Chinas Vorteil in der Pandemie-Bekämpfung: „Sie können die Menschen einfach zwingen“
Durch die Corona-Krise konnte die Regierung in Peking das Überwachungssystem weiter ausbauen, sagt China-Experte Grünberg. Ein Interview.
Herr Grünberg, hat China Covid-19 bereits gemeistert?
Zumindest hat man ein besseres Modell zur Bekämpfung des Virus gefunden als der Westen. China hat es mit drastischen Maßnahmen geschafft, die Verbreitung der Erkrankung nach der ersten Welle im Januar klein zu halten. Gerade wurden 3,2 Prozent Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal gemeldet.
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Chinas Regierung hat schon bei der ersten Abnahme der Fallzahlen versucht, diese als Erfolg ihres Systems zu verkaufen. Und mit dem chinesischen Propagandaapparat hat man natürlich beste Möglichkeiten, um diese frohe Botschaft zu verbreiten.
Aber sind die Zahlen glaubwürdig?
Die Wirtschaft ist definitiv wieder auf einem guten Weg, aber noch von der Angebotsseite, von Investitionen und der Industrie getrieben. Der Konsum ist noch nicht wieder auf dem Stand von vor der Pandemie, das Handelsvolumen zwischen der EU und China liegt aber wieder auf rund 90 Prozent des alten Wertes. Allerdings ist die chinesische Wirtschaft zwischenzeitlich auch stark betroffen, wenn Exportemärkte wegfallen, etwa durch einen möglichen erneuten Lockdown in Europa. China hat es also auch noch nicht geschafft.
Wie gut funktioniert die Propaganda seit dem Corona-Ausbruch?
Nachdem die ersten Wochen nach dem Ausbruch in Wuhan verschlampt wurden, hat man die Kommunikation seit Februar sehr stark zentral organisiert. Regelmäßig wird in den Medien darüber berichtet, wie erfolgreich die Partei im Kampf gegen das Virus ist, wie gut das alles gemeistert wurde.
Wie reagiert die Bevölkerung darauf?
Die Unterstützung für die Regierung ist größer geworden. Nicht nur, weil die Infektionszahlen niedrig sind. Sondern gerade im Kontrast zu dem, was in den USA oder Europa los ist. Da hat die Partei Pluspunkte gesammelt.
Vertrauen Sie den offiziellen Zahlen?
Insofern ja, als dass sie einen realistischen Trend darstellen. Ob sie exakt sind, kann man nicht sagen, aber ich sehe keinen Grund dafür zu glauben, dass es irgendwo große Ausbrüche gibt, die versteckt gehalten werden.
Einige Mediziner, die ihren Namen nicht in diesem Kontext in der Zeitung lesen wollen, gehen davon aus, dass bei den Zahlen so rein gar nichts stimmt.
Es gibt sicherlich eine unbekannte Dunkelziffer und nicht öffentlich gemachte Fälle, aber ich glaube nicht, dass wir uns da in den Zehntausenden bewegen. Das wäre bei aller Zensurkapazität nicht möglich. Allein schon wegen der vielen im Ausland lebenden Chinesen mit guten Kontakten ins Land.
Was bedeuten die Maßnahmen gegen Covid-19 langfristig für die chinesische Bevölkerung?
Die Überwachung auszubauen, war lange geplant. Corona war allerdings eine Art Beschleuniger. Man könnte sagen, dass die Krise der Regierung die Augen dafür geöffnet hat, was man machen kann und wie schnell das möglich ist. Und durch den Ernst der Lage konnte man es gegenüber der Bevölkerung gut rechtfertigen.
Dennoch gibt es auch Widerstand. Vor allem in den sozialen Netzwerken.
Das Problem des Datenschutzes wird schon vermehrt von der Politik wahrgenommen. Es gibt ernsthafte Bestrebungen der Regierung, gerade den Missbrauch von persönlichen Daten einzudämmen. Dass der chinesische Sicherheitsapparat alles mitlesen und -hören kann, wird sich aber sicher nicht ändern. Im Gegenteil.
Weil er sich bei Corona als sehr effektiv herausgestellt hat?
Genau, und das nicht nur in der digitalen Welt, sondern auch auf lokaler Ebene. Soziale Kontrolle auf kleinster Ebene, zum Beispiel durch Blockwarte, die für einen Wohnblock verantwortlich sind und sehen, wann wer wohin geht, hat sich in der Pandemie für die Regierung als immens nützliches Überwachungsinstrument erwiesen. Die digitale Komponente hat das alles nun effektiver und einfacher gemacht.
Ist der Blick des Westens auf Chinas Umgang mit der Pandemie zu negativ?
Ich finde es viel interessanter, mal zu rekapitulieren, wie wir im Januar auf China und seinen Umgang mit dieser neuen Krankheit geschaut haben. Und wie wir heute darauf schauen. Damals sagte man im Westen noch, dass die Chinesen spinnen mit ihrer Quarantäne einer ganzen Stadt und diesen Masken, die alle tragen. In der Zwischenzeit fiel dann bei uns ein Domino-Steinchen nach dem anderen und wir haben unsere Maßnahmen immer mehr den chinesischen angeglichen.
Was funktioniert in China besser?
Chinas Führung kann in Krisensituationen extrem viele Ressourcen mobilisieren, sowohl Material als auch Personal. Gerade in den bevölkerungsreichen Regionen an der Ostküste ist alles von der Regierung bis zum Blockwart straff durchorganisiert.
Gerade wurden in der Stadt Qingdao mal eben neun Millionen Menschen wegen 12 bestätigten Covid-Fällen getestet.
Die Testkapazitäten sind ganz andere als bei uns. Weil China es schafft, technische Lösungen schnell auf industrielles Niveau hoch zu skalieren. Das liegt an den politischen Befugnissen in Kombination mit den Ressourcen. Außerdem hat man die Möglichkeiten, etwa durch digitale und physische Kontrolle, um die Menschen dazu zu zwingen, einen Corona-Test zu machen und in Quarantäne zu gehen. Solche vermeintlich lächerlichen Dinge wie Persönlichkeitsrechte sind da zweitrangig.
Was können wir von China lernen?
Es gibt drei Elemente, die zu einer erfolgreichen Strategie gegen das Virus gehören. Testen was das Zeug hält, konsequent Kontakte verfolgen, Quarantäne für Verdachtsfälle und bestätigte Infektionen. Das haben neben China auch Taiwan, Südkorea und Neuseeland so gemacht. Mit positivem Ergebnis. Das funktioniert bei uns weniger gut.
Wie wird es in China weitergehen?
Das Gesundheitssystems wird gestärkt werden. Eine Reform ist da schon in der Pipeline. Dabei geht es um Kapazitäten in Krankenhäusern, um die Schulung von Personal und den immensen Nachholbedarf beim Krisenmanagement, das im Dezember und Januar völlig versagt hat. Die Krise wird in der Geschichtsschreibung der Partei aber dennoch als großer Beweis der Systemüberlegenheit eingehen.
Nis Grünberg forscht am Berliner Mercator Institute for China Studies zu Staatsführung und Ideologie sowie zur Integration von Staat und Partei in China unter Staatspräsident Xi Jinping.
Dennis Pohl