Ein Stadtteil spaltet Leipzig: Warum die Stimmung in Connewitz gegen die harte Linke kippt
Connewitz stand für den Traum vieler Linker. Doch nach den Gewaltausbrüchen gehen selbst Sympathisanten auf Distanz. Heute soll wieder demonstriert werden.
Bastian Seichelt weiß noch genau, wie Neonazis in Zschopau im Erzgebirge sein Skateboard im Park weggeschmissen haben. Skateboarder galten als linke Zecken. Zwei Freunde hat es schlimmer erwischt, ihnen wurde nachts die Nase gebrochen. Damals, in den frühen 2000ern hört er auch das erste mal von Connewitz. In seiner Antifa-Gruppe gilt der Stadtteil im Süden Leipzigs als leuchtendes Vorbild.
Hier wehren sich Menschen gegen Einschüchterungen, heißt es, und vertreiben Neonazis aus ihrem Viertel. Mit selbstverwalteten Wohnprojekten stemmen sie sich außerdem seit den 90ern gegen Wohnungsleerstand und Verfall. 2009 zieht Seichelt dann zum Philosophiestudium in seinen Lieblingsort. An einen, wie er sagt, magischen Ort.
Der Stadtteil scheint Leipzig zu spalten
Ein Stadtteil, der heute die Öffentlichkeit zu spalten und erregen scheint. Eine Festung gegen Rassismus und blinden Kapitalismus sagen die einen, eine Hochburg von Linksextremisten die anderen. Letztere fühlen sich vor allem durch die Ausschreitungen am vergangenen Wochenende bestärkt. 20 Polizeibeamte wurden hier bei einer Kundgebung durch Steinwürfe verletzt, Straßenbahnen und Häuserfassaden beschädigt.
Als ein Kamerateam der ARD Menschen vor einem Connewitzer Café zu den Ausschreitungen am vergangenen Wochenende befragen will, hatte der Besitzer etwas dagegen: „Bitte keine Kameras! Ihr zeigt immer nur die, die sich über den Kiez beschweren“, sagt er in seinen schwarzen Schlauchschal, den er weit ins Gesicht gezogen hat. Als das Kamerateam frustriert davonzieht, pflichten ihm zwei junge Gäste bei: „Gut, dass du etwas gesagt hast.“
Wagenburg-Mentalität und Lokalpatriotismus
Bastian Seichelt kennt diese Wagenburg-Mentalität und den Connewitzer Lokalpatriotismus. Er mag ihn nicht, Angst zu sprechen hat er nicht. Seinen wirklichen Namen will er trotzdem nicht in der Zeitung sehen. Bunte Tattoos zieren seinen Oberarm, die Ohrläppchen sind gedehnt von den Tunneln früher.
Seit er vor mehr als zehn Jahren hierhin gezogen ist, hat er auch den Wandel von Leipzig mitbekommen. 600.000 Menschen wohnen hier, vor zehn Jahren waren es um die 500.000. Und nun, wo die Stadt in der Außendarstellung glänzt, leerstehende Fabrikgebäude Bauprojekten weichen, scheint Connewitz die Feierlichkeiten zu stören.
Denn mit jedem Einwohner mehr wächst auch die Angst vor Verdrängung. 7,50 Euro kostet der Quadratmeter kalt laut Immowelt, das sind 44 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
Hausverwaltungen schließen "Graffiti-Flatrates" ab
Die, laut Eigenmeinung, aufgebaute Subkultur könnte aus Connewitz verschwinden, so lautet das Schreckensszenario. Einige im Viertel reagieren darauf so: Sie zünden Mülltonnen an, errichten Barrikaden, besprühen Wände. Manche Hausverwaltung hat „Graffiti-Flatrates“ bei Malereibetrieben abgeschlossen, um Hauswände nach Bedarf ausbessern lassen zu können.
„Das ist zum Teil schon eine sehr stumpfe Art von Protest“, sagt Bastian Seichelt „die in meinem Freundeskreis auch generell abgelehnt wird. Erst recht wenn Personen gefährdet werden, ist für mich eine Grenze überschritten.“
Es sind nicht nur die Polizisten, die die Gewalt trifft. Im November 2019 wurde die Angestellte einer Immobilienfirma zu Hause von zwei Vermummten niedergeschlagen, die Täter verließen ihre Wohnung mit den Worten „schöne Grüße aus Connewitz“.
Wer gesehen wird, hat Macht
Bastian Seichelt ist es egal, wie sein Viertel in der Öffentlichkeit dasteht. „Es wird oft ein ganzer Stadtteil abgestraft“, sagt er. „Es ist am Ende aber nur ein Bruchteil, der gewalttätig ist“.
Ein paar Hundert Autonome gegen 600.000. Doch anders als viele Bürger Leipzigs werden sie wahrgenommen. Und wer gesehen wird, hat Macht.
Seichelt sagt, er habe die Sorge, dass sich die Debatte nun wieder mal nur um Connewitzer Anarchisten dreht, nicht aber um die Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum.
In der an Connewitz angrenzenden Südvorstadt wird auf einer 36 Hektar großen Fläche ein Wohnviertel errichtet. Knapp ein Drittel davon sollen als Sozialwohnungen vom Freistaat Sachsen gefördert und für 6,50 Euro vermietet werden. Für die anderen zwei Drittel plant der Investor mit 12,50 Euro kalt pro Quadratmeter. Für das Bauprojekt muss auch der Technoclub „Distillery“ weichen. In Leipzig stehen 14 000 Wohneinheiten leer.
Bars werden angefeindet
Anders als viele andere im Stadtteil, die „Connewitz bleibt dreckig“ skandieren, hat Bastian Seichelt erstmal nichts gegen Modernisierungen im Kiez: „Ich will nicht in einem dreckigen Stadtteil leben müssen, damit die Mieten günstig bleiben“. Auch den „Hipsterhass“ vieler seiner Nachbarn kann er nicht nachvollziehen. Er hat miterlebt, wie Bars angefeindet wurden, wenn sie aus Sicht mancher zu modern wurden und damit angeblich nicht mehr zur Identität des Stadtteils passen.
Connewitz könne gerne diverser werden. Andere Menschen anziehen. Menschen wie Lara Stenkin. Sie ist, wenn man so will, das prototypische Feindbild.
Stenkin, die aus eben diesem Grund ebenfalls nicht unter ihrem richtigen Namen in der Zeitung zitiert werden will, ist vor zwei Jahren aus Halle nach Connewitz gezogen, weil sie hier ein günstiges Atelier gefunden hat. Sie ist Bildhauerin, aufgewachsen in Bayern freut sie sich an den Mieten im Osten, denn sie kann sie bezahlen. Noch. Sie ist Motor und Opfer der Gentrifizierung zugleich.
Werden anders Aussehende auch akzeptiert?
Als Stenkin nach Connewitz zieht, hat sie schon einiges von Connewitz gehört. Sie findet es gemütlich, dass hier spät abends noch viele mit ihren Hunden spazieren gehen. Sie begleitet, sagt sie, zu Beginn aber auch ein Unsicherheitsgefühl.
Das liegt auch daran, dass sie sich anders kleidet als die meisten hier. Statt schwarzen Kapuzenpullis oder Punkerlook trägt sie auch mal eine Cordhose mit Schlag und Trachtenweste. „Ich habe schnell gemerkt, dass es diesen Kleidungscode gibt mit Nieten, Tattoos, schwarzen Hoodies und Cappies. Ich habe mich gefragt: Werden anders Aussehende auch akzeptiert?“
Heute sei ihr das egal, sagt sie. Stenkin kritisiert noch deutlicher als Bastian Seichelt die Verhaltensweisen im Kiez. Sie hat es gehasst, wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam und sie in ihrer Straße wieder den Gestank brennenden Plastiks in den Mülltonnen einatmen musste. Oder eine Baustelle vor ihrer Haustür länger da ist, weil mit der Zerstörung von Baukränen und Baggern die Arbeit verzögert wird.
Die Wortwahl ist martialisch
Überhaupt lehnt Stenkin die martialische Wortwahl vieler Connewitzer ab: „Es ist öfter mal die Rede von Bullen jagen oder hetzen“. Sie sendet ein Foto, das sie von einer besprühten Hauswand eines Neubaus in Connewitz gemacht hat. Mit schwarzer Schrift steht da: „Hipster:innen“, „Mitglied der kapitalistisch sozialisierenden Gesellschaft“, seien „einfach zu ficken“.
Der Streit um Connewitz schwelt seit vielen Jahren. Und die harte Linke Szene genießt für ihre Anliegen eine grundsätzliche Sympathie. Doch die Stimmung beginnt zu kippen.
Auch Stenkin unterstützt die politischen Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum. Sie will nur nicht mit Gewalttätern zusammen demonstrieren.
Dass einige im Viertel auf gewaltsamen Rachestreifzug gehen, daran geben einige CDU-Politiker auch indirekt der Linken-Abgeordneten Juliane Nagel eine Mitschuld, die ihren Wahlkreis in Connewitz hat. Politikerinnen und Politiker der Linken würden die Gewaltexzesse immer wieder rechtfertigen, kritisierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer.
Ein Bengalo landete auf dem Balkon
Juliane Nagel hat ihr Büro in der Nähe vom Connewitzer Kreuz. „Linxx.net“ ist gleichzeitig ein Treff für politische Aktivisten im Stadtteil, regelmäßig finden hier Lesungen und Diskussionen statt. Als ihr Büro am vergangenen Wochenende 20-jähriges Jubiläum feiert, fliegen wenige hundert Meter weiter wieder Steine, ein Bengalo landet auf dem Balkon eines Neubaus.
Juliane Nagel ging daraufhin auf Distanz zu den Krawallmachern, sagte gegenüber dem MDR aber auch: „Ich finde es wichtig, auch zu fragen, woher die Gewalt kommt.“ Und die Gründe sehe sie in der Wohnungspolitik und Gängelung durch die Polizei. Fast täglich kreist ein Hubschrauber über dem Stadtteil.
Bestätigt sehen sich die Anhänger dieser Ansicht auch durch Vorfälle wie am vergangenen Sonntag: Der offizielle Account der Polizei Sachsen teilte den Tweet eines Nutzers, der Hausbesetzter als „linkes Pack“ bezeichnete. Die Polizei löschte den Beitrag wenig später wieder und sprach von „einem Versehen“. Auch die Polizei weiß um das schwierige Verhältnis zu Connewitz und den Linken der Stadt, setzt daher laut Direktion Leipzig für die kommende Demonstration am Samstag auf Deeskalation.
800 Teilnehmer sind angemeldet
Unter dem Motto „Storm the fortress, break all borders“ sollte hier der für dieses Wochenende geplante EU-China-Gipfel begleitet werden. Der wurde nun wegen Corona abgesagt, die Proteste wird es wohl trotzdem geben. 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden dafür angemeldet. Laut Demo-Aufruf werde sich für eine befreite Gesellschaft ausgesprochen: „autonom, militant, antiautoritär“.
Auf Twitter schreiben die Organisatoren: „Ob und wie der Demotag endet, ist abhängig von der Polizei Sachsen.“
Und wer fragt den Rest von Leipzig?
Der Zug führt durch die Innenstadt
Die Polizei trat am Freitag vor die Presse, um über ihre Einsatzstrategie zu sprechen. Sie wolle keine Eskalation, erklärte Polizeipräsident Torsten Schultze.
Die Beamten würden sich deshalb zunächst im Hintergrund halten. Wenn aber wieder Steine flögen oder Pyrotechnik gezündet werde wie vergangenes Wochenende, könne die Versammlung innerhalb kurzer Zeit aufgelöst werden.
Im Gegensatz zum vergangenen Woche werde dieses mal auch ein Bereich eingerichtet, in dem Demonstranten auf gefährliche Gegenstände kontrolliert werden können. „Aber mit Augenmaß sollen die Beamten vorgehen“, sagt Polizeidirektor Frank Gurke.
Ob und wie die Demotag endet, kann dem Rest von Leipzig diesmal nicht egal sein. Der Demonstrationszug soll durch die Innenstadt ziehen.
Julian Theilen
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