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François Fillon könnte im Mai Präsident werden
© Christian Hartmann/ REUTERS

Wahlen in Frankreich: Warum Fillon trotz eines Skandals Präsident werden könnte

François Fillon galt als der ewige Zweite. Im Mai könnte er trotz Korruptionsaffäre Präsident von Frankreich werden. Das Land sehnt sich nach Wandel. Um jeden Preis.

Sie sieht betreten zu Boden. Er hält ihre Hand. Zwei gegen den Rest der Welt. François Fillon steht neben seiner Frau Penelope in der großen Halle an der Porte de la Villette in Paris. Vor ihnen 15 000 Menschen. Sie alle schauen auf ihn. Fillon, 63, Kandidat der Konservativen für die Präsidentschaftswahl, Hoffnungsträger der Franzosen – früher einmal.

Nun steht er in diesem ehemaligen Schlachthof und muss sich rechtfertigen. Über Jahre soll seine Frau mehr als 800 000 Euro als Parlamentsassistentin kassiert haben. Ob sie dafür gearbeitet hat, ist fraglich. Als „infam“ bezeichnete Fillon die Vorwürfe, doch die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter im Penelope-Gate, wie sie den Fall in Frankreich nennen. Ausgerechnet gegen ihn, der sich im Wahlkampf als ehrlicher Kandidat vorgestellt hatte. Doch die Justiz kennt keine Gnade mit ihm: Der Fall sei an Untersuchungsrichter übergeben worden, teilte die Finanzstaatsanwaltschaft am Freitagabend mit.

Es hieß, Fillion sein am Ende

Wochenlang hieß es nach Bekanntwerden des Skandals, Fillon sei am Ende. Doch es ist dieser Moment mit seiner Frau beim Wahlkampfauftakt Ende Januar, in dem zu spüren ist, dass er doch noch der nächste Präsident Frankreichs werden könnte: „Meine Frau ist bemerkenswert und außerordentlich. Ich liebe sie, ich werde sie verteidigen und beschützen“, ruft er in den Saal. Und alle stehen auf, applaudieren, skandieren „Penelope, Penelope“. Sie ist gerührt, weint; und auch ihr Mann scheint durch Tränen zu blinzeln. Die Franzosen vergeben schnell.

Zwar gab es noch vor Kurzem Antikorruptionsdemonstrationen in etlichen Städten. In Paris trafen sich die Demonstranten an der Place de la République mit Plakaten: „Fillon ins Gefängnis. Korruption ist Gift“. Oder: „François, gib uns die Millionen zurück“. Scherzhaft hatten einige auch geschrieben: „Fiktive Jobs für alle“. Und: „Penelope unser Idol“. 7000 Menschen schlossen sich den Protesten in Paris an und viele forderten „vorbildliche Kandidaten“ für die Präsidentschaft. Doch es scheinen immer dieselben zu sein, die sich wehren. Politisch eher links orientierte Franzosen, viele Schüler und Studenten. Ein großer Teil der Franzosen aber sieht apathisch zu.

Am 27. April wird gewählt

Seit seinem Auftritt im Januar steigen die Zustimmungswerte für Fillon wieder. Demnach läge er im ersten Wahlgang am 27. April schon gleichauf mit dem sozialliberalen Emmanuel Macron hinter Marine Le Pen vom rechtspopulistischen Front National. In einer Umfrage für France Télévision kommt er gar auf Platz zwei mit 21 Prozent hinter Le Pen mit 25 Prozent und kurz vor Macron mit 20 Prozent. Im zweiten Wahlgang am 7. Mai würde Fillon danach mit 57 Prozent gegenüber Marine Le Pen mit 43 Prozent gewinnen.

Fillon war im November überraschend Sieger des Vorwahlkampfes der Republikaner geworden. Ausgerechnet Fillon, der ewige Zweite. Von 2007 bis 2012 war er Premierminister unter Sarkozy, der sich über ihn lustig machte, er sei ein „Loser“. Er gilt als bodenständig, katholisch, liberal-konservativ, stammt aus dem ländlichen Département Sarthe. Seit 37 Jahren ist Fillon mit seiner Ehefrau Penelope verheiratet, einer Engländerin, hat fünf Kinder. Politisch setzt er auf Wirtschaftsreformen, damit das Land wieder wettbewerbsfähiger wird. Er wurde deswegen schon mit Margaret Thatcher verglichen. 500 000 Beamtenstellen will er streichen, das Arbeitslosengeld kürzen. Unternehmen sollen weniger Abgaben zahlen, dafür die Franzosen wieder länger – bis 65 – für die Rente arbeiten müssen.

Die Kultur des Wegschauens ist im Land noch tief verwurzelt, es gibt Korruption und Vetternwirtschaft

Im Vorwahlkampf hatte er vor allem überzeugt, weil er sich als rechtschaffen und untadelig neben seinen innerparteilichen Konkurrenten Alain Juppé und Nicolas Sarkozy präsentierte. Juppé ist wegen einer Affäre um illegale Parteienfinanzierung vorbestraft. Und bei Sarkozy laufen so viele Verfahren, dass kaum jemand den Überblick behält. Während sich Juppé und Sarkozy gegenseitig angriffen, hielt Fillon sich zurück. Er wurde völlig unterschätzt.

Nach Hollande wirkt das Land wie betäubt

Dass Fillon nun gute Chancen auf die Präsidentschaft hat, passt schon zur Stimmung im Land. Nach fünf Jahren unter dem Sozialisten François Hollande schien Frankreich wie betäubt. Die Hoffnung auf Veränderung hat viele nun wieder wachgerüttelt. Auch in der Vorwahl der Sozialisten setzte sich nicht der Favorit Manuel Valls durch, sondern der Linke Benoît Hamon. Und Emmanuel Macron ist der erste Kandidat, der mit einer unabhängigen Bewegung gute Chancen auf einen Sieg hat. Sie alle eint, dass sie für eine politische Wende stehen. Viele wollen Schluss machen mit einer politischen Elite, die schon so lange im Geschäft ist – und verzeihen ihren Hoffnungsträgern den ein oder anderen Fehltritt.

So wie Marine Le Pen. Die Rechtspopulistin vom Front National hat gerade Ärger, weil gegen mehrere ihrer Mitarbeiter Ermittlungsverfahren laufen. Es geht um Scheinbeschäftigung, bezahlt mit Geldern des EU-Parlamentes.

Die Affäre hat Le Pen kaum geschadet

Die Affäre hat Le Pen kaum geschadet. Im Gegenteil. Sie begeistert ihre Anhänger unbeirrt mit Reden gegen die Globalisierung, gegen die EU. Am Donnerstag war das in den vornehmen Salons Hoche am Triumphbogen gut zu beobachten: „Es ist Zeit, mit der EU Schluss zu machen. Ob Angela Merkel es will oder nicht, wir werden ein anderes Europa schaffen“, sagt Le Pen siegesgewiss vor Journalisten. Dieses neue Europa werde ein „freies Europa der unabhängigen Nationen“. Plötzlich rennt eine Frau mit nacktem Oberkörper durch den Raum. Darauf steht der Spruch: „Marine, fiktive Feministin“. Eine Anspielung auf die erfundenen Jobs von Front-National-Mitgliedern und Le Pens Selbstdarstellung als emanzipierte Frau. Sicherheitskräfte zerren die Femen-Aktivistin schnell aus dem Raum. Le Pen lächelt nur und redet einfach weiter. Die ersten Reihen im Saal hatte sie für Fans reserviert, die eifrig Beifall klatschen. Fragen sind nach ihrer einstündigen Rede nicht erlaubt. So kann auch niemand die EU-Jobaffäre ansprechen.

Fillon und Le Pen, das sind zwei Präsidentschaftskandidaten, die mit ihren Skandalen in langer Tradition mit französischen Politikern stehen. Gegen Jacques Chirac beispielsweise gab es Vorwürfe wegen Scheinarbeit aus seiner Zeit im Pariser Rathaus und Veruntreuung öffentlicher Gelder. Er wurde 2011 nach seiner Zeit als Staatschef zu zwei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Heute gilt er als einer der beliebtesten Präsidenten. Und François Mitterrand hatte eine geheime Zweitfamilie mit einer unehelichen Tochter, die finanziell vom französischen Staat unterhalten wurde.

Während in Deutschland Politiker schon über eine gefälschte Doktorarbeit stürzten, wie Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, zurücktraten, wenn sie Bonusmeilen aus dem Amt privat nutzten oder mit dem Dienstwagen in den Urlaub fuhren, gibt es in Frankreich ein Sprichwort: „Circulez, il n’y a rien à voir!“ Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Diese Kultur des Wegschauens ist im Land noch tief verwurzelt, Korruption und Vetternwirtschaft sind zu einer Art Volkssport geworden. Laut dem Institut CESE macht Schwarzarbeit in Frankreich 10,8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt aus. Beim Abendessen mit Freunden erzählt man offen von Handwerkern und Haushaltshilfen, die schwarz beschäftigt werden. Wer auf Wohnungssuche ist, korrigiert seinen Gehaltszettel ein wenig nach oben; und manche Optiker von bieten selbst Tricks an: Sind die Gläser billig und die Fassung teuer, schreiben sie etwas mehr für die Gläser auf, damit mehr von der Versicherung ersetzt wird.

Gesetze werden großzügig interpretiert

Gesetze, hat man das Gefühl, sind dazu da, großzügig interpretiert zu werden. Vielleicht auch deshalb, weil es in Frankreich unglaublich viele gibt, und ständig kommen neue Vorschriften dazu.

So dürfte es also auch für François Fillon weitergehen, als wäre nichts gewesen. Nur einer hat sich nach jetzigem Wissensstand nie mehr zuschulden kommen lassen, als seiner Geliebten morgens Croissants mitbringen zu lassen: Noch-Präsident François Hollande. Doch der wohl unspektakulärste Präsident, den Frankreich jemals hatte, wird am 7. Mai abgelöst. Vermutlich von jemandem, der besser in die französische Tradition passt.

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