Eurofighter: Von der Wunderwaffe zum Auslaufmodell
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen räumt auf in ihrem Haus: Die 15 großen Rüstungsprojekte kommen auf den Prüfstand. Zu den Problemfällen zählt auch das Kampfflugzeug Eurofighter. Ein Besuch auf dem Stützpunkt der Jetpiloten in Neuburg.
Ein Glaskasten, umgeben von Finsternis, einer schwarzen Wand aus Himmel und Erde, nur in der Ferne blinken ein paar Positionslichter. Drinnen, in dem gläsernen Tower, eine Front von Bildschirmen, ihr Schein spiegelt sich in dicken Panoramascheiben. Das Radio spielt leise einen Popsong, Bayern 3. Der diensthabende Fluglotse bindet sich auf seinem Drehstuhl die Turnschuhe und blickt auf die Uhr: kurz nach Mitternacht.
Drüben in der Personalbaracke ist die Nachtschicht bei gedimmtem Licht auf einer Couch erschlafft. Vier Männer, die in ihren Jogginghosen und T-Shirts nicht wie die hochspezialisierten Kampfjetpiloten aussehen, die sie sind. Schon gar nicht, als hätten sie heute Abend noch etwas vor.
Die Zukunft der Männer im Fliegerhorst ist ungewisser geworden, seitdem Ursula von Leyen (CDU) im Verteidigungsministerium das Sagen hat. Noch werden die Männer der Luftwaffe für den Einsatz am Himmel gebraucht. Aber keiner weiß, wie lange ihr Arbeitsgerät vom Typ „Eurofighter Typhoon“ bei der Bundeswehr noch zum Einsatz kommt.
Beträchtliche Mehrkosten, Verzögerungen, technische Probleme – die Verteidigungsministerin hat am vergangenen Donnerstag angekündigt, die 15 großen Rüstungsprojekte ihres Hauses auf den Prüfstand zu stellen und von einer externen Unternehmensberatung durchleuchten zu lassen. Der Eurofighter gilt als einer der großen Problemfälle. Zwei der für die Rüstung zuständigen Spitzenbeamten mussten bereits gehen. Der Eurofighter, ein Auslaufmodell?
Die Piloten schätzen die umfangreiche Technik an Bord
Der Stützpunkt in Neuburg an der Donau ist ein dunkler und trister Ort. Im Hangar inspizieren Ingenieure in grau-grünen Overalls die Eurofighter des „Taktischen Luftwaffengeschwaders 74“. Im schattenlosen Neonlicht der Werkshalle wirkt der knapp 16 Meter lange, etwa fünf Meter hohe Eurofighter mit der leicht geneigten spitzen Nase und den charakteristischen Entenflügeln wie ein überdimensioniertes Insekt. In dessen Kanzel Platz zu nehmen bedeutet, die Beine über mehrere Dutzend Schalthebel, Druckknöpfe sowie den Steuerknüppel hinwegzubugsieren. Drei quadratische Bildschirme liefern dem Piloten nicht nur Informationen über Position, Flughöhe, Geschwindigkeit, Treibstoff und das vorhandene Waffenarsenal, sondern auch Daten über feindliche Flugzeuge und Stellungen – und über alle eigenen Einheiten in der Luft. Als kurz nach der Indienststellung 2004 der damalige Luftwaffenchef von einem Testflug zurückkehrte, war er schwer beeindruckt. Das Flugzeug sei „in Europa konkurrenzlos“, sagte er, eines der besten weltweit. Der Eurofighter, eine Wunderwaffe?
Für Carlos Hartmann ist das Flugzeug zumindest ganz nah dran. Aber der Major ist Pilot, und auf seinesgleichen übt der Eurofighter von jeher eine große Anziehungskraft aus. Seit 1996 fliegt Hartmann für die Bundeswehr und hat schon diverse Kampfflugzeuge gesteuert, unter anderem den langjährigen Jagdbomber Phantom F-4F. „Im Vergleich zum Vorgängermodell ist die Maschine ein Quantensprung“, sagt Hartmann. „Im Eurofighter ist es leichter, den Überblick zu behalten. Man muss sich weniger ums Fliegen kümmern und kann sich mehr aufs Kämpfen konzentrieren.“
Aber Hartmann läuft die Zeit davon. Der 37-Jährige darf noch drei, vier Jahre für die Bundeswehr ins Cockpit steigen, dann ist der Offizier fürs militärische Fliegen zu alt. Und noch hat der so gelobte Jäger nicht gezeigt, wie gut er wirklich ist. Dafür bräuchte es einen richtigen Einsatz. In Libyen flogen britische Einheiten bei der „Operation Ellamy“ zahlreiche Angriffe mit dem Eurofighter, bis der Nato die Munition ausging.
Seit sich die Bundesregierung 1986, also noch in Zeiten des Kalten Krieges, für die Anschaffung des High-Tech-Fliegers namens „Jäger 90“ und damit für eines der größten europäischen Rüstungsprojekte entschied, hat es beinahe jedem Verteidigungsminister Kopfzerbrechen bereitet. Auch Ursula von der Leyen hat diese Anschaffung geerbt, die als militärtechnische und wirtschaftliche Kooperation von Deutschland, England, Spanien und Italien konzipiert wurde. Immer wieder geriet das Milliarden verschlingende Vier-Länder-Projekt in die Schlagzeilen. Ursprünglich bezifferten Industrie und Politik die Kosten für eine Maschine des neuen Typs auf 65 bis 70 Millionen D-Mark. Für diesen Stückpreis sollte die Bundeswehr 180 Eurofighter bekommen. Volker Rühe wollte als CDU-Ressortchef den „Supervogel“ nach dem Mauerfall am liebsten von der Liste streichen. Es reichte dann aber nur zum Zusammenstreichen. Die Ausstiegskosten wären zu hoch, lautete das Argument.
Mittlerweile hat sich der Preis für ein einzelnes Flugzeug inklusive diverser Nachrüstungen mehr als vervierfacht. Er liegt schätzungsweise inzwischen bei mindestens 180 Millionen Euro. Auch der Betrieb ist teuer, eine Flugstunde kostet knapp 80 000 Euro.
Von der Flotte sind derzeit nur etwas mehr als die Hälfte der Maschinen einsatzbereit
Dabei ist vor allem die von den Kampfjetpiloten viel gelobte Technik des Eurofighters zugleich seine größte Bürde. Wo viel Bordelektronik und Spezialhardware verbaut ist, kann eben auch viel kaputtgehen. Mal fiel die Tankanzeige aus, mal waren es die Triebwerke, die plötzlich streikten, oder die Bordkanone, die keinen Schuss mehr abfeuerte. Wenige Male stürzten Maschinen auch ab.
Derzeit besitzt die Bundeswehr 103 Eurofighter, von der Flotte sind derzeit allerdings nur 73 Maschinen einsatzbereit. Im Oktober 2013 mussten wieder einmal sämtliche verfügbaren deutschen Eurofighter am Boden bleiben. Bei einer Routineinspektion waren im Schleudersitz einer Maschine Staubschutzkappen entdeckt worden, die den Auslösemechanismus des Sitzes blockierten. Luftwaffeninspekteur Karl Müllner zog daraufhin alle 73 Jets vorübergehend aus dem Verkehr und ordnete eine Überprüfung an.
Knapp 30 Maschinen stehen Deutschlands Luftwaffe noch aus anderen Gründen nicht zur Verfügung: Sie werden beim Hersteller EADS nachgerüstet, für die Ausbildung von Technikern benötigt oder durchlaufen gerade die Zulassung. Dass dadurch Flugzeuge jahrelang nicht einsatzfähig sind, wie der „Spiegel“ vor einigen Wochen berichtete, will bei der Luftwaffe allerdings niemand bestätigen. Der Eurofighter gehöre trotz aller Probleme „zur Speerspitze derzeitiger Kampfflugzeuge“, beschwichtigt Luftwaffeninspekteur Müllner.
Bloß: Was nutzt die schärfste Speerspitze, wenn das Gerät nicht fliegt?
Vier Nationen arbeiten beim Großprojekt Eurofighter zusammen
Auf dem Eurofighter-Stützpunkt in Neuburg dokumentieren sie den Mangel bis zum kleinsten Schräubchen. Auf einer großflächigen Tafel in der Logistikabteilung ist festgehalten, welche der hier stationierten 28 Kampfflugzeuge am Boden bleiben müssen – weil Ersatzteile fehlen. Dass ihre Beschaffung Wochen oder Monate dauern kann, führt direkt hinein ins Dilemma europäischer Kooperationen. Denn Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien achten darauf, jeweils ihre heimischen Industrien zu fördern, die vier Nationen teilen sich sowohl Entwicklung als auch Produktion und Wartung. „Der linke Flügel am Eurofighter kommt aus Italien, der rechte aus Spanien“, sagt Standort-Chef Kommodore Frank Gräfe. „Der Rumpf kommt aus Deutschland und das Cockpit produzieren die Briten.“ Weil jede Nation darüber hinaus unterschiedliche Ansprüche stellt, sind Eurofighter weltweit mit unterschiedlicher Ausrüstung unterwegs. Schon oft wurde der „Sturzflug“ des Eurofighters beschworen. Zumal Exportaufträge ausgeblieben sind. Deals mit Indien oder Brasilien scheiterten. Bis 2018 soll die Produktion gesichert sein.
Fliegen und Kämpfen - der Reiz des Eurofighters
Oberleutnant Stefan Auer steht noch ganz am Anfang seiner Karriere. Schlanke Statur, raspelkurzer Bürstenschnitt, glänzender Chronograf am Handgelenk. Auer ist einer von etwa tausend Soldaten und 200 Zivilisten, die auf dem Fliegerhorst nahe Ingolstadt ihren Dienst tun. Der 29-Jährige ist einer derjenigen, die den Eurofighter sehr vermissen würden.
Als Auer seine Maschine neben der seines Fluglehrers zur Startbahn rollt und kurz darauf beschleunigt, bebt die Erde. Ein Fauchen und Dröhnen, dann lösen sich die grauen Jets vom Boden. Später wird Auer genau so fasziniert von seinem Flug berichten wie der Veteran Hartmann. Er wird erzählen, wie leicht sich das Flugzeug steuern lasse, weil man die Flugbahn nicht ständig nachkorrigieren müsse. Seine Grundausbildung als Flieger hat Auer auf der Air Force Base in Sheppard, Texas, abgeschlossen, Ende nächsten Jahres will er „combat ready“ sein. So heißt das, wenn ein Pilot offiziell geeignet ist, in Kämpfe geschickt zu werden. Dafür muss der Flugschüler mindestens 350 Stunden im Eurofighter-Cockpit verbracht haben. Hat er das geschafft, kann Auer unter anderem als Pilot der sogenannten Alarmrotte der Nato eingesetzt werden, die in Neuburg stationiert ist. Ihre Eurofighter-Piloten können innerhalb von 15 Minuten aufsteigen, um unbekannte Flugobjekten im süddeutschen Luftraum zu identifizieren.
Aber nicht jenes „Air Policing“ ist, was Auer an seinem künftigen Beruf reizt. Er hat sich für die Eurofighter entschieden, weil er kämpfen will, Flugzeug gegen Flugzeug. Zu mehr ist der als Jagdflieger konzipierte Eurofighter mit seiner Bordkanone und den Raketen auch noch nicht imstande. Wenn es nach Auers Vorgesetzten geht, sollen die Maschinen in zwei, drei Jahren auch in der Lage sein, Ziele am Boden zu bekämpfen. Später könnten auch noch Aufklärungsfähigkeiten dazukommen. Im Moment fehlt dafür die entsprechende Software, sie soll nach Angaben des EADS-Konzerns 2018 lieferbar sein.
Der Feind am Himmel ist virtuell
Für Auer in 18 000 Metern Höhe ist der Feind in diesem Moment ein Datensatz auf einem Bildschirm im Cockpit – und er selbst. Die Manöver, die der Flugschüler einmal täglich zusammen mit seinem Lehrer am Himmel vollführt, sollen Auers taktisches Verhalten schulen. Er ist der „Wingman“ seines Fluglehrers, muss seinen eigenen Kampfjet auf Kurs halten, ohne den Kontakt zu seinem Kompagnon zu verlieren. Auer darf auf die Gegner schießen, doch sind feindliche Flugzeuge in diesem Scheinkampf so fiktiv wie die von der Software simulierten Raketen und Geschosse der Bordkanone. Beim Training sind die Eurofighter des Neuburger Geschwaders nie bewaffnet.
Ob Auer jemals auf einen echten Gegner schießen wird?
Das ist eine hochpolitische Frage, aber nicht nur. Diese Woche hat Stéphane Beemelmans dem Verteidigungsausschuss gesagt, dass die Luftwaffe die letzte Tranche der Maschinen nicht bekommen wird. Es war, wie man inzwischen ja weiß, seine letzte Bekanntmachung als Staatssekretär. Diese 37 Eurofighter wären das neueste Modell gewesen, „mehrrollenfähig“ als Vielzweckwaffe. Man hätte dafür ältere Maschinen ausmustern müssen, weil sonst die inzwischen festgelegte Obergrenze von 140 Stück überschritten würde. Aber selbst wenn sich irgendjemand in der Welt gefunden hätte, der die älteren Modelle kaufen will – es wäre teurer geworden. Und teurer, das ist etwas, was im Moment gar nicht geht bei der Bundeswehr.
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