Satiriker im EU-Parlament: Wie Martin Sonneborn durch Brüssel jagt
Seit zwei Jahren stromert der Satiriker Martin Sonneborn durch das Dickicht der Politik in Brüssel - sucht nach Politikern, die er vorführen kann. Doch das Experiment gerät im Alltag an seine Grenzen. Unser Blendle-Tipp.
Das Europäische Parlament in Brüssel ist ein eigener Planet, ein Labyrinth, das man nicht so leicht durchdringen und dem man so schnell nicht wieder entrinnen kann. Bevor ein Besucher den Bürobewohner 07M093 erreichen kann, steht er Schlange: hört unterschiedliche Sprachen, muss vorbei an Sicherheitspersonal, wird kontrolliert wie am Flughafen, betritt gläserne Gebäude, 14 Stockwerke hoch, mit Rolltreppen, Banken, Geschäften, Cafés, Kantinen und tausenden Büros; sieht Menschen suchend, schwatzend, eilig laufend.
Endlich oben angekommen, siebter Stock, öffnet Martin Sonneborn die Tür. Der deutsche Chefsatiriker, wie er auch genannt wird, 51 Jahre alt, bittet Platz zu nehmen auf einem leicht fleckigen Sofa. Er selbst wirkt unscheinbar, zurückgenommen, ist groß und schlank, mit hoher Stirn und hellsten blauen Augen. Diese Augen sind eine Waffe; schauen unschuldig, aufmerksam, meist undurchschaubar, manchmal erstaunt, aber immer so milde, als könnten sie von alleine lächeln.
Seine eigentliche Mission: Ernsthaftigkeit
Seit 2014 sitzt er hier. Ein eher ungeplantes Experiment, das er selbst so nicht vorhergesehen hatte. Er ist als gewählter Abgeordneter der von ihm gegründeten Satire-Partei mit 184 709 Stimmen, 0,6 Prozent, Teil dieses Planeten geworden, der den Menschen Europas doch so fremd geblieben ist. Brüssel, Europas Politik, empfinden viele Bürger als Witz. Warum braucht es da ihn? Er sagt: „Der allgemeine Hang zum Unernst und zum Witz, gerade in der Politik, da wo Ernst angebracht wäre, gefährdet moralisch abgefederte Qualitätssatire. In dieser Situation muss man ernsthafter werden, deswegen auch der Schritt in die Politik.“
Ernsthaftigkeit ist Martin Sonneborns eigentliche Mission.
Er ist eine Ikone, erfolgreich mit seinem Kunsthandwerk. Er war Chefredakteur der Satirezeitschrift „Titanic“ und ist bis heute Herausgeber, gefeierter Reporter bei der „heute-show“, er hat Filme gedreht wie den Dreiteiler „Sonneborn rettet die Welt“ und dafür den Grimme-Preis gewonnen. Vor allem war er einer der Ersten, die Satire in Deutschland als Aktionskunst auf die Straße brachten und damit radikalisierten. Heute verbindet man das Radikale eher mit anderen: Das Zentrum für politische Schönheit gibt vor, Flüchtlinge von Tigern verspeisen zu lassen, Jan Böhmermann entfacht mit seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten diplomatische Krisen.
Martin Sonneborn ist ein Jäger
Sonneborn flegelt sich in den Stuhl. Wieder sind die Augen sanft, die Stimme aufreizend ruhig und klar. Man weiß nie genau, ob die private Person spricht oder die Figur, ob Satire und Realität bei ihm nicht längst eine Wahrheit ergeben: „Es geht mir nicht um direkte Wirkung“, sagt er. „Es geht darum, mit komischen Mitteln einen aufklärerischen Moment zu schaffen. Man kann auch einen Witz machen, den niemand versteht. Wichtig ist nur, dass sich danach einige fragen, was hat er gemeint?“
Man muss sich Martin Sonneborn wie einen Jäger vorstellen. Er stromert durch das Dickicht der Brüsseler Politik, fährt viel Fahrstuhl, sitzt herum in Cafés und sucht nach einem schönen Politiker-Exemplar, das er vorführen kann. Solche Symbolpolitik mag er. Auch in Brüssel jagt Sonneborn diesem großen Augenblick der Aufklärung hinterher. Er sehnt sich danach. Aber vielleicht ist Brüssel einfach das falsche Jagdrevier. Vielleicht sind seine Figur, der GröVaz, der größte Vorsitzende aller Zeiten, wie seine Partei ihn nennt, und seine Methode so wenig auffällig wie die anderen 750 Abgeordneten.
Der Alltag des EU-Planeten schluckt Politiker, vermutlich auch ihre Ideale, warum soll es Satire anders ergehen?
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