Alleskönner Zitrone: Saures Wunder
Sie macht Wasser frisch, sie peppt Gulasch auf, das Huhn ist ihr Traumpartner. Die Zitrone kann das alles – und noch viel mehr. Wer diesen Artikel gelesen hat, will nie wieder ohne sie leben. Garantiert!
Das Leben ist ein einziges Kommen und Gehen. Der Sommer weicht dem Herbst, der blaue Himmel ergraut, nach der Wahl werden neue Koalitionen geschmiedet, die einen treten an, die anderen ab ...
Nur die Zitrone, die bleibt.
Der Heißhunger aufs Zitroneneis ist einem zwar schon vergangen, dafür kommt bald die Lust auf die heiße Zitrone. (Wobei Ernährungsexperten raten, sie nur lauwarm zu genießen, um der hitzeempfindlichen Vitamine willen.) An Nachschub mangelt es auf jeden Fall nie. Das immergrüne Bäumchen blüht das ganze Jahr und, damit nicht genug der Rarität, trägt zur selben Zeit auch noch Früchte.
Leuchtend gelb, sieht die Zitrone nicht nur aus wie die Sonne, auf die der Berliner ja bald monatelang verzichten muss, sie hat auch ganz ähnliche Eigenschaften. Die Frucht gilt als Stimmungsaufheller – allein der Duft, wenn man ein wenig an der Schale kratzt! –, der die Lebensgeister von Menschen wie Speisen weckt. Ein Energielieferant, wie Joseph Beuys mit seiner „Capri-Batterie“ aufs Schönste vorführte: Er steckte eine gelbe Glühbirne in eine schwarze Fassung, die er wiederum mit einer Zitrone verband. „Nach 1000 Stunden die Batterie auswechseln,“ riet er in der Gebrauchsanweisung des Multiples.
Der Rheinländer ist bei Weitem nicht der einzige Künstler, der sich der ästhetischen Frucht annahm, Manet und viele andere haben die Schönheit gemalt, es gab Zeiten, wo sie auf keinem Stillleben fehlen durfte. Aber Beuys ist wahrscheinlich der lustigste. Wobei der Spruch, dass sauer lustig macht, einen anderen Hintergrund hat: „Gelüstig“ macht das Saure aufs Essen, die Zitrone regt den Appetit an und schärft die Geschmacksnerven.
Nur weil sie sauer ist, muss sie als Namensgeber für diverse Anti-Preise herhalten. Dabei kann einem Koch, egal ob Amateur oder Profi, gar nichts Besseres passieren, als eine Zitrone gereicht zu bekommen. Ohne die geht gar nichts, hat Wolfram Siebeck erklärt, für Kochbuchautor Nigel Slater ist sie mit ihrer feinen Säure als Gewürz so essenziell wie Pfeffer und Salz. Kein Tag, an dem sie in seiner Küche nicht zum Einsatz kommt. „To the cook, the lemon is a neat little bundle of joy.“ Noch dazu eine, die so gut wie keinen Abfall produziert.
Nigel Slater hat immer eine griffbereit neben der Pfeffermühle liegen. Was ohnehin sinnvoller ist, als sie im Kühlschrank auf ihren Einsatz warten zu lassen: Zimmerwarm, so Slater, ist die Zitrone am aromatischsten. Notfalls legt er sie noch mal kurz in den Backofen, wenn der gerade an ist, oder übergießt sie mit heißem Wasser.
Ein paar Spritzer, ein wenig Schalen-Abrieb peppen jede Sauce und jeden Salat, auch alles Geschmorte auf. Wie Gerhard Polt so treffend feststellte: „Mit a bisserl Zitronensaft hab ich noch jede Gulaschsuppe auf Trab gebracht.“ Mit Zitronen kann man Lammkoteletts marinieren, Vinaigretten anrühren, rohen Fisch regelrecht garen, ein Wiener Schnitzel erfrischen, Erdbeeren aromatisieren, Kartoffeln backen, Bresaola und Mayonnaise würzen, Apfelschnitze vorm Braunwerden bewahren, dank des Pektins kann man damit Marmeladen gelieren. Selbst dem schwersten Essen verleiht die Zitrone einen Hauch Leichtigkeit, nimmt dem Fettigen und Süßen etwas vom Fettigen und Süßen.
Aber Vorsicht bei der Dosierung!
Mithilfe von Zitronensaft und -schale kann man eine köstliche Blitzsommerpasta kochen (mit Crème fraîche, Parmesan und Rucola), oder (mit Butter, Zucker und Ei) Lemon curd aufschlagen, das nicht nur als Brötchenaufstrich taugt, sondern auch, mit griechischem Joghurt verrührt, eine Blitzcreme ergibt.
Keine Cola, kein Wodka ohne Zitrone. Schon ein, zwei Scheiben im Wasserkrug machen aus fadem Mineralwasser ein spritziges Getränk und eine Augenweide. Die Limonade verdankt nicht nur ihren Namen, sondern ihre Existenz der Limone. Wie empfiehlt Dale Carnegie, Guru des positiven Denkens: „When life hands you lemons, make lemonade.“
Kaum eine Zutat lässt sich so vielfältig kombinieren, egal, ob herzhaft oder süß. Wobei es ein paar besonders ideale Paarungen gibt: mit Ingwer und Buttermilch, Knoblauch und Oliven, Thymian und Mohn (köstlich: der in Amerika beliebte lemon-poppyseed-cake). Ein Traumpartner ist das Huhn, egal, ob bei italienischen, asiatischen oder marokkanischen Gerichten. Wobei die orientalische Küche vor allem eingelegte Zitronen benutzt, die man inzwischen selbst hierzulande in immer mehr Läden findet. Man kann sie auch ganz einfach selber machen, mit Salz, Wasser und Zitronensaft.
Natürliche Feinde hat die Zitrone so gut wie keine. Zu Katastrophen kommt es nur bei Begegnungen mit Tomaten, Käse und Schokolade, hat Nigel Slater festgestellt. Doch Geschmack ist Geschmackssache: Von Leysieffer zum Beispiel gibt es ganz herrliche dunkle Schokolade mit einem Hauch von Zitrone.
Eigentlich kann man mit ihr alles machen, außer reinbeißen. Wobei die Sizilianer selbst das tun, ohne das Gesicht zu verziehen. Aber die essen ja auch Zitronenwassereis, Granita, zum Frühstück. Siziliens Zitronen sind besonders berühmt, so wie die der Amalfiküste, der Heimat des Limoncello, oder aus Menthon an der Côte d’Azur. Aber ihr Ursprung liegt anderswo: Mit großer Wahrscheinlichkeit kam sie aus Indien und später mit den Arabern nach Europa, wo sie nicht nur für Goethe zum Inbegriff romantischer Italien-Sehnsucht wurde. Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen: Heute ist das keine einfache Frage mehr, denn es gibt etliche Länder, wo sie in Massen blühen, in Kalifornien zum Beispiel, Spanien, Mexiko …
Die allerersten Zitronen waren allerdings eher die Früchte des Zedratbaums, die mit dem Vetter aus dem Supermarkt wenig zu tun haben. Ihr Inneres ist ziemlich trocken, aus der wulstigen Schale wird Zitronat gewonnen. Überhaupt, die Schale: ein wichtiges Qualitätsindiz – je dünner, desto saftiger die Frucht. Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass sie, selbst an der ordinären (Bio-)Supermarktzitrone, eigentlich das Beste ist (vorausgesetzt dass sie unbehandelt und heiß gewaschen ist), enthält sie doch die aromatischen ätherischen Öle ohne sauer zu sein. Französische Parfümeure haben schon im 18. Jahrhundert betörende Düfte daraus destilliert. Überhaupt liebt die Kosmetikindustrie sie genauso wie die Gastronomie, man kann sich mit Zitronenseife die Hände säubern, mit Duschgel waschen, und sie sich, au nature, ins Gesicht schmieren. Auf dass die Haut so zart werde wie das Steak.
Ja, die Zitrone ist ein Wunder. Schon weil sie nicht nur alles, sondern auch noch dessen Gegenteil kann. So betont sie bei vielen Lebensmitteln und Speisen den Geschmack, dämpft ihn bei anderen dagegen ab. Dem Fisch zum Beispiel nimmt die Zitrone den Fischgeruch, was vor allem früher, im Zeitalter des langsamen Transports, ziemlich wichtig war.
Ein solches Wunder ist die Zitrone, dass sie selbst dem Agnostiker den Glauben zurückgeben kann, dass es da ein höheres Wesen gibt, das es gut mit den Menschen meint. Weshalb es wiederum kein Wunder ist, dass die sonnigen Früchte in den verschiedenen Religionen eine bedeutende Rolle spielen, im Hinduismus und Buddhismus ebenso wie im Judentum. Ja, man könnte sie sogar zum Inbegriff der Toleranz erklären, hat der jüdische Leibarzt des muslimischen Herrschers Saladin doch das erste Zitronen-„Kochbuch“ geschrieben, in dem es vor allem um den medizinischen Wert der Limone geht.
Auch hier gilt wieder: Ying und Yang. Von der Zitrone, die eine ganze Hausapotheke ersetzt, heißt es, dass sie beruhigend und belebend sei, schleimlösend und schweißtreibend, sie ist gut gegen alles, Haarausfall und Depressionen, Schlaflosigkeit und Schluckauf, Durchfall und Verstopfung, Kopfschmerz und Erkältungen. Eine Wunderwaffe, mit der man auch Geschirr und Fenster zum Glänzen bringt. Ein Lebensretter: Tausende von Seeleuten hat die Vitamin-C-Bombe vor dem Skorbut geschützt und damit Qualen oder gar den Tod erspart. Unsereins reicht es ja schon, wenn sie einen vor der Erkältung bewahrt.
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