Das erste Kopftuch-Emoji: Wie Rayouf Alhumedhi berühmt wurde
Irgendwann fiel ihr auf: Sie kommt in der Welt der Emojis nicht vor. Also erfand Rayouf Alhumedhi eines, das Kopftuch trägt – wie sie selbst.
Eines der angeblich machtvollsten Mädchen der Welt geht zielstrebig durch die Korridore einer unscheinbaren Stadtrand-Backsteinschule, gelegen in der Straße der Menschenrechte, Hausnummer 1, in 1220 Wien. Das cremefarbene Kopftuch der 16-Jährigen ist farblich auf die Hülle ihres Smartphones abgestimmt, sie trägt eine lange Sporthose und Turnschuhe. Das Sweatshirt ist weich und bequem, wie eine wollene Schneeflocke. Andere Schüler werfen ihr bewundernde Blicke zu. Denn sie hat sich und ihresgleichen ein Gesicht gegeben, sie hat ein Emoji erfunden. Eines jener Symbolbildchen, die auf den Kommunikationskanälen des Internets milliardenfach in Texte eingefügt und angeschaut werden.
Anfang November deklarierte das US-amerikanische „Time“-Magazin Rayouf Alhumedhi deswegen zu einem der 30 einflussreichsten Teenager der Welt. Denn ihr Emoji ist das erste, das ein Kopftuch trägt. Rayouf sagt: „Alles was ich erreichen wollte, ist Repräsentation.“ Gehasst werden indes wollte sie nicht. Und auch nicht gefürchtet.
Die Idee kam Rayouf, als sie im Sommer 2016 mit Freundinnen auf Whatsapp chattete. Ihr fiel auf: Keines der damals existierenden Emojis sah ihr ähnlich. Es gab lachende und weinende, welche, die skeptisch blicken oder pfeifen, es gab ein Turban-Emoji mit Gesichtern in allen Hautfarben, welche, die gleichgeschlechtliche Paare zeigen und auch ein Christenkreuz – nur sie kam in dieser Welt nicht vor. Und mit ihr keine der Frauen und keines der Mädchen unter den 1,8 Milliarden Muslimen auf der Erde, die ein Kopftuch tragen. Warum nicht?
Also beschloss Rayouf, an das Unicode-Konsortium im kalifornischen Silicon Valley zu schreiben, eine gemeinnützige Organisation, der auch nahezu alle großen Softwarefirmen angehören und die die Standards für Schriftzeichen – und eben auch Emojis – festlegt. Rayouf Alhumedhi, sie war 15 Jahre alt damals, wurde gebeten, einen Bildvorschlag zu machen, sie wurde nach San Francisco eingeladen, um ihre Idee zu präsentieren.
Seitdem wartete sie, „ich habe die letzten Monate immer wieder mein iPhone-Betriebssystem upgedatet“, sagt Rayouf, „um zu sehen, ob es schon da ist. Im November war es endlich so weit.“
Sie sieht sich als "global citizen"
Sie öffnet die Tür zu einem Klassenzimmer, setzt sich und erzählt weiter, in fließendem Englisch – der Schulsprache. Wenn Rayouf Deutsch sprechen muss, fühle sie sich unwohl, sie könne sich darin nicht so gut ausdrücken.
Rayouf Alhumedhis Schule ist eine Eliteschule. Gelegen in einem Außenbezirk Wiens, umgeben von einer Plattenbausiedlung und breiten Straßen. Vom Stephansplatz in der Innenstadt, mit seinen Pferdekutschen, Pflastersteinen und Gründerzeithäusern, ist sie acht U-Bahn-Stationen entfernt. Kinder von Wirtschaftschefs werden hier an der „Vienna International School“ im Stadtteil Kagran unterrichtet, Kinder von Diplomaten und Spitzenpolitikern aus aller Welt. Die Warteliste ist lang.
Im Werkraum der Schule steht ein 3-D-Drucker, auf dem Gang sind nagelneue Apple-Computer angeschlossen. Draußen im Garten wurde ein Teich angelegt, es gibt Gewächshäuser mit Mikroskopen darin. Die Schauspielgruppe trifft sich in einem eigenen Theater mit roten Samtsesseln. In der Bibliothek halten Autoren aus aller Welt Vorträge. Im November sprach hier der österreichische Bundespräsident und verlieh der Vienna International School als bisher einziger Schule Österreichs einen internationalen Ökologie-Preis. Die Schüler haben gute Chancen, einmal zur sogenannten Elite zu gehören. Ihre Eltern tun es bereits. Der Großteil arbeitet für die Vereinten Nationen. Bis zu 20 000 Euro zahlen sie pro Jahr für den Schulbesuch ihrer Kinder.
Auch Rayouf Alhumedhi ist ein Diplomatenkind. Sieben Jahre lang wuchs sie in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad auf. Ihr Vater arbeitete dort im Bildungsministerium. Dann, als Rayouf im Schulalter war, wurde ihm eine Stelle an der saudischen Botschaft in Wien angeboten. Die kleine Rayouf sieht zum ersten Mal in ihrem Leben Berge, erlebt Jahreszeiten, geht wandern und fährt Ski. Ihr kleiner Bruder fürchtet sich vor dem Schnee.
Als Rayouf zwölf Jahre alt ist, zieht die Familie wieder um. Diesmal nach Berlin, wo sie auf eine britische Schule geht. In diesem Jahr wurde ihr Vater wieder an die saudische Botschaft nach Wien versetzt, wo er als Kulturattaché arbeitet. Im Artikel des „Time“-Magazins wird Rayouf als „österreichische Schülerin“ vorgestellt. Sie selbst, sagt sie, sieht sich wie viele ihrer Mitschüler als „global citizen“, als Weltbürgerin.
Im Büro des Pressesprechers der Vienna International School rufen seit der Veröffentlichung der „Time“-Liste Hunderte Journalisten an. Bei Interviews sitzt er stets neben Rayouf, weil er – wie er sagt – ihr das Gefühl geben will, nicht allein zu sein, wenn unangenehme Fragen, etwa zu ihrem Privatleben, gestellt werden. Vor den Hassnachrichten, die in Internetforen über die Schülerin kursieren, kann er sie allerdings nicht schützen.
Von Beschimpfungen bis Vergewaltigungsfantasien ist alles dabei. Johann Gudenus, Vizebürgermeister Wiens, kommentierte einen Artikel über Rayoufs Wahl unter die 30 einflussreichsten unter 20-Jährigen mit dem Wort „Irrsinn“.
Hasskommentare liest sie nicht
Gudenus ist Mitglied der FPÖ, zu seinem Wortschatz gehört die „Umvolkung“ ebenso wie die „Türkenbelagerung“. „Das Kopftuch ist ein Symbol des politischen Islams“, heißt es in einer Verlautbarung der Partei. Im Wahlkampf las Rayouf auf FPÖ-Plakaten, an denen sie auf dem Weg zur Schule vorbeikam: „Der Islam gehört nicht zu Österreich.“
„Dieser Mann muss für seine Wähler interessant bleiben, deswegen füttert er sie mit solchen Geschichten“, sagt Rayouf. Sie kennt auch die Losung von der „Islamisierung des Abendlandes“, die Dresdner Pegida-Bewegung führt sie im Namen, FPÖ-Politiker gebrauchen sie ebenfalls. Und Saudi-Arabien – das Heimatland von Rayoufs Familie – liefert durchaus Belege dafür, eine solche Islamisierung voranzutreiben.
Rayouf sagt, sie verstehe nicht, warum sie und ihr Emoji damit in Verbindung gebracht würden. Sie verdreht die Augen: „Diese Politiker tun so, als würde mein Emoji Europas Zukunft beeinflussen.“
Rayouf liest all diese Kommentare nicht. Die Gudenus-Äußerung hat sie aber mitbekommen, nachdem Medien darüber berichtet hatten. Seitdem wird sie in Interviews zum Thema Fremdenhass befragt. „Ich weiß, dass der Islam kontrovers aufgefasst wird“, sagt Rayouf dann schulterzuckend, „mit Kritik habe ich gerechnet.“
Jährlich werden etwa 500 neue Emojis zugelassen. In diesem Jahr waren es unter anderem eine stillende Mutter, eine Meerjungfrau, ein Brokkoli und ein sich erbrechender Smiley. Es gibt Emojis von Synagogen, Kirchen und Moscheen mit Minaretten. Allein über das Frauengesicht mit Kopftuch wurde auf der halben Welt berichtet.
Rayouf konzentriert sich auf das positive Echo, denn das sei überwältigend gewesen, erzählt sie. Vor allem im Netzwerk Instagram. Dort danken ihr Frauen, dass sie sich für ein Symbol eingesetzt hat, mit dem sie sich identifizieren können. Für Rayouf ist der Hidschab, den sie trägt, seit sie 13 war, ein Symbol von Freiheit, sagt sie. Niemand zwinge sie dazu, ein Kopftuch zu tragen. Es sei ihre eigene Entscheidung und Teil ihrer Identität.
Freiheit? Rayoufs Vater ist ein Repräsentant eines Landes, in dem Frauen ohne männlichen Begleiter nicht einmal ein Flugticket kaufen dürfen. Ein Land, in dem die Todesstrafe verhängt wird, unter anderem bei Vergehen wie Ehebruch, Homosexualität und Gotteslästerung.
Irgendwann will sie zurück nach Riad
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst haben Erkenntnisse darüber, dass religiöse Organisationen aus Saudi-Arabien mit Billigung der Regierung deutsche Salafisten unterstützen. Dazu gehören der Bau von Moscheen und Schulungsräumen und das Entsenden von Predigern. Reiche Saudis investieren Millionen in den Bau von Moscheen in Afrika.
„In meiner Heimat müsste ich meinen jüngeren Bruder fragen, ob ich verreisen darf, ist das nicht verrückt?“, sagt Rayouf. Dass Saudi-Arabien langsam liberaler zu werden scheint – seit Kurzem dürfen Frauen den Führerschein machen, bei Kommunalwahlen wählen, Sportstadien besuchen –, gefalle ihr. Aber noch immer würden Frauen deutlich schlechtergestellt als Männer, sagt sie. Sie hoffe, dass sich das ändere.
Irgendwann, sagt sie, möchte sie zurück und in Riad arbeiten, vielleicht eine Firma gründen, sich gesellschaftlich engagieren. An ihrer Wiener Schule gibt es Lesben-, Schwulen- und Transgender-Clubs und feministische Debatten.
FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache, ein Mann, der 2009 mit einem Kruzifix gegen den Bau einer Moschee in Wien protestiert hat, ist neuer Vizekanzler. Er wird der erste Politiker Europas in Regierungsverantwortung sein, der eine Vergangenheit in der Neonazi-Szene hat. Österreich – Kanzler Sebastian Kurz gab am gestrigen Mittwoch seine erste Regierungserklärung ab – rückt nach rechts.
Wiens muslimische Gemeinschaft hat eine gewisse Angst davor. „Beschimpfungen und körperliche Aggression in der U-Bahn oder im Bus sind jetzt schon Alltag für uns“, sagt Dudu Kücükgöl, die sich als Aktivistin für die Rechte von muslimischen Frauen in Österreich einsetzt. Kücükgöl erzählt von Frauen, die nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden, weil sie auf dem Bewerbungsfoto ein Kopftuch tragen. Im März 2017 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Unternehmen ihren Angestellten das Tragen religiöser, politischer und weltanschaulicher Symbole verbieten dürfen. Kücükgöl glaubt, dass das die Situation von Musliminnen auf dem Arbeitsmarkt noch prekärer machen wird.
„In einer Firma, die mein Kopftuch nicht akzeptiert, würde ich erst gar nicht arbeiten wollen“, sagt Rayouf. Sie, die Eliteschülerin und Diplomatentochter, hat die Wahl, die viele andere Muslime nicht haben. Sie will Informatik studieren, sagt sie, am liebsten in England oder den USA. Sie ist Schulsprecherin, engagiert sich in der Obdachlosenhilfe ebenso wie im Business Club und hilft neuen Schülern, sich an der Vienna International School zurechtzufinden. „Three more minutes“, sagt sie bestimmt am Ende des Gesprächs. Wer ihr begegnet und mit ihr spricht, vergisst manchmal, ein Mädchen vor sich zu haben und keine Erwachsene. Bis die Schulglocke schrillt.
Franziska Tschinderle