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Superstars auf Zeit. Die Spieler der SK-Gaming-Mannschaft: Christoph Seitz, der sich „nRated“ nennt, (2. v. r.) mit (von links) „FORG1VEN“, „Svenskeren“, „fredy122“ und „Fox“
© Promo

Der Alltag von "League of Legends"-Profis: Von Mäusen und Männern

"League of Legends", das größte Online-Spiel der Welt: Die Profis, Gladiatoren unserer Tage, verdienen damit gar nicht schlecht. Weiche Jungs – Idole für die Massen. Warum nur leben sie so ungesund?

Aber selbstverständlich stimmen die Klischees. Wer zu viel am Computer spielt, gerät aus der Form, geht nicht mehr raus, hat viele Facebook-Freunde und wenig echte. Es ist ein junger Mann – oder besser: ein nicht allzu männlicher Junge, die Eltern sind besorgt, vor allem weil sie keine Ahnung haben, was im schlecht gelüfteten Zimmer ihres Sohnes abgeht. Wenn sie reingucken, dann sitzt er vorm Bildschirm, wenn sie auf den Bildschirm gucken, rennen da bunte Monster hin und her, gut kann das alles irgendwie nicht sein.

Christoph Seitz ist einer dieser Jungs. Wegen der Daddelei, fünf, sechs Stunden täglich Minimum, hat er seit der achten Klasse kaum noch Hausaufgaben gemacht, seine Eltern versuchten, die Sache einzudämmen, Kinderschutzsoftware, Internetbegrenzung, nichts, was er nicht aushebeln konnte. Sein Abitur hat er trotzdem irgendwie geschafft, denn er ist ein heller Kopf. Einer, der inzwischen acht bis 14 Stunden täglich am Computer sitzt und Monster jagt. Er ist jetzt 23 und ein bisschen dick und hat, weil er vor wichtigen Spielen nicht gut schläft, ziemlich tiefe Ringe unter seinen Augen. Wichtige Spiele gibt es oft.

Wenn es gut läuft, treiben sie bald etwas Sport

Seine Eltern, sagt er, haben sich inzwischen damit abgefunden. Sie finden, sagt er, was er tut, okay. Denn sie kennen seine Einkünfte, und die sind deutlich höher als die ihren. Es dürften um die hunderttausend Euro sein im Jahr.

Christoph Seitz schubst die Monster beruflich über den Bildschirm. Seit er 19 ist, bekommt er Geld dafür. In der Onlinewelt kennt ihn kaum jemand beim richtigen Namen. Als „nRated“ ist er ein Star, den Hunderttausende bewundern. Über den Sinn des Namens muss man sich keine Gedanken machen, seine Kollegen heißen FORG1VEN, fredy122, Svenskeren und Fox. Auch sie sehen anders aus, als man sich Gladiatoren vorstellt, eher blass, weich und ziemlich jung.

Aber das sind sie nun, die Gladiatoren unserer Tage. Ihre Schwerter sind Computermäuse, ihre Arena ist das Internet, weltweit, auf youtube.com und auf twitch.tv verfolgt das junge Volk die Kämpfe. Es wird immer mehr von diesen Profi-Kämpfern geben, ihre Gehälter und ihr Ansehen werden weiter steigen. Und wenn es gut läuft, professioneller, werden sie sich irgendwann auch besser ernähren und in den Pausen etwas Sport machen, bei dem sie mehr bewegen als ihre Zeigefinger. „Im Augenblick führen die noch so ein Rock-’n’-Roller-Leben. Wir würden sie gern ins Fitness-Studio schicken, aber da machen sie nicht mit.“ Das sagt Alexander Müller, der Chef von SK Gaming, einer neuzeitlichen Gladiatorenschule, die mit Leuten wie nRated Geld verdient.

Es riecht nicht nach Schweiß, sondern nach Popcorn

Die große Bühne: "Unicorns of Love" und "SK Gaming" beim Halbfinale der Europameisterschaft im Adlershofer Studio
Die große Bühne: "Unicorns of Love" und "SK Gaming" beim Halbfinale der Europameisterschaft im Adlershofer Studio
© David Ensikat

Zum Geschäftlichen aber später, jetzt geht’s in die Arena, wenn auch nicht ins Internet, wo live übertragen wird, sondern dahin, wo nRated und seine SK-Gaming-Mannschaft leibhaftig sitzt, gleich neben den Gegnern, die sich Unicorns of Love nennen. Die großen Meisterschaften werden vor echtem Publikum ausgetragen, in Hallen, zuweilen sogar in Stadien. Die Finalspiele der Weltmeisterschaft finden in diesem Jahr in der Berliner O2-World statt. Im Oktober wird das sein.

Für alltäglichere Spiele gibt es ein Fernsehstudio in Berlin-Adlershof. An zwei Tagen in der Woche kommen 350 Zuschauer dort hin und feiern die Meisterkämpfer. Es riecht hier nicht nach Schweiß, sondern nach Popcorn, es ist immer ausverkauft, es brennt die Luft, und wer älter ist als 30, merkt: Da geht was Sonderbares ab, was ziemlich Großes, und ich versteh’ das nicht.

Willkommen bei der LCS EU von League of Legends, der Europameisterschaft des größten Online-Computerspiels der Welt. An diesem zweiten Sonntag im April: Halbfinale, SK Gaming gegen Unicorns of Love. SK gilt als Favorit, die Unicorns als sympathische Außenseiter.

League of Legends wird von mehr als 80 Millionen auf der ganzen Welt gespielt. Die Meisterschaftsspiele verfolgen Zehn- und manchmal Hunderttausende live an ihren Computern. Viele von ihnen verstehen überhaupt nicht, warum ihre Eltern Fußball gucken, dieses simple Rumgeholze mit nur einem Ball.

Kriegslärm und Kommentare

Sinn und Spannung des Fußballspiels kann man jedem Kind in wenigen Minuten erklären. League of Legends versteht nur, wer selbst „LoL zockt“, so nennt man das. Wer das nicht tut, dem wird ganz rammdösig im Kopf.

Die Situation, ein Leckerbissen für Medientheoretiker: Sie erinnert ein wenig an die gute alte TV-Spielshow, nur dass hier die Kandidaten nie zu Wort kommen und es trotzdem furchtbar laut ist. Auf der 20 Meter breiten Bühne sitzen die Spieler, zwei Mannschaften à fünf Kerls auf kunstledernen Chefsesseln mit dem Gesicht zum Publikum. Man sieht kaum was von ihnen, denn vor ihnen befindet sich die Apparatur: ein Tisch mit Monitor darauf, Tastatur und Maus und vor dem Tisch ein noch größerer Monitor. Der Spieler schaut auf seinen Bildschirm, nie daran vorbei, obendrauf befindet sich eine Kamera, die das Antlitz des Spielers auf den Monitor vor seinen Beinen überträgt, damit das Publikum vor Ort etwas mehr von seinem Helden hat. Hat es aber gar nicht, denn keiner der Helden verzieht je seine Miene. Da tut sich überhaupt nichts, selbst wenn sein Monster fürchterlich beballert wird, stirbt, aufersteht und weiterballert. Das Publikum schaut auf den allergrößten Monitor. Ein Riesending, das über der Bühne hängt und exakt das Bild zeigt, das in die Welt hinausgeht, die Live-Übertragung des Computerspiels, kreischbunte Pixelmonster in düsterbunter Pixellandschaft.

Was die Zuschauer zu Hause und im Studio hören, ist nun auch bemerkenswert. Zum einen Kriegslärm, es donnert und kracht im Rhythmus der Spielzüge. Dazu die zwei Kommentatoren, einer fürs aktuelle Geschehen, der andere für Strategie. Sie analysieren, brüllen ohne Punkt und Komma. Was für eine Schlaftablette ist ein Béla Réthy gegen die.

Wie durchgedrehtes Blitzschach

Blick ins Publikum. 350 Zuschauer passen in das Studio in Berlin Adlershof, in dem die Europameisterschaften ausgetragen werden
Blick ins Publikum. 350 Zuschauer passen in das Studio in Berlin Adlershof, in dem die Europameisterschaften ausgetragen werden
© David Ensikat

Es ist ein Kauderwelsch aus Fachausdrücken, Kriegsanalogien und Fantasienamen, „Double Kill“, „Blitzcranc“, „Vel’ Koz“, und das alles ausschließlich auf Englisch. Nationalität spielt keine Rolle. Deutsche Fans jubeln nicht nur für deutsche Mannschaften, Franzosen nicht nur für Franzosen. Die Gladiatoren kommen von überallher, Christoph Seitz etwa, nRated, spielt zusammen mit einem Dänen, einem Schweden, einem Briten und einem Griechen. Europäische Mannschaften nehmen Asiaten unter Vertrag, amerikanische Europäer, alles eine Frage des Geldes. Die reichen Chinesen kaufen sich vor allem Koreaner, denn aus Korea kommen die besten Spieler überhaupt. Die verdienen so gut wie große Fußballer, wenn auch nur für kurze Zeit.

Es geht hier nämlich alles sehr, sehr schnell. Christoph Seitz mit seinen vier Profijahren ist ein alter Hund. Er hofft, noch ein weiteres Jahr dabei zu sein, aber sicher kann er sich nicht sein. Es gibt so viele Jungs, die „LoL zocken“ und sonst nichts, da kommen bessere, schnellere, und dann war es das. Dazu kommt die Sache mit den Patches. So heißen die Spielaktualisierungen, mit denen alle paar Monate die Spielarithmetik leicht verändert wird. Dann sehen Super-Spieler alt aus und zweitklassige kommen hoch. Ein Fan, der treu sein will, hat es hier schwer.

Man kann League of Legends als eine Art durchgedrehtes Blitzschach beschreiben, bei dem jeder Spieler eine Figur (aus 124 möglichen) über das Feld führt. Es gibt unfassbar viele Varianten, es geht um Strategie, Konzentration, Entscheidungen im Sekundentakt, unablässiges Täuschen, Deuten, Weitermachen. Für Emotion bleibt keine Zeit, weshalb es weitaus spannender ist, einem Schachgroßmeister beim Denken ins Gesicht zu schauen, als diesen Knaben beim Daddeln. Aber einerlei, mit Adi Preißler kann man sagen: Entscheidend is’ auf’m Schirm.

Das große Geld mit kleinen Monstern

Was auch wieder nicht stimmt, denn eigentlich, wer hätte das gedacht, geht es um Geld. Selbst die Frage, ob man derlei Tun als Sport bezeichnen darf, ist eine monetäre. Denn der natürliche Feind des Computerspielgeschäfts heißt: Eltern. Wenn man denen sagt, dass ihre Kinder in ihren müffelnden Buden echten Sport treiben, werden sie ihre Feindschaft überdenken. Und Riot Games, der Hersteller von League of Legends, wird noch mehr Champions und Skins verkaufen. Damit nämlich machen sie ihr Geld, und das ist auch wieder so eine Merkwürdigkeit, die man erklären muss.

Das Spiel ist kostenlos – einer der Gründe, warum es so erfolgreich ist. Man lädt es herunter und spielt, solange man will, ohne einen Cent zu zahlen. Man darf zusätzliche Spielfiguren kaufen, Champions genannt, und für die Champions gibt es die Skins, mit denen sehen die Champions ein bisschen monstermäßiger oder putziger aus, je nach Geschmack. Ein paar Euro kostet das, zum Gewinnen braucht man’s nicht, doch alle kaufen’s. Distinktion im Cyberspace, wer hübschere Monster steuern will, der zahlt. Mehr als eine Milliarde Dollar hat Riot Games im letzten Jahr eingenommen.

Obwohl sie so gut wie keine Werbung machen. Stattdessen gibt es die Turniere, dort treten die Kämpfer von SK Gaming gegen die Unicorns of Love an und spielen mit den aktuellsten Champions in den buntesten Skins. Riot Games richtet die Meisterschaften aus und bezahlt den Profis eine Art Grundgehalt. Es ist, als wären beim Fußball Fifa, Adidas, Stadienbetreiber und Fernsehsender ein und dieselbe Firma, die allein mit dem Bedrucken von T-Shirts unanständige Gewinne macht.

Die Unicorns gewinnen

Christoph Seitz, nRated, beim Training
Christoph Seitz, nRated, beim Training
© Björn Kietzmann

Die Spieler verdienen mit Werbung für Computermäuse oder Prozessoren einiges dazu. Deshalb hängen an den Wänden des Trainingslagers von SK-Gaming überall die Poster der Sponsoren. Trainingslager ist ein bisschen hoch gegriffen. Sie haben einen Raum in einem öden Industriegebiet in Nord-Charlottenburg. Die Fenster sind abgeklebt, und da hocken sie fünf Tage in der Woche im Schummerlicht – am sechsten ist Meisterschaftsspiel, am siebten frei. Sie fangen gegen eins an zu spielen und hören gegen eins, zwei nach Mitternacht erst wieder auf.

Sie bestellen ihr Essen übers Internet, sie wissen, dass es seltener Burger sein sollten, sie besprechen in den Pausen ihre Strategie, und Christoph Seitz, der alte Hase, geht hin und wieder vor die Tür, um eine zu rauchen. Er weiß, dass das alles nicht gesund ist, die Nerven, der Rücken, die Ernährung. Aber hey, man tut das ein paar Jahre, verdient ganz gut und kann sich hinterher ein Studium in München leisten.

Er hat sich schon so oft erklären müssen, er klingt wahnsinnig vernünftig, und er kennt auch seine Rolle in der Mannschaft: „Ich bin der Posterboy.“ Er ist ein freundlicher Mensch, der gut erzählen kann. Seine Teamkollegen sind da mehr in der Podolski-Liga unterwegs, wenn auch auf Englisch.

Alexander Müller, der SK-Gaming- Chef, hat die Mannschaft ganz kühl zusammengestellt: „Ich wollte Gewinner und keine Vorzeigeathleten.“ Sonst hätte er sich welche mit mehr Facebook-Fans geholt. Bisher lief’s gut, fast alle Spiele in diesem Jahr haben sie gewonnen. Es heißt, dass die Unicorns gegen SK keine Chance hätten. Sie haben dafür ein besseres Image, weil sie so frisch und risikobereit sind.

Bloß nicht in die Netzwerke gucken!

Das Halbfinale in Adlershof dauert ewig, fünf Spiele, jedes so lang wie eine Fußballhalbzeit. Die Halle bebt, 1 : 0 für die Unicorns – 1 : 1 – 2 : 1 – 2 : 2 – 3 : 2. Am Jubel der Fans kann es nicht liegen, dass schließlich, ganz knapp die Einhörner gewinnen, denn der Lärm dringt nicht durch die dicken Kopfhörer der Spieler.

Nach Spielende endlich eine Regung auf der Bühne: Die Sieger reißen ihre Headsets runter, jubeln, wenn auch nicht so wild wie Fußballer, und laufen dann, so sehen es die Regeln vor, am Publikum vorbei, das zur „Do-not-cross-line“ vorgestürmt ist und die Hände nach vorn streckt. Profis klatschen Amateure ab, und unter den Amateuren sind sogar ein paar Mädchen.

nRated, fredy122 und die anderen Verlierer der Partie starren müde auf die Bildschirme. Dann packen sie ihre Tastaturen, Mäuse und Mauspads zusammen und verlassen hintenrum die Bühne. Vier Stunden totale Anspannung, ganz umsonst, was für ein Scheiß. Sie wissen, dass sie nicht gut gespielt haben, und sie wissen, dass das Schlimmste noch kommt: die Kommentare auf Reddit, Twitter und so weiter. Das ist auch so ein Ding, an dem sie bei SK Gaming arbeiten wollen, neben der Sache mit der Fitness. Die Spieler sollen zwar öfter freundliche Dinge in die Netzwerke reinschreiben, aber sie sollen sich bitte nicht die Dinge durchlesen, die dort auf sie einprasseln, wenn sie versagt haben. Fans in der Onlinewelt sind erbarmungslos, die League-of-Legends-Gemeinde gilt als besonders heftig.

Das Europa-Finale findet in Madrid statt und im Internet ja sowieso. Christoph Seitz und sein SK-Team spielen am Sonnabend um den dritten Platz. Bis dahin müssen sie trainieren, ein Spiel nach dem anderen, und wenn sie nicht mehr können, noch ein paar weitere. Wär’ schon toll, wenn dann die Eltern mal zur Tür reinkämen und sagten: Jetzt ist aber wirklich Schluss.

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