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Vor drei Wochen wurde die 28-Jährige im Wohnort ihrer Eltern beerdigt.
© Nicolas Armer/dpa

Tod von Sophia Lösche: Wie Andreas Lösche um das Andenken seiner Schwester kämpft

Rechtsextreme instrumentalisieren den Tod von Sophia Lösche. Ihr Bruder will das verhindern - jetzt auch juristisch.

Ein Internetportal, das von Rechtsextremen betrieben wird, verkauft Aufkleber mit dem Namen seiner Schwester drauf. Messingfarben und quadratisch sind sie, sehen aus wie die Oberflächen der Stolpersteine, mit denen Holocaustopfern gedacht wird.

Der Händler schreibt auf seiner Seite, bei Sophia L. handle es sich um ein weiteres „Opfer des durch die Blutkanzlerin Merkel initiierten Vergewaltigungs-Dschihads“. Mit dem Aufkleber könne man ihrer würdig erinnern. Zuhause in Oberhaid, einem Vorort von Bamberg, sitzt Andreas Lösche am Tisch seines Wohnzimmers und sagt: „Es ist sehr widerlich.“

Drei Monate sind vergangen, seit seine Schwester Sophia, 28, beim Trampen verschwand. Sie wollte donnerstagabends von Leipzig, wo sie studierte, zu ihren Eltern in die Oberpfalz, kam aber nicht an. Der Fall war tagelang in den Nachrichten, weil Angehörige und Freunde eine öffentliche Suche starteten. Am Ende fand man Sophias Leiche im Graben neben einer spanischen Landstraße, ein marokkanischer Lkw-Fahrer sitzt in Untersuchungshaft. Ob es sich auch um ein Sexualverbrechen handelt, ist unklar.

Andreas Lösche versucht seitdem zwei Dinge, die sich kaum miteinander vereinbaren lassen: einerseits zur Ruhe kommen und trauern, andererseits verhindern, dass seine tote Schwester von Rechten instrumentalisiert wird. „Diese Menschen stehen gegen alles, wofür meine Schwester stand“, sagt er. „Ich will nicht zulassen, dass sie Teil ihrer Erzählung wird.“ Sophia könne sich ja nicht wehren. Also übernehme er das.

Andreas Lösche ist 22 Jahre älter als Sophia, doch sie hatten immer engen Kontakt. Er sagt, seine Schwester sei warmherzig gewesen, sozial eingestellt, umtriebig und aufrichtig. „Sie hatte diesen Glauben an das Gute in den Menschen, und sie konnte andere begeistern, auch so zu denken.“ Über weite Teile des Gesprächs hat er feuchte Augen, aber Andreas Lösche sagt, er wolle auf keinen Fall eine „gefühlige Homestory“ machen. Überhaupt sei er bis jetzt kaum zum Trauern gekommen, er müsse ja funktionieren.

Die ersten Monate nach Sophias Tod seien besonders anstrengend gewesen, da sei er nachts um halb zwei ins Bett gefallen, morgens um sieben gleich wieder wach gewesen – und hochkonzentriert. Vor drei Wochen ist seine Schwester beigesetzt worden. Aber das Loch, in das Angehörige nach einer Beerdigung fallen, kennt er nicht. Andreas Lösche hat eine Aufgabe.

Wenn er über die Rechten spricht, benutzt er Worte wie „abstoßend“ und „pervers“. Gleichzeitig wirkt er sehr kontrolliert. Er sagt, er werde diesen Menschen nicht die Deutungshoheit über den Tod seiner Schwester überlassen. Er werde verhindern, dass Sophias Schicksal als Beleg dafür genommen wird, dass Fremde in Deutschland nichts zu suchen haben. Aber kann er das?

Flut von Hassmails

Sophia Lösche war Feministin, früher bei den Jusos aktiv, engagierte sich gegen Rassismus und unterstützte Geflüchtete. Ihr Bruder wusste, wem ihr Tod in die Hände spielen würde. „Marokkanischer Fahrer als Täter, junge deutsche Flüchtlingshelferin als Opfer, gibt es eine schönere Kombination für die Rechten?“ Andreas Lösche teilt die Ideale seiner Schwester, er selber ist in der Lokalpolitik bei den Grünen aktiv.

Der Kampf um die Deutungshoheit begann schon, als sich Sophias Angehörige kurz nach ihrem Verschwinden an die Öffentlichkeit wandten und um Hilfe bei der Suche baten. In ihrem Aufruf in den sozialen Netzwerken erklärten sie, die Vermisste sei an der Raststätte Leipzig-Schkeuditz in einen blauen Lkw mit marokkanischem Kennzeichen gestiegen.

Die Information zum Kennzeichen gäben sie preis, weil es für die Suche entscheidend sein könnte. Sie warnten davor, dies als Anlass für rechte Hetze zu nehmen. In fetten Lettern schrieben sie: „Wir distanzieren uns klar von rassistischen Spekulationen und verurteilen eine Vereinnahmung seitens rechter Gruppierungen.“

Sophias Bruder Andreas Lösche (links) und ihr Ex-Freund Lukas Hohendorf.
Sophias Bruder Andreas Lösche (links) und ihr Ex-Freund Lukas Hohendorf.
© Sebastian Leber

Was folgte, war eine Flut von Hassmails, Schmähungen und Drohungen. Andreas Lösche hat einige auf seinem Computer gespeichert. Sophia verdiene den Tod, steht dort etwa, sie sei ein „drogenverseuchtes Vieh“, das sich mit „Negern“ eingelassen habe. Ihre ganze Familie gehöre ausradiert. Manche behaupten, Sophia sei gar nicht getrampt, sondern eine professionelle Schleuserin gewesen.

Lösche sagt, Hass und Hetze hätten noch einmal deutlich zugenommen, als später die Leiche gefunden wurde.

Gleichzeitig behaupten Mitglieder von Pegida und AfD, um Sophia Lösche zu trauern. Beim rechtsextremen Aufmarsch Anfang September in Chemnitz, von der AfD als „Schweigemarsch“ angemeldet, trugen sie vorneweg ein schwarzumrahmtes Plakat mit ihrem Konterfei. Es war das Bild, das die Polizei als Fahndungsfoto benutzt hatte.

Andreas Lösche erfuhr davon durch den Anruf eines Bekannten. Er sagt: „Es ist natürlich eine Provokation. Die wussten, dass Sophia Menschen wie sie bekämpft hatte.“ Und dass sich Sophias Tod nicht für die Flüchtlingsdebatte instrumentalisieren lasse. „Der Tatverdächtige ist kein Migrant.“ Er lebte in Marokko, hatte dort Familie, fuhr für eine marokkanische Speditionsfirma auch durch Europa. Andreas Lösche fragte einen Anwalt. Der fand heraus: Von der Polizei veröffentlichte Fotos dürfen nach Fahndungsende nicht mehr von Dritten benutzt werden. Das Urheberrecht liegt dann wieder ausschließlich bei demjenigen, der das Foto gemacht hat. Dies könnte ein Hebel sein, sagte der Anwalt.

Wut auf die Polizei

In Lösches Wohnzimmer sitzt auch Lukas Hohendorf. Sophia und er waren acht Jahre lang ein Paar, sie studierten gemeinsam in Bamberg, bevor Sophia für ihren Master nach Leipzig zog, zuletzt seien sie beste Freunde gewesen, sagt er. Hohendorf erzählt, wie Sophia Lösche ab 2016 mehrfach nach Lesbos reiste, um Flüchtlingen zu helfen.

Der Aufstieg der AfD habe ihr zugesetzt, besonders auch die Tatsache, wie wenig Anstalten Teile der deutschen Bevölkerungsmehrheit machten, sich von Rechts abzugrenzen. „Sie hatte definitiv Angst, dass hier etwas verrutscht.“ Lukas Hohendorf erinnert sich an ein Gespräch im Juni, als die AfD versuchte, im Bundestag eine Schweigeminute für die in Mainz mutmaßlich von einem Asylbewerber getötete Susanna F. durchzusetzen. „Wir redeten darüber, wie absurd und bescheuert diese Vereinnahmungstaktik ist. Wir waren uns einig: Das ist das Allerletzte.“

Er sagt aber auch, der Fall von Sophia sei ein erschreckendes Beispiel dafür, wie wenig dieser Taktik entgegengesetzt werde. „Eigentlich geht es hier um Gewalt gegen Frauen. Sophia ist offensichtlich gestorben, weil sie eine Frau war.“ Man könnte nun also darüber streiten, wie man Gewalt gegen Frauen verhindert. „Stattdessen setzt sich die AfD auf das Thema und schafft es, das in Richtung Flüchtlingsdebatte zu drehen.“

Sophias Eltern haben jetzt Strafanzeige gestellt. Gegen den Veranstalter des Chemnitzer Aufmarsches sowie gegen den Träger des Plakats, dazu gegen zwei prominente Rechte, die das Foto auf Facebook verwendeten: den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke und Pegida-Gründer Lutz Bachmann.

Andreas Lösche sagt, allein die Ankündigung, juristisch gegen diese Provokation vorzugehen, habe einen Effekt gehabt. „Seitdem taucht es nicht mehr bei Aufmärschen auf, wird auch nicht mehr im Netz geteilt.“ Es komme ihm vor, als „hätten die einen Testballon gestartet. Als wollten sie ausloten, wie weit sie gehen können.“

Sophia Lösche wurde 28 Jahre alt.
Sophia Lösche wurde 28 Jahre alt.
© Andreas Lösche

Am Tisch seines Wohnzimmers sagt Lösche, er sei nicht wütend auf die Rechten. Er wisse ja, wie die ticken. Richtig wütend sei er allerdings auf die Polizei – und deren Rolle bei der Suche nach Sophia. „Ich bin heute noch entsetzt, wie inaktiv die war.“ Er sagt: „Hätten wir uns auf die Polizei verlassen, hätten wir meine Schwester vermutlich niemals beerdigen können, der Täter wäre entwischt.“

Es sind harte Vorwürfe. Aber Andreas Lösche kann sie detailliert begründen. Er zeichnet die Tage ab Sophias Verschwinden nach. Der erste schwere Fehler sei gewesen, dass die Polizei Sophia lediglich als Vermisstenfall einstufte und nicht sofort eine Suche einleitete. Dass sie bei einer jungen Frau, die beim Trampen auf dem Weg zu ihren Eltern verloren geht, die während der Fahrt plötzlich nicht mehr erreichbar ist, keinerlei Anzeichen für ein Gewaltverbrechen sah.

Das andere Problem sei, dass sich keine Direktion zuständig fühlte. In der bayrischen Gemeinde Amberg, wo sich Sophias Vater an die Polizei gewandt hat, verweisen sie am Tag nach dem Verschwinden nach Leipzig. Die dortige Dienststelle sagt, sie sei nicht der richtige Ansprechpartner. Beide Reviere verständigen sich darauf, dass man sich über die Frage der Zuständigkeit nicht einig sei. Nun stehe allerdings das Wochenende an. Montagvormittag müsse auf höherer Ebene entschieden werden. Gegenüber dem Tagesspiegel will sich die Polizei Leipzig nicht zu dem Fall äußern. Die Polizei Amberg antwortet auf eine Anfrage überhaupt nicht.

Die Spedition in Marokko ist hilfsbereit

Das Fatale an der Untätigkeit gerade der Leipziger Beamten ist, dass die Angehörigen früh wissen, zu welcher Uhrzeit Sophia Lösche an der Raststätte Schkeuditz in den Lkw des Marokkaners gestiegen ist. Ein anderer Fahrer hatte sie beobachtet und erzählte davon einem der Suchteams, die Freunde und Angehörige selbst zusammengestellt hatten.

Die Leipziger Beamten müssten also nur die Bilder der Überwachungskamera einsehen, um das Nummernschild herauszufinden. Doch die weigern sich. Als Sophias Cousine Freitagabend darum bittet, wird sie des Gebäudes verwiesen. Am Folgetag versucht sie es erneut, diskutiert mehrere Stunden, schließlich kann sie Polizisten überreden, mit ihr zur Raststätte zu fahren – kurz bevor die Überwachungsbilder nach 48 Stunden routinemäßig gelöscht werden könnten. Dank der Aufnahmen kennt die Polizei das Nummernschild und den Namen der marokkanischen Speditionsfirma.

Die Angehörigen sind sich sicher: Ab jetzt wird mit Hochdruck ermittelt, nun läuft die Maschine an. Stattdessen bestehen die Beamten in Bayern und Sachsen auf ihre Nicht-Zuständigkeit, alles weitere müsse Montag geklärt werden. Als Sophias Vater Samstagabend erneut beim LKA Bayern anruft, sagt der Beamte ihm: „Sie können doch auch nicht einen Liegestuhl bei Aldi bestellen und ihn dann von Lidl fordern.“

Rund 100 Freunde, Kommilitonen und Angehörige beteiligten sich an der Suche. Und wollen den Rechten jetzt die Stirn bieten.
Rund 100 Freunde, Kommilitonen und Angehörige beteiligten sich an der Suche. Sie wollen den Rechten die Stirn bieten.
© Jens Oellermann

Am Montag nehmen die Dienststellen untereinander Kontakt auf, beschließen: Leipzig ist zuständig, Amberg teilzuständig. Wobei der Leipziger Ermittler den Angehörigen am Telefon erklärt, Sophia gönne sich „sicher nur einen Urlaub in Marokko“. Außerdem müsse man sich nun zunächst in den Fall einarbeiten.

Es ist dann Sophias beste Freundin, die bei der Spedition in Marokko anruft. Dort ist man hilfsbereit, verständigt den Fahrer. Der meldet sich bei Sophias Freundin und verwickelt sich in Widersprüche. Drei Tage später findet die baskische Polizei Sophias halbverbrannte Leiche am Straßenrand. Obwohl die Beamten vor Ort die Tote direkt identifizieren können, wird die bayrische Polizei Sophias Vater berichten, die Leiche sei derart verkohlt, man könne nicht mal das Geschlecht bestimmen.

Sein Kampf wird noch lange dauern

Vor drei Wochen ist Sophia im Wohnort ihrer Eltern beerdigt worden. Da kamen alle zusammen, die sie erst gesucht hatten und jetzt um ihr Andenken kämpfen. Einen Tag nach der Feier schrieb Andreas Lösche, der Bruder, auf Twitter: „Jetzt kannst Du endlich in Frieden ruhen, meine wundervolle Schwester! Wir werden niemals zulassen, dass AfD und der ganze rechte Mob Dein Andenken durch den Dreck ziehen!“

In seinem Wohnzimmer in Oberhaid sagt Andreas Lösche, die Polizei habe zwar eine Untersuchung möglicher Fahndungspannen angekündigt, aber nach drei Monaten noch kein Ergebnis. „Sollte der Fall meiner Schwester irgendetwas Gutes bewirken, dann vielleicht, dass die Polizei sicherstellt, dass so ein Chaos nicht mehr vorkommt.“ Diesen Wunsch hat er, zusammen mit einer Auflistung aller Vorfälle, an die Innenminister von Bayern und Sachsen geschickt, Mitte August war das. Bis heute hat er nur die Eingangsbestätigungen erhalten.

Dafür hunderte neue Hassmails von Rechten. In einer wird seinen Eltern Krebs gewünscht, damit man dem „langsamen Absterben einer unnützen Sippe“ beiwohnen könne. Ein anderer schreibt, Andreas Lösche gehöre vergewaltigt, auf dass er an schweren Analverletzungen sterbe: „Lösche, du bist als nächster im Visier!“

Er sagt, dieser Kampf werde noch lange andauern. Und dass er seine Schwester nicht im Stich lassen werde. Wenn nächstes Jahr der Prozess gegen den Tatverdächtigen beginnt, will die Familie als Nebenkläger auftreten. Allein schon wegen der Akteneinsicht. 

Sie möchten Antworten finden auf ihre Fragen. Andreas Lösche wird auf unbestimmte Zeit funktionieren müssen, vielleicht ist es auch ein Schutz. Soeben hat er eine neue Ladung Hassbotschaften erhalten. Er hat nicht jedem einzelnen geantwortet, nur eine kurze Botschaft auf Twitter veröffentlicht. Sie lautet: „Wir bleiben standhaft.“

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