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Ranga Yogeshwar, 55, wurde in Luxemburg geboren und wuchs zeitweise in Indien auf. heute lebt er bei Köln.
© Caro/Spiegl

Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar: "Sie denken, ich bin der Erklärbär!"

Er kennt jede Schraube der Mondrakete. Und findet Astronomie romantisch. Wie Ranga Yogeshwar als Schüler mogelte und warum wir heute neu lernen müssen

Herr Yogeshwar, kommt es oft vor, dass Leute auf der Straße von Ihnen wissen wollen, ob man auf einer heißen Motorhaube ein Ei braten kann?

In einer Welt, in der alles virtuell geworden ist, wollen die eher gucken, ob ich wirklich echt bin. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass das Fernsehen die ganze Zeit lügt. Alles basiert auf Fake.

Wie bitte?
Weil es eine Illusionswelt ist. Das fängt damit an, dass manche Frauen zwei Stunden in der Maske verbringen, bevor sie als andere Menschen vor die Kamera treten, und geht mit Illusionsmaschinen wie dem Teleprompter weiter. Da redet einer irgendetwas und liest doch in Wirklichkeit nur ab. Deshalb haben wir ab und an das Bedürfnis, zu sehen, was daran stimmt.
Die Leute stellen Ihnen keine Sachfragen?
Es gibt natürlich welche, die mich testen wollen. Übrigens funktioniert das nicht mit dem Ei. Das dünne Blech der Haube speichert viel zu wenig Hitze. Es gibt aber neben denen, die sich einfach nur freuen, mich zu sehen, jene, die ein sehr privates Anliegen haben. Ich bin regelmäßig in deren Wohnzimmer, und weil wir dazu neigen, was wir erleben zu symmetrisieren, gehen die davon aus, ich kenne sie auch. Da ist man schnell überfordert.
Sie haben dafür gekämpft, dass Ihre Kinder aus Ihrem Wikipedia-Eintrag gestrichen werden.
Ich erkläre wirklich gern, aber es war nie mein Ziel, bekannt zu werden. Ich kaufe auch mein Auto normal, mache keine Produktwerbung und lasse mir nichts schenken. Es ist nett, Aufmerksamkeit zu bekommen, aber irgendwann wird es zu viel.
Was war Ihr erstes großes Fernseherlebnis?
1969 die Mondlandung. Ich war zehn, und meine Eltern hatten gerade unser erstes Fernsehgerät gekauft. Gebraucht, schwarz-weiß. Nein warten Sie, das war eigentlich schon im Winter 1968, als Apollo 8 als erstes Raumschiff den Mond umkreiste, mit Borman, Lovell und Anders …
… Sie kennen die Namen noch?
Natürlich, ich kenne jede Schraube der Rakete Saturn V. Unser Fernseher war eine Katastrophe, das Bild wanderte total verrauscht immer von unten nach oben weg. Meine Mutter hat dann ein Luftgewehr auf den Fernseher gelegt, weil sie wusste, dass der eiserne Lauf das Bild stabilisiert.

Hatten Sie während der Mondlandung Mitleid mit Collins, der an Bord der Kapsel bleiben musste?
Da ist doch die Frage, wie definiert man seine Ziele. Wenn mir einer sagen würde, hier ist dein Ticket, du darfst zwar nicht auf dem Mond landen, aber du darfst ihn umkreisen, ich wär dabei.
Besaßen Sie auch einen Bausatz der Mondfähre? Oder einen Kosmos-Experimentierkasten?
Ich hatte den Kasten „Kosmos Elektro“, grau mit roten Knöpfen. Ich habe dann einen Transformator gebaut, und meine kleine Schwester musste den festhalten. Das hat sie im wahrsten Sinne umgehauen. Wobei, es konnte da nicht wirklich was passieren. Der Chemiekasten wäre wahrscheinlich gefährlicher gewesen.
Wann haben Sie zuletzt etwas nicht verstanden?
Das passiert mir andauernd. Gestern Nacht etwa, ich stürzte mich tief in die Details des Programmierens. Es gibt da eine Javascript Bibliothek, die heißt D-3, und für die Callbackfunktion muss man eine Variable definieren ...
... wir dachten eher an etwas aus dem Alltag.
Da verstehe ich ganz viele Sachen nicht, es ist nur so, dass mich viele davon gar nicht interessieren.

Muss man denn wissen, warum ein Ei auf der Motorhaube nicht fest wird?
Nein. Nützliches und unnützes Wissen ist jedoch schwer zu differenzieren. In einem meiner Bücher schreibe ich von der Raman-Streuung. Chandrasekhara Raman war ein indischer Wissenschaftler, der sich irgendwann fragte, warum das Meer blau sei. Und weil er sich nicht mit trivialen Antworten zufrieden gab, entdeckte er die Raman-Streuung, die heute in der Medizin angewendet wird. Blöde Frage, gute Antwort. Das erlebe ich oft, in dem Moment, in dem ich eine Spur aufnehme, wird es links und rechts spannend.
Der Literaturwissenschaftler Dietrich Schwanitz war da viel strikter. Der hat in seinem Bildungskanon festgelegt, dass Naturwissenschaften für einen gebildeten Menschen nicht wichtig sind.
Völliger Unsinn. Ich wage die These, dass ein Großteil von dem, was unsere Welt und unser Denken im Moment verändert, Naturwissenschaft ist.

"Die Medien bilden nicht die Wirklichkeit ab, zum Glück."

Ranga Yogeshwar, 55, wurde in Luxemburg geboren und wuchs zeitweise in Indien auf. heute lebt er bei Köln.
Ranga Yogeshwar, 55, wurde in Luxemburg geboren und wuchs zeitweise in Indien auf. heute lebt er bei Köln.
© Caro/Spiegl

Diese Erkenntnis spiegelt sich zumindest nach 20 Uhr im Fernsehen kaum noch wider.
Nun bilden die Medien nicht die Wirklichkeit ab, zum Glück, wenn ich mir Nachmittagstalkshows ansehe. Das Fernsehen hat seine eigenen Gesetze.
Die „FAS“ hat Ihre Fernsehauftritte einmal dadurch charakterisiert, dass Sie ein Maximum an „Ahs“ und „Ohs“ erreichen wollen. Und der „Spiegel“ nannte Sie das „Ein-Mann-Kompetenzzentrum“.
Na und? Der „Spiegel“ schrieb das im Kontext von Fukushima, da war mir die Berichterstattung wichtig, und dann gab es diese Panne: Die Grafik für den „Brennpunkt“ kam nicht, und ich habe die Kernschmelze mithilfe eines Sektkübels, eines Textmarkers und eines Glases erklärt. Ich dachte selbst, das ist jetzt ein bisschen seltsam, und der Regisseur sagte, „das ist hier der ,Brennpunkt‘ “…
… und nicht „Die Sendung mit der Maus“.
Ja, wenn Leute etwas verstehen, sagen Sie immer, das ist die „Sendung mit der Maus“. Jedenfalls rief mich hinterher der Fernsehdirektor an und sagte: „Großartig, jetzt habe ich es verstanden.“ Ich versuche Wissen zu vermitteln, aber wenn man ehrlich ist: Versteht man wirklich, was in Fukushima geschehen ist?

Sie haben nicht alles verstanden?
Nein. Zum Beispiel, warum haben die nicht Leute mit Presslufthämmern hochgeschickt, um den Sicherheitsbehälter zu öffnen, damit der Wasserstoff entweichen kann? Der war ja der Grund der Explosion. Ich war im Sommer dort und gerade wieder. Der Aufwand, den die Japaner heute betreiben, ist atemberaubend. Das sind Baustellen mit 6000 Leuten und mehr. Doch das wirklich Tragische ist: Ganze Regionen sind kontaminiert.
Und was tun die Bauarbeiter dort?
Der komplette Boden wird abgetragen und in riesigen schwarzen Säcken auf Deponien gebracht. Die spannende Frage ist: Werden die betroffenen Regionen je wieder zugänglich oder dürfen die Kinder nie mehr auf den Feldern spielen? Das wird ein seltsames Lebensgefühl, denn Japan hat nicht die Ressourcen an Fläche wie Weißrussland und die Ukraine. 2011 haben viele gesagt, die Japaner kriegen das nicht in den Griff, und die deutschen Kernkraftwerke sind sicher. Die Deutschen sollten da respektvoller und fairer sein. Die Japaner machen alles Menschenmögliche.
Das Argument war doch, in Deutschland werde es keinen Tsunami geben.
Solch ein extremes Naturereignis kennen wir nicht. Aber meine These ist, was dort passiert ist, kann auch hier passieren, weil genau die Dinge geschehen, die man nicht antizipiert hat. Außerdem müssten heutige Kernkraftwerke mit derartigem Sicherheitsaufwand konstruiert sein, dass das nicht mehr rentabel ist. Ich sehe das ganz undogmatisch.
Wurden Sie in der Schule eigentlich für einen Streber gehalten?
Nein, ich glaube, Streber lassen andere nicht abschreiben. Wir waren ein super Klassenverband.
In welchem Fach haben Sie denn abgeschrieben?
Darin war ich schlecht. Einmal habe ich versucht, in Geschichte zu mogeln, aber ich habe es verpfuscht. Ich musste allein nachschreiben, weil ich den Termin wegen einer gebrochenen Hand versäumt hatte. Jedenfalls deponierte ich mein Geschichtsbuch auf dem Klo. Irgendwann behauptete ich, ich muss mal. Der Lehrer war skeptisch, trotzdem durfte ich gehen. Auf dem Klo lagen dann alle Antworten, aber ich hatte die Fragen vergessen.
Sind Sie zu Hause auch der Erklärer?
Jemand hat einmal meine Tochter gefragt, wie ist das bei euch in Mathe, fragst du Mama oder Papa? Sie hat geantwortet, dass sie mich zwar fragen könnte, aber doch lieber zu Mama geht, weil die schneller ist. Ich würde ihr erst einmal die Schönheit der Vektorrechnung erklären.
Und wenn Sie mit Ihrer Frau den Sternenhimmel betrachten?
Sie denken, ich bin der Erklärbär und muss alle um mich herum belehren. Da sitzen Sie im falschen Zug. Wenn ich mir den Mond angucke, ist der nach wie vor romantisch. Und er ist noch romantischer, wenn man ihn besser versteht. Die Andromeda-Galaxie ist doch mit bloßem Auge nur ein Mückenschiss, wenn Sie mehr darüber wissen, gewinnt der Sternenhimmel gleich noch an Dramatik. Ich finde, Wissen führt zu mehr Emotionalität.

In den 80er Jahren waren Sie Student. Die damals aktive Friedensbewegung haben Sie später als eine Art Karneval bezeichnet. Demonstriert haben Sie wohl nie?
Doch, ich war auch 1983 in Bonn. Ich habe das teilweise sogar mitorganisiert.

"Übernimmt unser digitales Alter Ego womöglich die Kontrolle?"

Ranga Yogeshwar, 55, wurde in Luxemburg geboren und wuchs zeitweise in Indien auf. heute lebt er bei Köln.
Ranga Yogeshwar, 55, wurde in Luxemburg geboren und wuchs zeitweise in Indien auf. heute lebt er bei Köln.
© Caro/Spiegl

Sie haben doch eine Art Ringvorlesung veranstaltet.
Das war etwas anderes: Es ging um die vielen Konsequenzen der atomaren Hochrüstung. Fachleute aus verschiedenen Disziplinen beteiligten sich, und dieses Wissen induzierte eine politische Haltung. Ich finde, so etwas Ähnliches müsste man heute wieder machen. Ich würde dann allerdings über die Digitalisierung reflektieren, was da gerade passiert mit der digitalen Revolution.
Wohin führt diese Revolution?
Wohin genau, kann ich auch nicht sagen. Realität und das digitale Abbild davon verschmelzen in einem Maße, das bewusstseinsverändernd wirkt. Wer sind wir? Übernimmt unser digitales Alter Ego womöglich die Kontrolle? Als Kind ging ich raus zum Spielen und machte mir die Hosen dreckig. Meine Eltern wussten nicht, wo ich war. Heute sind die Eltern in Sorge, wenn ihr Kind zehn Minuten lang nicht mobil erreichbar ist. Sie haben sich bestimmt vor unserem Interview über mich im Internet informiert und denken, Sie wissen, wer ich bin. Das ist aber nicht so. Wir fangen an, mit digitalem Denken unsere Lebensprozesse zu unterfüttern. Das geht über den Einzelnen und seine Privatsphäre längst hinaus.
Warum machen Sie solch einen Gedanken nicht einmal zum Thema einer Donnerstagabendshow, anstatt über gebratene Eier nachzudenken?
Wenn man mir morgen sagt, du kriegst den Donnerstagabend und kannst machen, was du willst, tue ich das gern. Doch die Auseinandersetzung mit Wissenschaft, dem Motor wichtiger gesellschaftlicher Veränderungen, fehlt in der Primetime! Leider ist die ARD dabei, sich gerade intellektuell zu entmündigen. Es gibt dort nach 20 Uhr 15 keine Wissenschaft mehr. Also gehe ich den Umweg über die Unterhaltung.
1995 haben Sie im „Spiegel“ prophezeit, es könne sein, dass die Bürger schon bald im Internet abstimmen könnten, ob ihr Land in den Krieg ziehen sollte.
Wir sind doch immerhin schon so weit, dass Politiker aufgreifen, was Bürger im Netz schreiben. Ich kann noch nicht beurteilen, ob das Internet zur Verbesserung der Menschheit beiträgt, es gibt Möglichkeiten dazu. Am Anfang sprach man vom „Information Highway“. Inzwischen ist es eine Kommerz-Autobahn. Da muss man als Gesellschaft dagegenarbeiten, wenn es um Privatsphäre geht, Konsumentenverhalten, geografische Überwachung. Und wir werden in den nächsten Jahren noch mehr erleben.
Woran denken Sie?
Wenn Google etwa über Firmen wie „Nest“ meinen Energieverbrauch zu Hause kontrolliert. Wir werden uns fragen müssen, bewegen wir uns in einer Welt, in der wir Monopolisten stärken und alles auf ökonomische Parameter reduzieren? „Günstiger.de“ sagt, wo ich etwas billiger kriege. Aber ist der Akt des Einkaufens nur noch ein Shoppen oder auch ein Stück sozialer Kontakt?
Sie wollen etwas dagegen unternehmen.
Ich habe mit einigen Kollegen die Initiative „Jeder kann programmieren“ ins Leben gerufen. Das war im Juni. Es geht um unsere Mündigkeit in der digitalen Welt und darum, dass wir hierzulande etwas unabhängiger werden, etwa von der gewaltigen US-Dominanz in diesem Feld. Bei der Kick-off-Veranstaltung war zwar Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel anwesend, doch am selben Tag trafen er und Frau Merkel sich dann mit Eric Schmidt, dem Google-Chef. So viel zum Unabhängigkeitsstreben der Bundesregierung in Sachen IT. Wir werden immer abhängiger und viele Lebensbereiche gleichzeitig immer stärker von der Informationstechnologie durchdrungen, doch zu wenige von uns kennen sich auf diesem Feld aus. Mit einer reflektierten Kompetenz können wir unser Umfeld aktiv gestalten, statt immer mehr in die unmündige Konsumentenrolle zu geraten. Schauen Sie, meine Kinder haben Abitur gemacht, ohne eine einzige Zeile programmiert zu haben.

Sie sind ja von Hause aus auch eher ein Mitglied der analogen Generation.
Ja, ich musste richtig lernen. Ich zeige Ihnen mal auf meinem Laptop, woran ich gerade arbeite. Ich messe die Radioaktivität und extrapoliere sie entlang … das funktioniert jetzt gerade nicht, weil ich kein W-Lan habe. Am liebsten würde ich das Gespräch jetzt abbrechen, weil ich Ihnen das unbedingt zeigen möchte. Mit leuchtenden Augen würden Sie hier sitzen.
Erklären Sie es uns doch einfach.
Also, Sie kriegen eine Darstellung Punkt für Punkt über ein GPS-Gerät, das alle 30 Sekunden die Radioaktivität misst, und Sie erzeugen damit eine Karte. In Japan entstand so die dichteste Strahlungskarte überhaupt mit über 30 Millionen Messungen. Nicht die offiziellen Stellen, sondern viele Bürger messen; die Daten sind allen zugänglich. Und jetzt stellen Sie sich vor, statt der Radioaktivität würden wir in Deutschland Feinstaub messen. Eine flächendeckende Feinstaubkarte wäre politisch höchst relevant. Die modernen Technologien können so den Bürger stärken. „Citizen science“ ist eine Chance. Doch dafür brauchen wir Kompetenz.
Wir sind beeindruckt. Wie viele Stunden sitzen Sie denn täglich am Rechner?
Im vergangenen Sommer waren es sehr viele. Ich habe extra in Stanford einen Fernkurs belegt. Und ich fühle mich immer noch wie ein Schulkind in der ersten Klasse. Aber dieses Eintauchen in ein neues Feld, das finde ich cool.

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