Design im Winter: Skandinavien macht das Licht an
Im Winter ist man viel Zeit daheim. In Skandinavien wurde die Wohnraumgestaltung für die dunkle Jahreszeit so perfektioniert, dass daraus ein Lebensstil wurde.
Erst wenn es draußen grau und zu kalt für den Biergarten ist, merken viele Menschen, dass sie ihr Zuhause im den warmen Sommermonaten vernachlässigt haben. Und wie auch die Wintergarderobe mit Wollpullovern, Daunenjacken, Kaschmir und Mohair soll auch das Zuhause gemütlicher werden. Das macht sich bei den Berliner Einrichtungshäusern bemerkbar – endlich werden wieder Möbel und Accessoires gekauft. Im Juli und August bekamen viele Verkäufer tagelang keine Kunden zu Gesicht.
Lange pflegte man in Deutschland einen eher pragmatischen Alljahres-Einrichtungsstil und brachte die dunkle Jahreszeit irgendwie hinter sich. In den vergangenen Jahren ist die Lust daran gewachsen, es sich in seiner Wohnung schön zu machen. Tradition ist das in den nordischen Ländern. Dort ist es einfach zu lange kalt und dunkel, um sich nicht um sein Zuhause zu kümmern. Das hat Auswirkungen: Schon seit vielen Jahren bestimmt der skandinavische Stil die deutschen Wohnmagazine. Fast immer müssen gemütliche Wohnungen in Kopenhagen, Stockholm oder Oslo als Beispiele für vorbildliches Wohnen herhalten. Auch in den Geschäften spiegelt sich das wider, nicht nur Möbelklassiker aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts sind populär, es gibt viele moderne Designmarken, vor allem aus Dänemark wie &Tradition, Hay und Gubi, die international sehr erfolgreich sind.
Das im Herbst erschienene Buch „Northern Comfort“ geht diesem Phänomen auf den Grund: Der lange, dunkle Winter in Skandinavien ist ausschlaggebend für die Art und Weise, wie die Wohnungen dort eingerichtet sind. „Unsere Vorliebe für bestimmte Hölzer, Farben und natürliches Licht sind unseren langen Wintern geschuldet. Aus den spärlichen Sonnenstrahlen dieser Monate versuchen wir alles herauszuholen, zum Beispiel durch Oberflächen, die das Licht gut reflektieren. Da wir im Winter viel seltener das Haus verlassen, ist es uns wichtig, dass es etwas über uns aussagt,“ schreibt die Produktdesignerin Nina Bruun aus Kopenhagen in „Northern Comfort“.
Die Unternehmerin Bodil Antonsson vermietet sogar Sonnenlicht im südschwedischen Småland. Sie hat eine Scheune zu einem Gewächshaus umgebaut, mit Zitronenhain und Kürbispflanzen. Das „Uppgrenna Naturhus“ dient aber nicht dazu, möglichst viel Gemüse zu ernten, sondern Wärme und Licht. Direkt unter dem großen Glasdach hat sie einen Raum mit Fellen, Decken und Hängematten eingerichtet, in dem sich ihre Gäste auch im Winter von der Sonne wärmen lassen können. Dazu kommt ein Raum mit künstlichem Sonnenlicht. Hier erlebt man, eingesunken in tiefe Sessel, den Sonnenaufgang, lässt sich bei 25 Grad bescheinen und schaut schließlich dem Sonnenuntergang zu. „In den Wintermonaten sehnen wir uns nach einem gemütlichen Zuhause, das vermiete ich für in paar Stunden“, sagt Bodil Antonsson. Bald will sie ihr Gewächshaus um ein Hotel erweitern.
Mehr Wärme ins Design zu bringen, darum geht es auch der Berliner Produktdesignerin Hanne Willmann: „In Deutschland werden immer noch viele Entscheidungen im Möbeldesign von Männern getroffen. In Dänemark ist das anders, dort ist Design genderfreier und wärmer.“
Hanne Willmann hat auch an ihrem eigenen Erfolg gemerkt, dass Wärme gebraucht wird
In Deutschland sei Inneneinrichtung dagegen immer noch sehr kühl und maskulin geprägt. Hanne Willmann hat auch an ihrem eigenen Erfolg gemerkt, dass Wärme gebraucht wird. Schließlich kann auch in Deutschland, und gerade in Berlin, der Winter lang sein. Dabei ist ihr Design keineswegs verspielt. „Es geht darum, wie man Fragen stellt. Bei mir steht weniger das System im Vordergrund als die Nutzbarkeit.“ Das kann man an ihrem bisher größten Erfolg, dem Bett „Some Day“ für Schramm sehen, mit dem sie einige Designpreise gewann. Der Betten- und Matratzenhersteller Schramm fertigt schon in der dritten Generation qualitativ hochwertige Betten in der Pfalz. Das Modell von Hanne Willmann wirkt vor allem in den Details wie den sichtbaren Holzstäben am Betthaupt schlank und dadurch modern, trotzdem genauso komfortabel wie wuchtigere Boxspringbetten.
„Some Day“ ist durchaus als Möbelsolitär gedacht. Hanne Willmann findet, dass dem Bett eine zentrale Bedeutung in der Wohnung zukommt: „Wir verbringen heute viel mehr Zeit im Bett, lesen, arbeiten und schauen Serien.“ Die Zeiten sind vorbei, in denen Schlafzimmertüren schamhaft verschlossen blieben. Im Gegenteil – wie Hanne Willmann an ihrem eigenen Verhalten feststellt: „Ich liege oft mit meinen Freundinnen zum Quatschen mit einem Weinglas auf meinem Bett.“
Ein Bett oder ein Sofa ist nichts, was man sich jedes Jahr neu kauft, nur weil die Tage dunkler werden. Auch wenn durch viele günstige Onlineportale gerade diese großen Möbelstücke von einer lebenslangen Investition zu einem Mitnahmeartikel geworden sind. Aber da sind sich Hanne Willmann und auch die Dänin Nina Bruun einig – besser ist es, in langlebige Klassiker zu investieren und dann mit Accessoires wie Lampen, Stoffen und Farben die Wohnung jahreszeitlich zu verändern.
Und wie man mit dem Kauf eines Wollpullovers sein Winteroutfit auffrischen kann, klappt das auch mit einer Wolldecke für Sofa oder Bett. Die spendet nicht nur Wärme, sondern verändert auch das Aussehen der Wohnung. Das funktioniert besonders gut mit grafisch gemusterten und farbigen Wolldecken. Solche entwirft Catharina Mende seit 2014 in Berlin: „Für mich sind Decken eine Winterangelegenheit.“ Sie bietet mit ihren Produkten in klaren Rot-, Blau- und Gelbtönen einen Gegenentwurf zum kamelhaar- oder beigefarbenen Klassiker, dem in vielen deutschen Wohnzimmern eine ausschließlich wärmende Funktion zukommt. Catharina Mende hat mit ihren dekorativen Decken aus Merinowolle, Kaschmir, Mohair und Yak eine Nische gefunden: „Wer kein Geld für ein neues Sofa ausgeben will, kann mit einer Decke viel verändern.“ Überhaupt findet sie, dass in jedes Zimmer eine Decke gehört. Ihre Entwürfe werden auch oft als Mantelersatz getragen, so schön sind sie.
So wichtig wie Materialien sind im Winter Farben, mit denen man sich in seiner Wohnung umgibt. Deshalb hat Anna von Mangoldt vor acht Jahren ein Start-up für Wandfarben gegründet. Sie hat in England kennengelernt, wie entspannt man mit Farben umgeht und einfach ausprobiert, wie sich eine grüne Wand im Wohnzimmer macht oder Lila im Flur. In Deutschland ist das anders: „Hier gibt es eine Kultur der weißen und beigefarbenen Wände. Im Sommer sehen weiße Wände schön aus, aber wenn es draußen grau wird, kann das drinnen hart und gräulich wirken“, sagt Anna von Mangoldt.
Deshalb ist jetzt die richtige Jahreszeit, um Farbtöne auszusuchen und die Wohnung bunt zu streichen. „Vor einer smaragdgrünen oder petrolfarbenen Wand bekommt ein Beistelltisch mit Kerzenlicht, einer Beistelllampe oder ein Blumenstrauß einen konkreten Rahmen und wirkt nicht verloren im Raum.“ Die Farbdesignerin stellt fest, dass sich die Freude am Ausprobieren in den vergangenen Jahren auch in Deutschland gegen allzu viel Pragmatismus durchgesetzt hat. Von September bis Dezember hat Anna Mangoldts Firma Hochsaison.
Das Buch „Northern Comfort, Skandinavisch einrichten gestalten und leben“ ist im Verlag Gestalten erschienen und kostet 39,90 Euro.
Mehr über Hanne Willmann und ihre Produkte erfährt man unter: hannewillmamm.com
Das „Uppgrenna Naturhus“ von Bodil Antonsson liegt in Gränna im südschwedischen Småland.
Mehr Infos unter: uppgrennanaturhus.se Die Decken von Catharina Mende gibt es in in der Schröderstraße 12 in Mitte. catharinamende.com
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