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Zimmer frei. In diesem Häuschen im Grünen stünde Geflüchteten offen. Doch es gibt Gesetze.
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Gartenlauben für Flüchtlinge: Sie wollen helfen? Leider unmöglich

Berlin muss tausende Geflüchtete unterbringen – Wohnraum ist rar. Die Stadtmission schlug vor, auch Gartenlauben zu nutzen. Unser Autor besitzt eine. Protokoll eines Hilfsversuchs.

1 Rathaus Wilmersdorf

73 000 Kleingartenparzellen gibt es in Berlin. Eine davon gehört meiner Frau und mir. Natürlich können wir sie nicht täglich nutzen. Als wir von der Idee der Berliner Stadtmission hören, Lauben für Flüchtlinge bereitzustellen, leuchtet uns das sofort ein. Schließlich hat die Stadt große Probleme, die Hilfesuchenden unterzubringen. Also machen wir uns daran, die Idee in die Tat umzusetzen, und werden im Rathaus Wilmersdorf vorstellig, wo derzeit Flüchtlinge einquartiert sind.

In der Toreinfahrt zum Rathaus an der Brienner Straße tragen wir vorm Schlagbaum dem bärtigen, nur radebrechend Deutsch sprechenden Sicherheitsmann unser Anliegen vor. „Schreiben Sie auf einen Zettel: Kontaktdaten, Quadratmeter, Zimmerzahl“, sagt der knapp. „Nein“, sagen wir, „über das Angebot möchten wir uns gerne mit jemandem beraten.“ Denn Lauben dürfen nun mal nach dem Bundeskleingartengesetz von 1983/2006 nicht zum Dauerwohnen eingerichtet sein, der Pachtvertrag kann gekündigt werden – falls der Pächter sein Refugium zum Residieren missbraucht oder es unbefugt Dritten überlässt. Dem freundlichen Bärtigen können wir das hier und jetzt nicht detailliert erklären. „Morgen zwischen 10 und 13 Uhr sind Helfer da“, sagt er.

2 Noch mal Rathaus Wilmersdorf

Anderntags zur korrekten Zeit. In vergitterten Fenstern hängt Wäsche. Ein Lkw versperrt die Straße, platziert einen weiteren Sanitärcontainer, der hinter weißen Paravents vor der seitlichen Gebäudewand abgestellt wird. Es muss angebaut werden in der Flüchtlingsunterkunft. Der Bärtige sucht unseren Berater. „Die Chefs sind alle im Lageso, fahren Sie nach Moabit“, heißt es schließlich.

3 Sozialzentrum Moabit

Die Pförtnerin des Gesundheits- und Sozialzentrums Moabit an der Turmstraße fragen wir, wo man eine Unterkunft für Flüchtlinge anbietet? „Drittes Haus links, das ist Haus K, Eingang C, Landesamt für Gesundheit und Soziales, erster Stock.“ Wir wandern durch den parkumrahmten Gesamtkomplex, vorbei an Zeltsiedlungen und parlierenden Menschengruppen. Denken an die verrückte Szene des Films „Men in Black“, in der ein frisch angeworbener Agent staunend durch eine Ankunftshalle voller Außerirdischer stolpert. In Haus K, dritter Stock, sprechen wir eine Verwaltungsfrau des Landesamtes für Gesundheit und Soziales an, erklären das Anliegen. Sie fragt: „Auf Dauer?“ „Zunächst ein halbes Jahr, um zu sehen, ob alles klappt“, sagen wir. „Ohne Miete!“ „Das geht eigentlich nicht“, sagt sie, „außerdem haben die von uns Vermittelten einen Anspruch auf eine richtige Wohnung.“

„Welche Standards haben Sie denn?“ fragen wir. „Sie haben doch zu wenig Wohnungen?“ Die Verwaltungsfrau gesteht: „Mehr Interessenten als Angebote“ – und geleitet uns ins Haus D.

4 Evangelisches Fürsorgewerk

Dort arbeitet Frau P. vom Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF) dem LAGeSo zu und nimmt uns mit in ihr Büro. „Als Notunterkunft ist diese Laube sehr schön“, sagen wir, „ein Steinhaus, heizbar mit Strom, es wäre sogar ein Ofen zu reaktivieren, es gibt eine Küchenecke, einen Schlafboden, ein kleines Bad, 24 Quadratmeter. Die Sache mit den Behörden, weil man ja eigentlich da nicht wohnen darf, klären wir. Könnte nicht jemand für eine Dreiviertelstunde mit dahin fahren und schauen, ob das tauglich ist? Auch unter Sicherheitsaspekten?“ Frau P. fragt: „Ist eine Waschmaschine anschließbar?“ „Vermutlich, wir prüfen das.“ Frau P. hat für den Ortstermin keine Zeit, sie bittet uns, Fotos zu schicken, ein Formular auszufüllen. „Es soll aber doch mit Miete sein“, sagt sie. So will es das Formular.

5 Die Laube

Am dritten Tag knipsen wir unsere Laube, mailen Fotos und ausgefülltes Formular mit Unterschrift an Frau P. Da laut EJF-Tabelle eine Mietzahlung des Amtes an uns die Jahrespacht einer Parzelle nach drei Monaten bereits übersteigen würde (weil die so niedrig ist, sind die Einschränkungen so streng!), schreiben wir: „Wir möchten das doch ohne Miete realisieren, weil solche Zahlungen die Darstellung gegenüber den Kleingartenorganisationen komplizieren würden, da sie eine gewerbliche Nutzung, die nun mal nicht erlaubt ist, suggerieren. Vertragliche Sicherheit lässt sich ja trotzdem herstellen. Der Anschluss einer Waschmaschine ist möglich.“ Wir erbitten Antwort, wegen unserer Behördenanfragen, bieten erneut einen Ortstermin an und fühlen uns durch die Senatsbroschüre „Das bunte Grün. Kleingärten in Berlin“ (2012) ermutigt, wo es heißt: „Mauern, Stacheldraht und Stellwände sind tabu: Ein Kleingarten ist schließlich keine Burg“. Gilt der Satz im übertragenen Sinne ebenfalls? Bezieht sich das Vorwort des damaligen Senators Michael Müller, der „Migrantinnen und Migranten“ ins Schreberland einlädt, auch auf Flüchtlinge?

Was die Berliner Stadtmission sagt, und wie der Hilfsversuch ausgeht

6 Berliner Stadtmission

Anruf bei Ortrud Wohlwend von der Stadtmission. „Sie haben doch diesen Laubenvorschlag gemacht, war das konkret gemeint?“ Die Pressesprecherin gibt zu, sie habe nur ein Beispiel nennen wollen, wie man sich „über kleinere Regelungen hinwegsetzen und an einen Tisch setzen könnte“, für einen Flüchtlingsgipfel. Es bestünden Unterschiede zwischen Kleingartenvereinen, „obwohl es eine Linie geben müsste“. Wir fragen uns selbst: Hätten wir uns über Bürokratie „hinwegsetzen“ sollen? Und: Wie lange wird sich die „Flüchtlingskrise“ über freiwillige Beiträge lösen lassen – ohne Soli, Fehlbelegungsabgabe, Wohnraumbeschlagnahmung?

7 Senatsverwaltung für Umwelt

Anruf bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt am Köllnischen Park wenige Tage später. Die Sachbearbeiterin hat keinen Vertreter, aber die Zentrale meint, das eile ja wohl nicht so. „Es geht um Lauben als Flüchtlingsunterkunft“, sagen wir. Zentrale: „Da ist doch nicht Frau W. zuständig, sondern die Asylaufnahmestelle.“ Wir: „Es gibt aber Vorschriften, das muss man klären.“ Zentrale: „Da ham Sie auch wieder recht, da darf ja keiner übernachten.“ Als wir Frau W. ans Telefon bekommen, sagt sie prompt: „Das sehen wir ganz kritisch.“ Aus technischen und Sicherheitsgründen, wegen Zufahrten für Feuerwehr und Rettungswagen, Brandabständen, baurechtlichen Anforderungen. Wir kontern: „Aber nach 1945 hat doch der damalige Stadtbaurat Hans Scharoun eine fünfjährige Ausnahmegenehmigung zum Laubenbewohnen verfügt.“

„Auch damals“, behauptet Frau W., „musste das von der Bauaufsicht abgenommen und der baurechtliche Ausnahmeantrag bewilligt werden.“ Klären sollen wir das mit dem zuständigen Bezirksamt, das den Grundeigentümer (das Land) gegenüber dem jeweiligen Zwischenpächter (dem Kleingärtnerbezirksverband) vertritt.

8 Bezirksamt Charlottenburg

Auf der Homepage des für unsere Laube zuständigen Amtes wird mit „Hier können Sie helfen“ für „Willkommenskultur, auch in schwierigen Zeiten“ getrommelt. Als die Sachbearbeiterin das Telefon abnimmt, sagen wir: „Der Senat hat uns zu Ihnen, den Eigentümern, geschickt. Wenn ich von Ihnen schon mal ein positives Statement bekäme …“ Sachbearbeiterin: „Das werden Sie nicht hören. Ich finde das ja gut, aber wir setzen uns nicht über den Zwischenpächter hinweg.“ Wir: „Es geht laut Senat auch ums Baurecht, darüber entscheidet doch nicht der Verband, sondern Sie.“ Gegenfrage: „Ja, wollen Sie denn ein Steinhaus bauen?“ Wir: „Das steht doch schon da, da sollen nur Flüchtlinge reindürfen.“ Sachbearbeiterin: „Wir setzen uns nicht über den Verband hinweg. Das wäre dann eine Entscheidung des Stadtrats.“

9 Bezirksverband der Kleingärtner

Besuch im Vereinsheim des zuständigen Bezirksverbandes der Kleingärtner, am Anmeldetresen hängt der Spruch „Die Welt ist ein Irrenhaus, aber hier ist die Zentrale“. Die Haltung des stellvertretenden Geschäftsführers, Herr V., wechselt in dem kurzen Gespräch von Abwehr über zustimmendes Bauchgefühl zu komplexen Bedenken. „Das ist eine ganz schwierige Kiste. In dieser besonderen Situation wäre das vielleicht gut … Was sagen andere, wenn Flüchtlinge da wohnen dürfen und sie nicht? Das geht vermutlich sowieso ans Bezirksamt zurück. Da hängt so viel dran, das ganze Bundeskleingartengesetz.“ Wir: „Haben wir alles gelesen. Die Frage ist: Geht es von Ihnen aus?“ Herr V.: „Wir sprechen mal mit unserem Vorsitzenden.“ Sechs Stunden später ein Anruf: „Wir dürfen dauerhaftes Wohnen nicht zulassen, wir sind an das Gesetz gebunden, haben auch einen Anwalt gefragt. Wer das Gesetz entworfen hat, muss es ändern, wir müssen was Schriftliches haben oder eine Sondergenehmigung, zum Beispiel vom Bezirk.“

10 Evangelisches Fürsorgewerk

Durch einen Architekten, der das Häuschen fürs Bezirksamt begutachten würde, erfahren wir noch mal Ermutigung. Dann kommt am zehnten Tag eine Mail von Frau P. vom EJF: „Leider darf in die Laube niemand einziehen, da es allgemein nicht erlaubt ist und das Lageso hier auch keine Ausnahme machen kann. Danke für Ihr Angebot und alles Gute!“

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