Royal Yacht Club“ heißen, würde man frei assoziieren und sich etwas ausdenken, was passend und cool klingt. Wie variantenreich das ist, weiß jeder, der Camp Davids Topnutzer Dieter Bohlen ein paar Mal in seinen vielen Castingshow-Fernsehjurys sitzen sah.
Anders als die meist von jungen Frauen getragenen gern auch fremdsprachlichen Niedlichkeiten à la „Leave a little Sparkle wherever you go“ werden die wortreichen Action-Drucke im Männersegment von ihren Trägern in der Regel so wenig wahrgenommen, dass selten gewusst wird, was für einen Text man da eigentlich so prominent spazieren trägt. Irgendetwas mit Sport, und unverfänglich wird’s wohl (hoffentlich!) auch sein. Und so gilt am Ende: Der Inhalt ist gar keiner. Was ist im Zeitalter ausufernder Nonsensekommunikation vielleicht eine ganz tröstliche Botschaft ist.
- Mitarbeit Grit Thönnissen
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