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Zielgerichtet. Einige Rocker haben es geschafft – nach Berlin und hinauf auf einen alten russischen Panzer.
© B. Kietzmann

Die "Nachtwölfe" in Berlin: Volles Rohr

Sie kommen. Sie kommen nicht. Oder doch? Dann sind die „Nachtwölfe“ plötzlich in Berlin. Wladimir Putins Rocker. Mit großer Geste, Nelken und Motorenlärm verwandeln sie ein Volksfest in ein Politikum.

Das also ist der Mann, vor dem Deutschland gezittert hat? Alexander, 63, Jeansjacke mit der Aufschrift „Nachtwölfe Moskau“, auf dem Kopf eine Kosakenmütze aus Lammfell, Rufname „Kosake“. Er hat sie nach Deutschland geführt, die „Nachtwölfe“, jenen patriotischen Rockerklub. Nun steht er lächelnd mitten in Berlin-Karlshorst, dort, wo vor 70 Jahren die deutsche Kapitulation unterzeichnet wurde, in Räumen, die heute das Deutsch-Russische Museum beherbergen. Jährlich wird das hier gefeiert, mit Borschtsch und Bratwurst und um 22 Uhr dem traditionellen „Toast auf den Frieden“. Stets ist der Grundton: Versöhnung zwischen Russen und Deutschen. Dieses Mal ist alles anders.

Der Ukraine-Krieg hat die beiden Länder entzweit. Der Feiertag ist politisiert wie nie. Nicht nur die „Nachtwölfe“ sind gekommen, sondern auch die Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel. „Ich will Solidarität mit Russland zeigen. Weil Putin ausgeladen wurde“, sagt sie.

Zehn Mannschaftswagen und viele Polizisten in schusssicheren Westen stehen an diesem Freitagmorgen in Karlshorst. Und gegen 11 Uhr, auf der Bühne singt gerade der Kinderchor aus der Lew-Tolstoi-Musikschule, rollen schließlich jene heran, über die Deutschland seit Wochen spricht. Etwa dreißig Mann sind es, die meisten auf BMW-Motorrädern. Sie tragen dicke, glänzende Lederwesten, darauf der Name ihres Klubs. Viele stammen aus Mazedonien und Bulgarien, mit ihrer braungebrannten Haut, den dunklen Sonnenbrillen und vollen Bärten wirken sie weit rockiger als die übrigen Russen. Oder als der Biker aus dem westukrainischen Lwiw (Lemberg), der lieber nicht fotografiert werden will, weil er zuhause „Repressionen“ fürchtet.

"Rocker helfen Rockern"

Auch ein gutes Dutzend Deutscher in Motorradkluft ist gekommen, keine „Bandidos“ oder „Hells Angels“, aber immerhin Stefan Behrendt vom „Harley-Stammtisch Preußen“, ein echtes Schwergewicht aus Prenzlauer Berg. Was ihn hergeführt hat? „Rocker helfen Rockern“, sagt er und schimpft darüber, wie schwer den „Nachtwölfen“ die Einreise nach Deutschland gemacht wurde. „Wenn die Amis mit ihren Panzern durch Polen rollen, ist es okay. Aber dass ein paar Russen mit ihren Motorrädern nach Berlin fahren wollen, um an ihre Großväter zu erinnern – plötzlich großes Politikum.“ Ein sächsischer Rocker hat die Gruppe in der vergangenen Nacht bei sich schlafen lassen. „Ganz zufällig waren in unserer Gegend alle Hotels belegt, als wir fragten“, sagt er.

Alexander ist zusammen mit drei weiteren Rockern am Mittwoch in Hamburg gelandet, „mit Hemd und Krawatte“, sagt er. Die Rockerkluft legten er und die anderen erst später an, die Motorräder liehen sie von Freunden.

Seine Botschaft wiederholt Alexander an diesem Tag dutzendfach: Vor dem Denkmal für die Sowjetsoldaten, wo die Biker Nelken niederlegen, vor den deutschen Kameras und den russischen. „Wir sind hier, um unserer Großväter zu gedenken, die die Welt vom Faschismus befreit haben“, sagt Alexander. „Wir verstehen die deutsche Regierung nicht, die uns immer wieder behindert hat. Gleichzeitig wollen wir unseren deutschen Freunden Danke sagen. Wir lieben Deutschland, wir lieben die Deutschen.“ Hier das Volk, dort die Regierung, diesen Keil versucht die russische Propaganda seit Beginn der Ukraine-Krise in die Gesellschaften des Westens zu treiben.

Patriotismus, Orthodoxie, Großmachtnostalgie

Zielgerichtet. Einige Rocker haben es geschafft – nach Berlin und hinauf auf einen alten russischen Panzer.
Zielgerichtet. Einige Rocker haben es geschafft – nach Berlin und hinauf auf einen alten russischen Panzer.
© B. Kietzmann

Mit Rockern im westlichen Verständnis hat Alexander – so wie die „Nachtwölfe“ insgesamt – wenig zu tun: Er ist Direktor einer Baufirma in der Nähe von Moskau, er schwärmt vom Präsidenten, er lobt die Zustände in Russland. „Früher war ich gegen Jelzin und Putin. Aber dann haben wir bei Putin gemerkt, dass seine Beziehung zum Land mit unserer übereinstimmt“, sagt Alexander.

Schon immer war Alexander Motorradfahrer, vor etwa sechs Jahren wurde er in den Klub eingeladen. Damals taten sich die „Nachtwölfe“ mit dem Kreml zusammen, vereint in Patriotismus, Orthodoxie und Großmachtnostalgie. 2012 fuhr Wladimir Putin auf der Krim im Konvoi mit den „Nachtwölfen“.

Das russische Fernsehen verfolgt jede Etappe der Reise

Seitdem die Mitglieder des Motorradklubs vor rund zwei Wochen Richtung Deutschland aufbrachen, verfolgte das russische Staatsfernsehen jede ihrer Etappen und sendete Berichte in den Hauptnachrichten. Deren Grundtenor: Während die Regierungen einiger Länder die Tour der Biker aus politischen Gründen sabotieren, unterstützen deren „gewöhnliche Bürger“ die „Nachtwölfe“.

„Ich bin selber Biker, so wie meine Freunde aus Russland“, wird an der polnisch-weißrussischen Grenze etwa der Pole Robert Drzewic zitiert. „Für mich ist es wichtig, dass zwischen unseren Ländern gute Beziehungen herrschen.“ Dazu sieht der russische Fernsehzuschauer die „Nachtwölfe“ in Prag, Wien und Dachau, wo sie Kränze an den Ehrenmalen der Roten Armee niederlegen.

Auf der anderen Seite die deutschen Medien: Allen voran die „Bild“, die den „Nachtwölfen“ einen eigenen Reporter an die Seite stellte. Von der „Weltkriegstour“ ist die Rede, von „Russen-Rockern“, die durch Deutschland „rollen.“ Auf dass es jedem kalt den Rücken runterlaufe: Die Russen kommen.

"In Putin we trust" - Farce oder Politikum?

Zielgerichtet. Einige Rocker haben es geschafft – nach Berlin und hinauf auf einen alten russischen Panzer.
Zielgerichtet. Einige Rocker haben es geschafft – nach Berlin und hinauf auf einen alten russischen Panzer.
© B. Kietzmann

Mit ein wenig Abstand wirkt das Ganze wie eine politische Farce: Die Annullierung der Visa durch die deutschen Behörden, die dann per Gerichtsbeschluss doch wieder zurückgenommen werden muss; die mehreren Dutzend Polizisten, die 30 Biker an einer Raststätte herauswinken und deren Dokumente kontrollieren.

Worum geht es hier? Um eine Gruppe extrem patriotischer Motorradfahrer oder um eine terroristische Vereinigung?

1989 wurden die „Nachtwölfe“ von Alexander Saldostanow gegründet, heute präsidiert der ehemalige Mediziner über angeblich 5000 Mann, unter dem Namen „Chirurg“ ist er in Russland und nun auch über Russlands Grenzen hinaus bekannt. In den 80er Jahren war er mit einer Deutschen verheiratet und deshalb auch oft in West-Berlin, wo er am Winterfeldtplatz als Türsteher im „Sexton“ gearbeitet hat.

Seit Saldostanow und seine Rocker eine enge Partnerschaft mit dem Kreml verbindet, werden sie reichlich entlohnt: Laut Recherchen des Oppositionsführers Alexej Nawalny bekamen die Biker seit dem Sommer 2013 rund 56 Millionen Rubel (etwa eine Million Euro) vom Kreml, unter anderem für die Produktion „patriotischer Videos“. Die „Nachtwölfe“ tauchten auch auf der Krim und im Donbass auf, um die dortigen „Russen“ im Kampf gegen den Faschismus zu unterstützen. Ob auch einige von ihnen kämpften, ist unklar. Bekannt ist jedoch, dass auch im ukrainischen Luhansk ein Ableger des Klubs existiert, dessen Mitglieder seit vergangenem Herbst gegen die Ukrainer ins Feld ziehen.

"In Putin we Trust" steht auf ihren T-Shirts

In Karlshorst benehmen sich die Rocker gut, jedenfalls zunächst. Sie machen Fotos mit Deutschen, auf deren T-Shirts „In Putin we trust“ zu lesen ist, oder kraxeln auf den T34-Panzern und Haubitzen herum, die aufgereiht hinter dem Museum stehen. Die Vitrinen in dessen Innerem schreiten sie schnell ab. Lieber noch ein paar Bilder auf dem Panzer. „Lassen wir sie spielen“, sagt mit einem Lächeln Museumsdirektor Jörg Morré.

Dann aber legen sie den Hausherren doch noch rein. Ein Solist des Moskauer Alexandrow-Ensembles singt in russischer Paradeuniform gerade mit Pathos den Klassiker „Tag des Sieges“, da entern die dreißig Motorradfahrer die Bühne, rollen die Flagge der „Nachtwölfe“ aus und singen die letzten Takte mit. Dann ergreift der „Kosake“ das Mikrofon und erzählt wieder vom bösen deutschen Staat und den freundlichen Bürgern. Weil er nur Russisch spricht, verstehen ihn auch nur die Russen im Publikum und klatschen. Das russische Fernsehen hat seine Bilder, Museumsdirektor Morré rettet, was zu retten ist. „Der letzte Teil der Veranstaltung gehörte nicht zur Vereinbarung“, sagt er sichtlich genervt, als er das Mikrofon zurückerobert hat.

Minuten später röhrt der Kosake auf einem silbernen Motorrad davon. Am Samstag, wenn ganz Russland den „Tag des Sieges“ feiert, wollen die „Nachtwölfe“ im Treptower Park einen Kranz niederlegen. Am Sonntag ist der Spuk dann vorbei. Denn Alexander, der Kosake, fliegt nach Moskau zurück. „Am Montag muss ich wieder zur Arbeit.“

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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