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Kampf gegen das Feuer in Australien nahe Nowra
© AFP/Saeed Khan
Update

Buschbrände in Australien außer Kontrolle: Urlauber sollen Brandgebiete im Südosten verlassen

Hunderte Städte in Australien sind von Land nicht mehr zu erreichen. Touristen müssen raus aus Sperrzonen. Die Brände verursachen eigene Wetterphänomene.

Es ist Dienstagmorgen, als ein kleiner Junge der Apokalypse entkommt. Finn Marion, 11 Jahre alt, hat seine Atemmaske über dem Gesicht, sein langes blondes Haar schimmert rot im Schein der Flammen. Sonst ist es düster. Der Rauch hat den Himmel verdunkelt. Besonnen, so beschreibt es seine Mutter später, steuert er mit dem Außenbordmotor das Aluminiumboot auf den See hinaus. Weg von der Küste der Stadt Mallacoota im Bundesstaat Victora, Australien. Seiner Heimat, die gerade abbrennt, vom Feuer umschlossen, das Wasser ist die einzige Rettung.

Die unwirkliche Szene hat Finns Mutter Alison Marion mit der Handykamera festgehalten. Sie ist mit ihrem anderen Sohn Kaleb und dem Hund der Familie ebenfalls an Bord. Seit sie das Foto auf Facebook gepostet hat, geht es um die Welt, war auf dem Titel zahlreicher australischer Zeitungen. „Ich wollte damit unsere Geschichte für unsere Familie festhalten“, sagt Marion später. Doch es ist nicht nur ihre Geschichte. Das ganze Land leidet unter den Buschfeuern, die derzeit wüten, wie nie zuvor. Und was in Australien passiert, fürchten Wissenschaftler, könnte eine Vorahnung dessen sein, was der Welt bevorsteht.

Finn Marion, elf Jahre alt, steuert das Boot auf den See hinaus. Mit an Bord: Sein Bruder Kaleb und Mutter Alison.
Finn Marion, elf Jahre alt, steuert das Boot auf den See hinaus. Mit an Bord: Sein Bruder Kaleb und Mutter Alison.
© Alison Marion

Während in Sydney das traditionell pompöse Silvester-Feuerwerk abgebrannt wurde, verließen Tausende von Einwohnern und Urlaubern entlang der Ostküste ihre Städte und harrten an den Stränden aus – abgeschnitten von der Außenwelt. Die ersten Feuer waren bereits im Oktober ausgebrochen. Mindestens 17 Menschen sind seitdem gestorben, Zehntausende auf der Flucht. Doch wie viele es wirklich sind, kann zurzeit niemand sagen. Strom- und Internetversorgung sind vielerorts gekappt. Nur langsam rückt die Feuerwehr in die Brandgebiete vor, findet immer mehr zerstörte Ortschaften, mehr Tote.

Wetteramt sagt Temperaturen jenseits der 40 Grad voraus

Touristen sollen die Brandgebiete im Südosten Australiens angesichts einer neuen, für das Wochenende erwarteten Hitzewelle verlassen. Die Feuerwehr des Bundesstaats New South Wales legte am Donnerstag ein Gebiet fest, aus dem Menschen raus sollen, die dort keinen festen Wohnsitz haben. Es erstreckt sich 240 Kilometer vom Urlaubsort Batemans Bay Richtung Süden bis nach Victoria, auch dort sollten sich die Menschen in Sicherheit bringen.

Am Samstag werden vom Wetteramt für die Region Temperaturen jenseits der 40-Grad-Grenze und starker Wind erwartet. Dadurch können die verheerenden Buschbrände noch einmal angefacht werden, die ohnehin hohe Brandgefahr steigt weiter.

Einsatzkräfte sprechen von „Feuerstürmen“, großen Brandherden, die wie Tornados aufbrausen und alles mit sich reißen. Wo die Feuer nicht direkt wüten, ersticken die Städte im Rauch, der weit über das Land zieht. Großstädte wie Sydney und Canberra leiden seit Wochen unter den giftigen Dämpfen. 5,5 Millionen Hektar Land, eine Fläche so groß wie die Niederlande, gingen in Flammen auf.

Mallacoota in Victoria, Australien ist von den Bränden besonders bedroht. Mehr als 4000 Menschen retteten sich an die Strände.
Mallacoota in Victoria, Australien ist von den Bränden besonders bedroht. Mehr als 4000 Menschen retteten sich an die Strände.
© via REUTERS

Australiens Regierung setzt nun das Militär ein, will mit Seelandungsbooten Nahrungsmittel und Wasser zu den Menschen in den Küstenstädten in Victoria und New South Wales bringen. Doch erst am Freitag könnte die Hilfe bei den Menschen auch ankommen.

Unterdessen regnet es in Finn Marions Heimat Asche. Mallacoota ist am schlimmsten von den Feuern betroffen. Allein dort hatten sich mehr als 4000 Menschen am Silvestertag an den Strand gerettet. Die Behörden rechnen damit, dass die Stadt noch über Wochen abgeschnitten bleiben wird. Flugzeuge warfen Versorgungspakete ab. Auf einem Schiff haben Sanitäter eine Art schwimmendes Krankenhaus mit 25 Betten eingerichtet, das Verletzte versorgen kann.

Scott Morrison hat von oben auf sein brennendes Land geschaut. Am Tag vor Weihnachten sitzt der Premierminister an der Ladeluke eines Militärhubschraubers und fliegt über die Blue Mountains westlich von Sydney. Ein Foto davon, das er der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen lässt, zeigt ihn demonstrativ besorgt, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick auf die versehrten Landschaften gerichtet.

Kein Entkommen. In Australien sind Flächen in der Größe der Niederlande abgebrannt. Und der Wetterbericht verheißt nichts Gutes. Fotos: AFP, Reuters (2), Alison Marion
Kein Entkommen. In Australien sind Flächen in der Größe der Niederlande abgebrannt. Und der Wetterbericht verheißt nichts Gutes. Fotos: AFP, Reuters (2), Alison Marion
© via REUTERS

Politisch hängen ihm nun die Worte eines Mädchens vom anderen Ende der Welt nach. „Unser Haus steht in Flammen“ war einer der Sätze, die Greta Thunberg im vergangenen Jahr immer und immer wieder den politisch Verantwortlichen zugerufen hatte. Und: „Ich möchte, dass ihr in Panik geratet.“ Die Panik ist nun da. Trauer und Verzweiflung in der Bevölkerung weichen zunehmend der Wut.

Buschbrände sind in Australien nichts Ungewöhnliches. Doch diesmal ist es anders.

Die Katastrophe hat sich lange angekündigt. Seit 2017 verzeichnen Forscher deutlich weniger Regen in Australien. Das vergangene Frühjahr war das trockenste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Nun erlebte das Land mit 41,9 Grad Celsius Mitte Dezember den heißesten Tag seiner Geschichte.

Die Australier sind es gewohnt, den Busch niederbrennen und wiedererstehen zu sehen. Doch wegen der extremen Trockenheit frisst sich das Feuer nun durch uralte Wälder, die nie zuvor gebrannt haben. Einige Ökosysteme sind dadurch auf unabsehbare Zeit verloren. Australiens Umweltminister warnte kürzlich, 30 Prozent der Koala-Population in New South Wales seien den Feuern zum Opfer gefallen, ihr Lebensraum unwiederbringlich zerstört.

Scott Morrison, Premierminister von Australien, fliegt über die vom Buschfeuer betroffenen Regionen der Blue Mountains.
Scott Morrison, Premierminister von Australien, fliegt über die vom Buschfeuer betroffenen Regionen der Blue Mountains.
© dpa

Einige Forscher sehen sich deswegen in ihren Warnungen bestätigt. Je weiter der Klimawandel voranschreitet, desto häufiger und extremer werden die Hitzeperioden, wird die Vegetation anfälliger für Brände. Und Australien sei wie kein anderes Industrieland von diesen ersten Auswirkungen betroffen, wie die United Nations Association of Australia in ihrem jüngsten Bericht über die Langzeitfolgen des Klimawandels festhält.

Premier Morrison für seine Klimapolitik stark in der Kritik

Für Premierminister Scott Morrison wird das zum Problem. Denn die konservative Regierung Australiens hat es bisher nicht geschafft, den CO2-Ausstoß des Landes signifikant zu verringern. Der Einfluss der Kohle-Lobby speist sich aus der langen Bergbau-Tradition Australiens. Eine neue Energiepolitik scheiterte immer wieder an den wirtschaftlichen Interessen.

Scott Morrison selbst hat einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und den Bränden bisher stets abgestritten. Und so holen ihn dieser Tage auch seine eigenen Worte wieder ein: „Ich möchte, dass die Kinder in Australien optimistisch in die Zukunft sehen. Ich möchte nicht, dass sie grundlos in Ängste verfallen“, sagte er in Richtung der auch in Australien riesigen Fridays-for-Future-Proteste. Ob es ihm lieber sei, wenn die Kinder flüchten und um ihr Leben fürchten müssen, halten ihm die Demonstranten nun entgegen. Für Januar hat der Premier eine Reise nach Indien geplant, wo er versuchen will, ein Handelsabkommen für australische Kohle auf den Weg zu bringen.

Demonstranten in Sydney protestieren gegen Premierminister Scott Morrison und seine Energiepolitik.
Demonstranten in Sydney protestieren gegen Premierminister Scott Morrison und seine Energiepolitik.
© AFP

Viele Australier macht das fassungslos. Die Oberbürgermeisterin von Sydney kritisierte Morrison öffentlich. „Was hier passiert, ist ein Weckruf für unsere Regierungen, künftig auf effiziente Weise zur Reduzierung der weltweiten Emissionen beizutragen“, sagte Clover Moore. Und: „Menschen haben ihr Zuhause verloren, Menschen sind gestorben. Feuerwehrleute sind bei der Verteidigung ihrer Gemeinden umgekommen.“

Einer von ihnen ist der 28-jährige Samuel McPaul. Sein erstes Kind soll im Mai geboren werden. Doch bei einem Einsatz im Bundesstaat Victoria wurde sein zehn Tonnen schweres Löschfahrzeug von einem Feuertornado erfasst. McPaul starb auf der Stelle.

Die Buschbrände erzeugen äußerst seltene Wetterphänomene. Wenn extreme Hitze Ruß und Asche in die Atmosphäre steigen lässt, werden enorme Mengen Wasserdampf mitgerissen. Victorias Katastrophenschutzchef Andrew Crisp formuliert es so: „Die Feuer haben eine Hitzesäule geschaffen, die 14 Kilometer in die Atmosphäre aufgestiegen ist und die dann ihr eigenes Wetter erzeugt.“ Unvorhersehbar. Und tödlich.

Fast ein Drittel des Lebensraums der Koalas in South New Wales wurde durch die Feuer vernichtet.
Fast ein Drittel des Lebensraums der Koalas in South New Wales wurde durch die Feuer vernichtet.
© dpa

McPauls Schicksal bringt die australische Regierung zusätzlich in Erklärungsnot. Denn die meisten der mehr als Zehntausend Feuerwehrleute im Einsatz arbeiten freiwillig, riskieren ihr Leben – ohne Bezahlung. Erst auf den hohen öffentlichen Druck hin, beschloss die Regierung vor wenigen Tagen, ihnen eine Aufwandsentschädigung zu bezahlen: 300 Dollar am Tag.

Am Neujahrstag steht Finn Marion wieder auf der Straße seiner Heimatstadt Mallacoota. Der Wind hat gedreht, die Bewohner können zurückkehren. Vorerst.

„Es war ziemlich beängstigend“, sagt er in die Kamera einer Reporterin des Senders „9News“. Den Aufruhr, den sein Bild im Land ausgelöst hat, nimmt er gelassen. Er habe sich nicht so viele Gedanken darum gemacht. „Es ist nur ein Foto. Das Einzige, was ich wollte, war, dem Brand zu entkommen. Einfach in Sicherheit zu sein.“

Zehntausende freiwillige Feuerwehrleute sind seit Wochen im Einsatz. Erst auf öffentlichen Druck hin sollen sie nun auch Geld bekommen.
Zehntausende freiwillige Feuerwehrleute sind seit Wochen im Einsatz. Erst auf öffentlichen Druck hin sollen sie nun auch Geld bekommen.
© AFP

Sein Haus, die ganze Straße ist vom Feuer verschont geblieben. „Aber viele hier haben ihr Zuhause verloren“, sagt Mutter Alison Marion. „Ich kann den anderen Familien gar nicht genug danken, dass sie uns mitgenommen haben, dass wir zusammen Zuflucht suchen konnten.“

Ihr Albtraum aber ist nicht vorbei. Die Wetterlage soll sich am kommenden Samstag wieder verschlechtern. Noch mehr Hitze. Noch mehr Wind. (Mit Informationen von AFP und dpa)

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