Gerda Hasselfeldt im Interview über Flüchtlinge und Terror: "Wir dürfen die heimische Bevölkerung nicht überfordern"
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt spricht über die Verantwortung der Union in der Flüchtlingspolitik, die Kanzlerin und die Rolle ihrer Partei.
Wir ziehen in den Krieg mit Tornados über Syrien und Soldaten im gefährlichen Norden Malis. Wo bleibt die Skepsis der CSU?
Wir machen uns die Entscheidung nicht leicht. Die Anschläge in Frankreich haben nicht nur diesem Land gegolten, sie treffen die gesamte westliche Welt. Deshalb haben wir gesagt: Wir stehen an der Seite Frankreichs. Wenn uns die Franzosen jetzt um Beistand bitten, können wir uns nicht zurücklehnen. Die Antwort lautet: Jawohl, wir helfen euch, mit Aufklärungsmaßnahmen, mit verstärkter Ausbildung, mit Unterstützung in Mali.
Irak und Libyen zeigen, dass sich ein Gegner wie der IS nicht wegbomben lässt. Wann folgen Bodentruppen?
Die Entscheidung zur Entsendung von Bodentruppen stellt sich für uns nicht. Wir helfen, wo Lücken sind, wo wir bessere Fähigkeiten und Kapazitäten haben als andere Länder. Auf dem Boden zu kämpfen ist im Wesentlichen Aufgabe der Streitkräfte vor Ort, die die Situation dort kennen.
Wenn deutsche Tornados den Bombern den Weg zu IS-Zielen weisen – wird dann nicht der IS verstärkt auf uns zielen?
Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass wir ohnehin im Fadenkreuz des IS stehen. Daran ändert auch unsere Beteiligung und die Unterstützung Frankreichs nichts.
In Frankreich waren die meisten Täter Franzosen. In Deutschland sind die meisten Gefährder Deutsche. Tun wir genug im Kampf gegen den IS bei uns daheim?
Wir müssen sehr viel stärker als bisher auf Prävention setzen. Menschen dürfen sich gar nicht erst radikalisieren. Meine Beobachtung ist, dass dann, wenn nichts passiert, unsere Wachsamkeit und die Präventionsanstrengungen nachlassen.
Prävention heißt Polizei, heißt Sozialarbeit, heißt Jobs ...
Ja, es geht dabei immer auch um die Eingliederung durch Arbeit und Bildung. Wir müssen Menschen vom Rand der Gesellschaft wegholen. Wir müssen die jungen Menschen besonders im Auge haben, die drohen, sich zu radikalisieren. Hier darf keiner wegschauen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die alle Bereiche umfasst.
Haben wir denn in Zeiten wie diesen überhaupt genug Polizeikapazitäten?
Zuletzt haben manche Länder leider ihre Polizeistärken reduziert. In Bayern ist das, Gott sei Dank, nicht geschehen, wir haben neue Stellen geschaffen. Auch Bundespolizei und andere Sicherheitsbehörden des Bundes werden aufgestockt. Das ist die richtige Antwort auf die Gefährdungen. Aber die Sicherheit der Bürger bleibt eine permanente Aufgabe. Deshalb war der Stellenabbau bei der Polizei in manchen Bundesländern nicht richtig.
Zwei Attentäter von Paris sind offenbar getarnt als Flüchtlinge eingereist. Was folgt für Sie daraus?
Erhöhte Wachsamkeit ist in allen Bereichen angesagt. Das gilt auch für die Registrierung der Flüchtlinge. Hier haben wir große Verantwortung. Allerdings warne ich davor, Ursachen des Terrors in der Flüchtlingssituation zu sehen. Wir hätten den Terror auch ohne Flüchtlinge.
Die CSU hat "Obergrenzen" beim Flüchtlingszuzug beschlossen. Warum ist dieses Wort für Sie so wichtig?
Nicht das Wort ist wichtig, sondern dass wir uns alle bewusst werden, dass die Grenzen der Aufnahme- und Integrationskraft erreicht sind. In Bayern spüren wir das wahrscheinlich deutlicher als in anderen Regionen, und auch unsere Bevölkerung ist dadurch stärker sensibilisiert. Deshalb unser Bemühen, zu einer Reduzierung, einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen zu kommen.
Sie fordern Obergrenzen, nennen aber keine Zahl. Warum?
Uns geht es ums Grundsätzliche. Das hängt nicht von einer konkreten Zahl ab. Wir brauchen erst mal das Bewusstsein, dass eine Begrenzung erforderlich ist.
... und die Kanzlerin gehört zu den Verblendeten, die das nicht verstehen?
Natürlich nicht. Auch die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass es eine Reduzierung des Zustroms braucht. Wir erkennen die Bemühungen auf europäischer und internationaler Ebene an, die Angela Merkel mit großem Einsatz vorantreibt. Und gemeinsam haben wir ja schon sehr viel erreicht – auch unter dem Druck der CSU. Die Einstufung der Balkanländer als sichere Herkunftsstaaten etwa war schon unsere Forderung, als weite Teile der Republik lange nicht so weit waren. Mitte des Jahres kamen noch 40 Prozent der Flüchtlinge vom Westbalkan. Heute geht die Zahl fast gegen null, im letzten Monat waren es in Bayern ganze 18. Die Hartnäckigkeit der CSU hat dazu geführt, dass innenpolitisch richtige Maßnahmen getroffen wurden. Richtig ist aber auch: Wir hätten heute Hunderttausende von Flüchtlingen weniger im Land, wenn die Grünen nicht so lange blockiert hätten.
Was haben Sie empfunden, als Ihr Parteichef der Kanzlerin beim CSU-Parteitag die Leviten gelesen hat?
Ich kann verstehen, dass manche es befremdlich fanden. Aber klar war auch: Horst Seehofer musste die Position der CSU und des ganzen Parteitags, die nahezu einstimmig beschlossen worden war, deutlich zum Ausdruck bringen. Es gehört zum politischen Alltag, dass unterschiedliche Positionen nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern auch öffentlich kommuniziert werden.
Aber musste Seehofer die Kanzlerin wie ein Schulmädchen vorführen?
Ach, wissen Sie, ich bin alt genug, um zu wissen, dass Politik keine Harmonieveranstaltung ist – nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch unter Parteifreunden. Damit kann man professionell umgehen.
Seehofer hat auf dem Parteitag ein mageres Wahlergebnis bekommen – weil er zu forsch war oder zu wenig forsch?
Ich habe schon so viele Parteitage erlebt – nach ein paar Wochen fragt keiner mehr nach den genauen Wahlergebnissen.
An gute Ergebnisse pflegen Politiker lautstark zu erinnern ...
Mag sein, manche schon – ich nicht.
Hat Markus Söder seine Position als Kronprinz gefestigt?
Auch das wird für mein Gefühl überbewertet. Wir haben in der CSU eine ganze Reihe starker Minister und anderer Funktionsträger. Manchmal machen sie gute Schlagzeilen, manchmal bekommen sie einen Dämpfer. Eine Entscheidung über die Nachfolge des Parteichefs und Ministerpräsidenten ist noch so weit weg, dass ich keinen Gedanken daran verschwende.
Aber Söder steht ja zugleich für ein offensives Vorgehen in der Flüchtlingsfrage. Trifft er da nicht einen Nerv in Bayern?
Offensives Vorgehen ist nicht Markus Söders Privileg. Daran sind wir alle beteiligt. Den Leitantrag für den Parteitag haben wir gemeinsam vorbereitet. Und daran hat der Parteivorsitzende einen sehr großen Anteil.
Die Wähler der Union verschreckt nichts so wie Streit, zugleich nähert sich die AfD stabil der Zehnprozentmarke. Wie wollen Sie das denn je wettmachen?
Durch die richtigen Entscheidungen. Die sind auf dem Weg. Das Bündel der außen- und europapolitischen Maßnahmen von Hotspots bis zur Verständigung mit der Türkei ist ja noch gar nicht in Kraft. Daran arbeiten wir, vor allem die Kanzlerin. Dann werden die Zahlen zurückgehen. Hier bei uns muss umgesetzt werden, was wir beschlossen haben. Bei Rückführungen und der Umstellung auf Sachleistungen sind etliche SPD-geführte Länder weiter in der Pflicht. Ich hoffe sehr, dass spätestens nach dem SPD-Parteitag die Absprachen der drei Parteivorsitzenden zum Asylpaket II endlich umgesetzt werden.
Sie kennen Ihre Landesgruppe. Wie viel Zeit geben die Merkel noch für ihren Weg?
Wir haben da verdammt dicke Bretter zu bohren. Die Abgeordneten wissen, dass das Problem nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Aber ich habe Verständnis dafür, dass die Kollegen angesichts der Lage vor Ort unter starkem Druck stehen und diesen Druck artikulieren. Das ist auch notwendig. Ich will kein Datum nennen, bis zu dem eine Trendwende sichtbar sein müsste, weil das keinen Sinn ergibt. Aber sicher ist: Das alles ist auch ein Wettlauf mit der Zeit.
In der Flüchtlingsfrage gerät die CSU in starken Gegensatz zu den Kirchen. Kann das einer Partei egal sein, die sich als christliche versteht?
Wir pflegen mit den Kirchen einen engeren Dialog als andere Parteien. Das führt natürlich dazu, dass das Gespräch dann auch einmal etwas intensiver wird. Es bleibt aber in jedem Fall konstruktiv, und manche überspitzte Reaktion ist inzwischen bereinigt.
Zu Weihnachten wird in vielen Kirchen der Bibelsatz gelesen werden: "Und sie fanden keinen Platz in der Herberge." Sind Obergrenzen mit dem grenzenlosen Gebot der Barmherzigkeit vereinbar?
Wir haben in der Flüchtlingsfrage eine doppelte Verantwortung. Wir müssen den schutzbedürftigen Flüchtlingen helfen aus unserer humanitären Verantwortung. Und es bestreitet niemand, dass wir das in Bayern intensiv und vorbildlich leisten. Aber wir haben auch eine Verantwortung, die heimische Bevölkerung nicht zu überfordern. Fragen der inneren Sicherheit, die Frage, wie viele Flüchtlinge wir wirklich integrieren können, dürfen wir nicht einfach beiseiteschieben. Wo diese Grenzen liegen, darüber gibt es sicher unterschiedliche Auffassungen. Dann muss man darüber diskutieren. Die Frage aber außen vor zu lassen wäre unverantwortlich gegenüber der heimischen Bevölkerung.
War "Wir schaffen das" ein falscher Satz?
Ich verstehe den Satz so, dass es unsere Aufgabe ist, die Herausforderung zu meistern. Wir können nicht zurückschrecken oder sagen, wir nehmen diese Aufgabe nicht an. Wir in der CSU sehen sie in ihren drei Aspekten: Humanität, Integration, aber eben auch Grenzen des Leistbaren.
Wäre es dem Unionsfrieden zuträglich, wenn Horst Seehofer am 15. Dezember die Grippe hätte, damit er nicht zum CDU-Parteitag muss?
Das wäre keineswegs hilfreich. Das Gespräch miteinander ist notwendig und wichtig. Das umfasst den Austausch unterschiedlicher Positionen genauso wie die Gemeinsamkeiten. Ich denke, wir sollten die große Chance zur Gemeinsamkeit nutzen, um der Lösung des Problems näher zu kommen.