Besuch im zerstörten Gebiet: Warum der Waldbrand in Brandenburg absehbar war
300 Hektar sind beim Waldbrand im Süden Berlins vernichtet worden. Ein Förster sagt: Das war vorhersehbar.
Asche liegt wie Feenstaub über dem schwarzen Wald. Ein silbergrauer Farbtupfer, unten dunkler als oben, wo die Pfähle gut 20 Meter hoch Richtung Sonne ragen. Im Abstand von zwei Armlängen reiht sich Pfahl an Pfahl, mal auch nur ein Stumpf, alle paar Meter reißen Krater tiefe Löcher in den schwarz schimmernden Boden. Kein Vogelzwitschern stört die Stille. „Einen schönen Katastrophenfilm können Sie hier drehen“, sagt der Förster, er versucht ein Lächeln, aber es gelingt nicht. Katastrophenfilm – das passt zu gut zu dem, was sich hier vor zwei Wochen abgespielt hat.
Ende August kam das Feuer über den Süden Brandenburgs, über Wälder rund um das Städtchen Treuenbrietzen. Zurück blieben 300 Hektar verbrannter Wald. 600 Fußballplätze mit verkohlten Pfählen, wo mal Kiefern in den Himmel wuchsen. Schwarze Stämme, die hier und da silbergrau schimmern, wo der Wind die Asche noch nicht fortgeweht hat. Ganz Deutschland schaute in diesen Tagen auf Treuenbrietzen, auf die evakuierten Ortslagen Tiefenbrunnen, Frohnsdorf und Klausdorf. Auf die Hubschrauber mit ihren riesigen Wasserkörben, die Panzer, die Schneisen in den brennenden Wald schlugen. Auf die Luftaufnahmen mit riesigen schwarzen Inseln im grünen Waldmeer. Es waren verstörende Bilder für eine Öffentlichkeit, die das Feuer nie als Bedrohung empfunden, die Waldbrandgefahr gern in Griechenland verortet hat oder in Portugal. Aber keineswegs 50 Kilometer südwestliche der Berliner Stadtgrenze. Nur der Förster sagt, er sei keineswegs überrascht. „Ich wusste seit Jahren: Wenn hier mal ein Feuer ausbricht, dann gnade uns Gott!“
Der Förster ist mit einem großen Geländewagen nach Frohnsdorf gekommen. Er hat auch einen Namen und einen Dienstgrad, „aber den vergessen Sie bitte“. Seine Vorgesetzten haben es gar nicht gern, wenn er öffentlich über den Wald und das Feuer spricht, „dann habe ich sofort eine Abmahnung auf dem Tisch“ und beim nächsten Mal die Kündigung. Er hat sich zwei Stunden Zeit genommen für eine Fahrt durch den schwarzen Wald. Vom Spielplatz in Frohnsdorf, wo die Feuerwehr ihre Einsatzleitung eingerichtet hatte, bis nach Klausdorf, das den Flammen wie durch ein Wunder entkam.
Am Donnerstagnachmittag vor zwei Wochen brach das Feuer ein paar hundert Meter vor Frohnsdorf aus. Warum, das weiß bis heute niemand so genau. Manche tippen auf Brandstiftung, weil es an mehreren Stellen zugleich brannte. Andere verweisen auf den trockenen Sommer fast ohne Regen, auf die leicht entzündbaren Kiefern. „Da genügt schon ein Funke“, sagt der Förster, „dann brennen die Nadeln, setzen ätherische Öle frei und schon explodieren die Bäume regelrecht.“ Als erste reagierten die Tiere. Dank ihres feinen Gespürs für die Gefahr brachen sich Wildschweine und Rehe rechtzeitig in Sicherheit – lange, bevor die Feuerwehr anrückte. 600 Männer und Frauen kämpften drei Tage lang bis zu einer ersten Entwarnung gegen Flammen, die letzten Glutnester können erst nach einer Woche gelöscht werden. Männer und Frauen aus ganz Brandenburg und Sachsen-Anhalt mühten sich im Wald, auch die Berliner Feuerwehr ist im Einsatz. Am Ende gewannen sie den Kampf gegen die Flammen, einen anderen mussten sie verloren geben. Gut 90 Prozent der betroffenen Bäume sind nicht mehr zu retten.
Natürlicher Waldbrandriegel
Frohnsdorf liegt mitten im Wald an der Bundesstraße 102 und der Bahnstrecke von Treuenbrietzen nach Jüterbog. Vor ein paar Jahren hat die Deutsche Bahn hier bei Rodungsarbeiten eine tiefe Schneise geschlagen, einen scheinbar perfekten Schutz vor Waldbränden. Das Feuer scherte sich nicht darum und fraß sich seinen Weg über das Gleis, die Schneise und den Asphalt hinüber auf die Klausdorfer Seite des Waldes. „Da hätte man durchaus vorbeugen können“, sagt der Förster und zeigt auf die verkohlten Kiefern direkt am Straßenrand. Einen natürlichen Waldbrandriegel hätten sie sich in der Forstverwaltung gewünscht, eine Randbepflanzung mit niedrigen Sträuchern und Laubbäumen, die mehr Wasser in sich tragen als die Kiefern. „Das kostet Geld.“ Er habe die Landesregierung immer wieder darauf hingewiesen, ohne Erfolg. „Das Land hat sich aus der Verantwortung für den Wald zurückgezogen“, sagt der Förster.
Elf Jahre ist es jetzt her, dass die Forstleute in voller Montur und mit aufheulenden Kettensägen gegen geplante Stellenstreichungen protestierten. 2600 Mitarbeiter hatte die Forstverwaltung damals – 1500 sind geblieben. Die Förster haben nicht vergessen, wer früher Agrarminister war, die erste Forstreform mit zu verantworten hat: der heutige Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Der Förster biegt nach links ab in den schwarzen Wald. Auf einen Sandweg, überdeckt von einer zentimeterdicken Aschenschicht. Verkohlte Bäume stehen Spalier, links und rechts und geradeaus bis in eine scheinbare Unendlichkeit. Ausschließlich Kiefern, sie machen gut 70 Prozent des Brandenburger Baumbestandes aus. Die Kiefer wächst vergleichsweise schnell auf dem nährstoffarmen märkischen Sand. Große, kerzengerade Stämme, die später schöne Bretter ergeben und sich gut an Sägewerke verkaufen lassen. Das ist nicht unwichtig in diesem Teil des Waldes, der sich im Besitz von gut 100 Privatpersonen befindet.
Einer von ihnen ist Werner Seehaus. Ein 63 Jahre alter Frührentner, dessen Haar und Bart so silbergrau glänzen wie die Asche an den Kiefern im Wald. Er steht der lokalen Waldgenossenschaft vor, einem Zusammenschluss von rund 80 Waldeigentümern. Zum Gespräch hat er in sein Haus nach Bardenitz geladen, nur ein paar hundert Meter weit weg von Klausdorf.
Als vor zwei Wochen das Feuer ausbrach, war Seehaus auf dem Rückweg vom Notar. Er hatte sich gerade ein neues Stück Wald gekauft. „Das wär’s gewesen“, sagt er, wenn sein neuer Besitz just am Tag des Kaufs in Flammen aufgegangen wäre. Auf dem Küchentisch hat er zwei Karten ausgebreitet. Fast das gesamte Genossenschaftsgebiet hat gebrannt.
Seine beiden Waldstücke liegen an der Brandkante. Seehaus hatte Glück, ganz persönlich. Aber von Glück will er nicht sprechen angesichts der Verluste, die andere erlitten haben. „Die Gemeinschaft hat fast alles verloren“, sagt Seehaus. „182,98 Hektar. Für viele von uns geht es ums wirtschaftliche Überleben.“ Für den kommenden Dienstag ist in Treuenbrietzen eine Versammlung angekündigt, bei der die Waldeigentümer darüber informiert werden sollen, wie es weitergeht. Werner Seehaus sagt: „Bei der Brandbekämpfung sind sie alle hinterher!“ Die Politiker, die sich in der Einsatzzentrale auf dem Frohnsdorfer Spielplatz vor die Kameras drängten. Ministerpräsident, Innenminister, Agrarminister, Landes- und Bundespolitiker. Alle waren sie da, als es brannte. „Aber bei mir hat sich noch keiner gemeldet“, sagt Seehaus.
Am Dienstag berief Ministerpräsident Woidke sein Kabinett ein und versprach 35 neue Stellen für die präventive Waldbrandbekämpfung und Beratung der Waldbesitzer.
Nun muss aufgeforstet werden
Erst einmal muss aufgeforstet werden, binnen 36 Monaten, so verlangt es das Brandenburger Waldgesetz. „Keine Ahnung, wie das funktionieren soll“, sagt der Förster bei seiner Patrouille durch den Wald. „Mit den Bäumen ist auch der Humus verbrannt“, die tote organische Substanz des Bodens. „Wenn wir alle zerstörten Bäume entfernen und der Wind hier durchfegt, dann haben wir einen unvorstellbaren Sandsturm.“ Wie sieht die Alternative aus? „Am sinnvollsten wäre es, einen Großteil der verbrannten Bäume erst mal stehen zu lassen und sie quasi als Schirme für die Aufforstung zu nutzen“, als schattigen Schutz gegen die Temperatur, die hier bei direkter Sonnenstrahlung schon mal auf über 50 Grad steige. Eine seltsame Szenerie: Schwarze Solitäre behüten Tausende von in Baumschulen herangezogenen Setzlingen.
Vor allem wird es Geld kosten. Viel Geld. „Wir hoffen auf Fördermittel“, sagt Seehaus und weiß doch, dass das nicht reichen wird. Der Zuschuss für neue Bäume – 80 Prozent der Kosten können vom Land übernommen werden – gleicht nicht die durch Brand entstandenen Verluste aus. Das Holz ist einfach zu stark verbrannt, als dass es noch verkauft werden könnte. Die Flammen haben den Wert von 100 Jahren Arbeit vernichtet. So lange dauert es, bis eine Kiefer Ertrag bringt. Die erste Generation pflanzt an, die zweite pflegt und erst die dritte kann das Holz verkaufen.
Im Wald macht sich der Förster auf zu einer Verabredung mit einem Kollegen. Lagebesprechung vor einer jungen Kultur von Kiefern, die Schlimmeres verhindert haben. Zwei Hektar mit zwergenhaft anmutenden Bäumchen, kein einziges hat das Inferno überlebt. Genau hier stand der Kollege, als das Feuer aus Frohnsdorf kam. Er zieht sein Handy aus der Tasche und zeigt, was er damals dokumentiert hat. Fotos von einer gelb-rot-orangefarbenen Wand, gut 200 Meter breit und so hoch, dass sie den Bildausschnitt sprengt. „Ich hab’ nur gedacht: Wenn der Wind jetzt die Funken in die Baumkronen trägt, dann ist alles vorbei“, auch für die nahen Häuser von Klausdorf.
Es sind die jungen Bäumchen, die Klausdorf retten. Sie sind zu klein, als dass sie dem Feuer genug Material zur Ausbreitung bieten können. Die Feuerwehrleute erkennen ihre Chance und und gehen zum Gegenangriff über. Ehrenamtliche Kräfte von der Freiwilligen Feuerwehr, die ein paar Euro für ihren Einsatz bekommen. Von der Kultur mit den jungen Bäumchen führt der Sandweg ein Stück nach oben, und gleich hinter der nächsten Biege liegt das erste Haus von Klausdorf, mit weißem Anstrich und rotem Ziegeldach. Der Genossenschaftler Werner Seehaus erzählt noch zwei Wochen danach hörbar bewegt von den entscheidenden Stunden. Von den endlosen Schläuchen, die durch die Gärten des Dorfes gelegt wurden, von den schnell errichteten Barrieren, die die Flammen aufhielten.
Melancholie ergreift den Förster
Werner Seehaus hat kaum geschlafen in den vergangenen Tagen. Am Freitag, als das Feuer offiziell als gelöscht galt, übernahmen die Waldeigentümer die Brandwache. So ist es gesetzlich geregelt. Forstleute haben sie dabei unterstützt. An der neubarocken Kirche in Klausdorf war Wachablösung. Patrouillen fuhren durch den Wald, Ausschau halten, ob irgendwo ein Glutnest neue Gefahr bedeutet.
Zwei Wochen später ist wenig zu spüren von der dramatischen Betriebsamkeit jener Tage. Zur Mittagsstunde döst Klausdorf friedlich in der Sonne. Nach zwei Wochen medialer Belagerung grüßen die Bewohner von Tiefenbrunnen, Klausdorf und Frohnsdorf auf der Straße zwar freundlich, schütteln aber die Köpfe, wenn es um weitere Details aus den Brandnächten geht oder aus den Tagen danach. „Niemand ist gestorben, kein einziges Haus ist beschädigt. Das Leben geht weiter“, sagt ein Mann in Frohnsdorf.
Der Förster wendet seinen Geländewagen hinter der Kirche und fährt zurück in den Wald. Vorbei an riesigen Unterständen, „da hat die NVA früher Krieg gespielt und ihre Autos eingegraben“. Andere Löcher sind mit Bauschutt und Müll gefüllt. „Was glauben Sie, was hier alles an ausrangierten Möbeln entsorgt wird. Mit ein bisschen Zeit und Geduld können Sie sich hier eine neue Wohnungseinrichtung zusammenstellen.“ Vor einem schwarzen Feld kurbelt er das Fenster runter. „Das war alles mal gelb – meine Geheimstelle zum Sammeln von Pfifferlingen.“
Melancholie ergreift den Förster, aber kurz vor dem Abbiegen auf die Bundesstraße findet der Ausflug in den Wald ein versöhnliches Ende. Der Förster tritt auf die Bremse und springt aus dem Auto, er deutet auf ein paar winzige Wipfel, gerade eine Handbreit groß, aber so grün wie sonst nichts im schwarzen Wald. Drei wild ausgesäte Kiefern und eine Eiche, „wenn es jetzt irgendwann mal anfängt zu regnen, dann haben sie es geschafft“.
Schon jetzt ziehen vereinzelt Wildschweine durch den Wald. In ein paar Wochen, wenn eine Grasdecke angewachsen ist, werden auch die ersten Rehe zurückkehren. Mit den Pilzen wird es noch ein Weilchen dauern, der Brand hat das Geflecht am Boden komplett zerstört. Aber im kommenden Sommer kann der Förster auch wieder Pfifferlinge sammeln. Der Wald wird leben, die nächsten 100 Jahre und noch mehr.