Südtiroler Speck: Sag mir, wo die Schweine sind
Seit Generationen macht Südtirol großartigen Schinken. Doch in der Region gibt es heute kaum noch Schweine, wie ist es da um die Tradition bestellt?
Wer schon einmal in Südtirol war, kennt Südtiroler Speck. Er ist das kulinarische Aushängeschild der Region, wichtigste Spezialität, tief verwurzelt in der Tradition und nach einer Wanderung durch die Berge so ziemlich das Beste, womit man sich stärken kann. Auf den Hütten wird der Speck, grob geschnitten, auf einem Holzbrett serviert, meist in Gesellschaft von knochentrockenem Schüttelbrot, das sich kaum beißen lässt. Auch das obligatorische Glas Vernatsch dazu muss man nicht mögen. Aber der Speck selber, der hat was: ausgewogene Salzigkeit, mildes Raucharoma, kräftige Würze mit Kräutern und Pfeffer. Ein ordentlicher Fettrand muss sein, im dunkelroten Muskelfleisch sammeln sich Salz und Gewürze, das Fett sorgt für ausgewogenen Geschmack und Saftigkeit. Bei guten Qualitäten schmilzt es faserfrei schon im Mund.
Der "Speck" ist eigentlich ein Schinken
Der Begriff Speck führt übrigens auf eine falsche Fährte: Südtiroler Speck hat nichts mit unserem heimischen Bauchspeck zu tun, vielmehr ist er ein Schinken, der, wie Parma- oder Serranoschinken, aus der Schweinekeule – in Südtirol sagen sie „Schlegel“ – gewonnen wird. Der Unterschied zu den mediterranen Kollegen ist, dass er nach dem Einsalzen noch geräuchert wird und dann erst an der Luft trocknet. „Selchen“ nennen sie diese Art der Haltbarmachung, eigentlich typisch für den Raum nördlich der Alpen. Allerdings wird der „Speck“ nicht so lange geräuchert und milder gesalzen als zum Beispiel Schwarzwälder Schinken. Ihr Speck ist – wie die Südtiroler selbst, wenn man sie fragt – im deutschsprachigen wie im italienischen Kulturraum verwurzelt, aber in seiner Art bleibt er eigenständig. Wird er dünn aufgeschnitten, entfaltet er sein Aroma schneller, ist die Fleischqualität zudem hoch (man erkennt das leicht an der Fettmaserung im Muskelfleisch), ist er so zart wie guter Parmaschinken und inzwischen auf beiden Seiten der Alpen sehr beliebt. Mehr als sechs Millionen „Wammen“, also ausgelöste Keulen, werden jährlich zu Speck verarbeitet.
Besucht man die nördlichste Region Italiens, sieht man steile, zur Sonne hin ausgerichtete Weinberge, saftige Weiden, auf denen unzählige Kühe grasen, und riesige Apfelplantagen, durch Netze vor gierigen Vögeln geschützt. Was man aber vergeblich sucht, sind: Schweine. Woher aber kommt das Fleisch für die Masse an Schinken? Ist Südtiroler Speck überhaupt noch eine regionale Spezialität, wenn das Fleisch von irgendwoher kommt? Und – vielleicht das Wichtigste – macht es überhaupt einen Unterschied, woher die Schweine kommen?
Die Suche nach Antworten beginnt in Bozen. Hier sitzt das „Südtiroler Speckkonsortium“, eine unabhängige Institution, die seit 1996 die Vergabe des Siegels für geschützte geografische Angabe, Südtiroler Speck g.g.A., beaufsichtigt. Mit diesem Siegel werden in der EU Produkte ausgezeichnet, die in einem bestimmten Gebiet nach traditioneller Methode und nach besonderen Qualitätskriterien, vergleichbar dem DOP-Siegel des Parmaschinkens, hergestellt werden (siehe speck.it). 30 Betriebe sind aktuell vom Konsortium anerkannt, Matthias Messner, der Direktor, betreut die Vergabe und kümmert sich um die Vermarktung. Vielleicht weiß er, wie Südtirol zu seinem Speck kommt.
Auch das Südtiroler Traditionsprodukt "Speck" unterliegt den Gesetzen des Marktes
Messner trägt einen Bart, wirkt jung, ist lässig angezogen: ein smarter, moderner Südtiroler, dem die Tradition vertraut ist, der aber die Gesetze von Markt und Marketing kennt. „Bis in die siebziger Jahre wurde Südtiroler Speck nicht in Geschäften gehandelt“, erzählt er. Der Speck wurde von den Bauern für den Eigenbedarf produziert und auf Bauernmärkten den Einheimischen angeboten. „Damals gab es rund 16 000 Schweine in ganz Südtirol. Das reichte, um den Bedarf zu decken.“
Erst allmählich sei der Speck auch in Metzgereien verkauft worden, ab den Achtzigern entwickelte sich die Region zu einem beliebten Urlaubsziel, mit dem Tourismus stieg die Nachfrage nach lokalen Produkten. Die Produzenten, die bislang ausschließlich eigene Schweine vermarktet hatten, begannen, Fleisch zuzukaufen. Die kleinbäuerlichen Betriebe in Südtirol konnten nicht mit der Effizienz der internationalen Fleischproduktion mithalten: Der Bestand an Schweinen, die in Südtirol gezüchtet wurden, sank kontinuierlich. „Wer als Speckproduzent überleben wollte, musste wettbewerbsfähig denken“, sagt Messner. „Der Preisvorteil gegenüber anderem Schinken aus Norditalien spielt auch heute noch eine wichtige Rolle.“
Inzwischen stammt ein Großteil der in Südtirol verarbeiteten Schlegel aus Betrieben in Deutschland und den Niederlanden. Durch die kräftige Würzung merkt man bei Vergleichsverkostungen kaum einen Unterschied, aber die Struktur des Muskelfleischs ist zäher, das Fett gummiartig, es zerrinnt nicht im Mund. „Einige Hersteller suchten Mitte der neunziger Jahre einen Weg, Tradition mit Qualität und Unverwechselbarkeit zu pflegen und nicht nur mit dem günstigsten Grundprodukt über den Preis konkurrenzfähig zu bleiben.“ So entstand die Idee, eine Markenpyramide zu entwickeln, ähnlich der des Qualitätsweinanbaus: Die Basis bilden Schinken ohne Qualitätssiegel und geschützte Herkunftsbezeichnung. In Discountern werden sie zu Preisen teilweise unter zehn Euro pro Kilo vertrieben. Der „Südtiroler Speck g.g.A.“ (geschützte geografische Angabe) liegt preislich und qualitativ deutlich darüber.
Mit besserer Qualität und Tierwohl zurück zur Tradition
2005 kam ein Programm dazu, das kleinbäuerliche Betriebe darin unterstützt, wieder Schweine zu züchten: garantierte Abnahmemengen zu festen Preisen weit über dem Marktwert. Dafür verpflichten sich die Bauern, kontrollierte Auflagen für Aufzucht, Haltung und Fütterung einzuhalten. Um diese höheren Standards besser vermarkten zu können, wurde 2008 das Siegel „Südtiroler Bauernspeck g.g.A.“ von der Provinz Bozen und dem Konsortium ins Leben gerufen, die Spitze der Qualitätspyramide. Der Kilopreis liegt bei über 20 Euro. Das garantiert, dass nur Schlegel von Schweinen einer Kreuzung aus Landrasse und Duroc verwendet werden, die in Südtirol nach strengen, der Qualität und dem Tierwohl verpflichteten Regeln aufgezogen wurden. Ein Anreiz für Bauern, neben Obst und Gemüse auch wieder Schweine – maximal 150 sind erlaubt – aufzuziehen.
Paul Gamper hat wegen dieses Programms seinen Familienbetrieb Willelehof in Jenesien vor drei Jahren von Kühen auf Schweine umgestellt. „Früher war das nicht möglich“, sagt Gamper. „Wie sollte ich zu Preisen produzieren, die auf dem Markt gezahlt werden? Das können wir Kleinen doch gar nicht.“
Knapp 80 Schweine leben auf dem Willelehof, sie sind nicht kupiert und würden sich gegenseitig wohl die Ringelschwänze abbeißen, wenn sie nicht genügend Platz im und außerhalb ihres Stalls hätten. Manche von ihnen sind diesen Sommer fast kitschig rosa. „Sonnenbrand“, sagt Gamper lakonisch. Messner ist regelmäßig bei ihm, verhandelt Abnahmepreise, spricht über Zukunft, Ferkelproduktion und Wirtschaftlichkeit. Die strengen Vorgaben des Konsortiums hält Gamper für sinnvoll: „Wenn du einen Braten aus Industriefleisch machst und den wieder aufwärmst, dann riechst und schmeckst du den Dreck, in dem die leben mussten, der zieht ins Fett. Das willst du nicht essen.“ Die Absprachen sichern ihm die wirtschaftliche Existenz, unabhängig von Weltmarktpreisen. Einige Bauern sind inzwischen bereit, Gampers Beispiel zu folgen, nur so kann der Bestand von derzeit 8000 Schweinen in Südtirol überhaupt gehalten werden – immer noch nur ein Bruchteil der verarbeiteten Menge.
Aktuell gibt es deshalb auch nur vier Hersteller von „Südtiroler Bauernspeck g.g.A.“, einer davon ist die „Metzgerei Windegger Franz und Co.“ aus Bozen. Ihre Filiale in der Innenstadt sieht aus wie ein Tempel: der Eingang ein Rundportal mit historischem Fries, im Inneren unzählige appetitlich ausgeleuchtete Schlegel und Regale voller abgepackter Schinkenstücke. In der Mitte steht ein Glaskasten, darin eine Wamme, vor der Schalen mit den typischen Gewürzen stehen, sinnlich, appetitanregend, transparent. „Die Auflagen für den Bauernschinken erzeugen Mehrkosten für alle Beteiligten“, sagt Messner, „die müssen an den Kunden durchgereicht werden, damit die Betriebe leben können. Das funktioniert aber nur da gut, wo hinterm Tresen einer steht, der das Produkt auch mit dem Herzen vertritt.“
Ob sich Qualität durchsetzen kann, entscheidet immer der Kunde
So einer ist Günther Windegger, erfahrener Metzger in langer Familientradition und stolzer Südtiroler. Die Schweinehälften für seinen Bauernspeck bekommt er unter anderem von Paul Gampers Willelehof, woher der Rest stammt, listet er für jeden nachvollziehbar auf seiner Homepage auf (windegger.info). Zuerst werden die Hälften in Handarbeit zerlegt, die Schlegel eingesalzen und mit Lorbeer, schwarzem Pfeffer, etwas Knoblauch und Wacholder gewürzt. Ob Rosmarin oder Kümmel dabei sind, verrät er nicht, auch in welchem Verhältnis gemischt wird, ist ein Betriebsgeheimnis – jeder Fleischer hat seine eigene Rezeptur.
Windegger verwendet keine fertige Würzmischung, die Gewürze werden frühestes zwölf Stunden vor der Verarbeitung gemahlen, oft sind es nur zwei Stunden. Dann liegt der Schinken in der eigenen Lake, das Salz entzieht ihm Wasser, er wird kompakter, am Ende wird er ein Drittel seines Schlachtgewichtes eingebüßt haben. Alle zwei bis drei Tage muss er nun gewendet werden, insgesamt pökelt er gut 20 Tage. Dann geht es in die Kalttrocknung, ehe die Wammen, wie traditionell üblich, in Buchenholz kaltgeräuchert werden. 15 bis 20 Grad sind vorgeschrieben, Windegger räuchert bis maximal 18 Grad, das dauert länger, zumal er zusätzlich Frischluftphasen einlegt, „damit sich die Poren öffnen und der Rauch besser einziehen kann“. Dann kommen die Schinken in die Reifekammer, fünf Monate wären normal, sein Bauernspeck hängt acht. „Von der Wirtschaftlichkeit her machen wir alles falsch, was man falsch machen kann“, sagt Windegger. „Aber bei uns geht es nicht darum, zu schauen, wo man preislich noch etwas rausholen kann, das ist nicht Sinn der Sache.“ Warum macht er sich dann die Mühe? „Traditionspflege“, antwortet er. „Der Südtiroler Speck wurde aus der Not heraus erfunden, damit man das ganze Jahr etwas zu essen hatte. Mit dem Bauernspeck pflegen wir die Tradition. Geld verdienen wir mit anderen Sachen.“
Der Bauernspeck ist ein Nischenprodukt, er ist teurer und der hohe Fettanteil schreckt viele ab. Geschmacklich steht er auf einer Stufe mit einem vergleichbar aufwendig gemachten Schinken aus qualitativ hochwertigem Fleisch, auch wenn dieses Fleisch nicht aus Südtirol stammt. Aber für Windegger verkörpert der „Speck“ ein Stück Südtiroler Tradition, die auch auf den Bauernmärkten weiterlebt. Dort verkaufen Kleinstproduzenten unverpackten Schinken von Schweinen aus eigener Zucht. Gerne lassen sie die Kunden probieren, jeder Händler pflegt seinen ganz eigenen Stil. Aber sie produzieren zu wenig, als dass es sich trotz geringer Gebühren lohnen würde, ihn als Bauernspeck zertifizieren zu lassen. Für Günther Windegger sind diese Händler keine Konkurrenten: „Mir ist Vielfalt wichtig. Sie zeichnet unsere Specktradition aus. Einzigartigkeit entsteht, wenn jemand dahintersteht, mit ganzem Herzen.“ Heimatliebe ist für ihn der Garant für diese Qualität, „von der Geburt des Schweins über ordentliche Fütterung bis hin zur bestmöglichen Verarbeitung“. Ob das den höheren Preis wert ist und diese Tradition eine Zukunft hat, liegt allein in der Hand der Konsumenten.
Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.
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