Junge Union vor dem CDU-Parteitag: Sie wollen alles - oder gar nichts
Nach 18 langen Jahren: Die Junge Union erlebt einen Aufbruch, den sie energisch gefordert hat. Wie geht die Generation Merkel damit um?
Sie gelten als Kaderschmiede für den CDU-Nachwuchs. Als Wahlkampfhelfer, die Plakate kleben und an Info-Ständen konservative Positionen rechtfertigen. Sie sind die jungen Schnösel aus gutem Hause, heißt es, mit Oberhemd, Seitenscheitel, geschnürten Lederschuhen, eloquent und traditionsbewusst, die wissen, wie man Karriere macht. Manchmal gebärden sie sich als aufdringliche Jungspunde, die viel zu laut viel zu alte Lieder singen. Mit anderen Worten: ein bisschen uncool, ein bisschen zu selbstsicher. Was ist schon zu halten von Berufseinsteigern, die über Rentenkonzepte nachdenken? Aber dass einer von der Jungen Union (JU) als „Bewegung“ spricht, das passiert dann doch eher selten.
„Ich tue das bewusst“, sagt Marvin Schulz, Kreisvorsitzender der JU Berlin-Reinickendorf, „denn wir bewegen uns auch außerhalb des Parteienspektrums.“ Er hat dabei auch Jugendbewegung im Sinn und den Erneuerungsimpuls, der von einer solchen ausgeht.
Wie der 24-jährige gebürtige Berliner so darüber redet, könnte man meinen, dass das, was er Bewegung nennt, aus den Trümmern der Volksparteien erwächst. Dass es größer ist als die CDU mit ihren zuletzt 27 Prozent. Und irgendwie auch Schluss macht mit der alten Schizophrenie, nach der die JU ihr Heil gleichzeitig in der Nähe und Abgrenzung zur CDU suchen muss.
Schulz steht dabei lässig an einen Billardtisch gelehnt. Einmal im Monat treffen sich die Mitglieder aus dem Norden der Stadt in der JU-Lounge, einem mit tiefen Sofas, Sesseln und einer Behelfsbar eingerichteten Raum am Oraniendamm, der seine ursprüngliche Funktion als Büro nur schwer leugnen kann. Hier würden sie „gemeinsam ins Wochenende starten“, hatte Schulz in einer Mail angekündigt. Einen Kickertisch gibt es auch, doch der ist mit Mänteln beladen. Später werden die Klamotten zur Seite geräumt und es wird gespielt. Aber jetzt nicht. Jetzt ist erstmal Politik dran.
"Sonst könnte ich es ja alleine machen"
Das Dutzend Mitglieder, das sich an diesem Freitag um einen Beamer versammelt und den Livestream von der Regionalkonferenz am anderen Ende der Stadt verfolgt, trinkt Bier und Cola und bedient sich aus Schüsseln voller Chips. Länderspielstimmung ist nicht gerade, während Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn sich dem CDU-Publikum im Neuköllner Estrel-Hotel präsentieren. Aber was sich da als Projektion auf der kahlen Wand abspielt, dass es eine offene Diskussion gibt, ist für die Generation Merkel im Raum von einschneidender Bedeutung.
Für die Junge Union wird erstmals jemand an die Spitze treten, der da nicht sowieso schon immer war. 18 Jahre hielt Merkel den Posten besetzt. Nun plötzlich der Aufbruch, den sich die JU seit langem gewünscht und zuletzt immer energischer eingefordert hat. Wie geht sie jetzt damit um? Wie weit soll die Kurskorrektur gehen? Und welche Rolle spielt sie?
Die Kandidatenfrage ist hier entschieden. Aber dazu später. Einige werden am Abend ohnehin noch nach Mitte aufbrechen, wo der Kreisverband seine Weihnachtsfeier ausrichtet und sich die Gelegenheit bietet, mit denen zu reden, die leibhaftig im Saal waren. Die anderen, darunter Schulz, werden die Möbel beiseite räumen, um Platz für die eigene Weihnachtsfeier am Wochenende zu schaffen.
Junge Union, das wirkt oft wie eine Mischung aus Jugendclub und politischem Salon, Freundeskreis und Interessenvertretung. In ganz Berlin gibt es etwa 2800 Mitglieder, die sich auf zwölf Kreisverbände verteilen. Reinickendorf im Norden gehört zu den aktivsten. Und das hat mit Marvin Schulz zu tun, dem Beamtensohn, der durch seinen Vollbart älter wirkt, als er ist, Verwaltungswirtschaft studiert und mit einer politischen Karriere liebäugelt. „Ich habe versucht, den Team-Gedanken in die Bewegung zu tragen“, sagt er. Was nicht überrascht, wenn man weiß, dass er als Fußballspieler zur JU stieß und gleich noch seine halbe Kickertruppe mitbrachte. Aber so eng gefasst will er das nicht verstanden wissen: „Ich glaube“, sagt er heute, „dass Politik vom Austausch lebt. Sonst könnte ich es ja alleine machen.“
Wie jeder weiß, hat die Kanzlerin vieles alleine gemacht. Sie hat das „Regieren“ genannt. Zum Gesicht der wachsenden Unzufriedenheit ist Paul Ziemiak geworden. Als er 2014 überraschend JU-Vorsitzender wurde, stellte seine Wahl einen Kulturbruch dar. Nicht nur, dass er in einer Kampfabstimmung antrat, was es in den 41 Jahren des Bestehens der Organisation nie gegeben hatte. Er machte auch seine polnische Herkunft zum Thema, dass er in Stettin geboren worden und als Dreijähriger mit seinen Eltern nach Iserlohn ausgewandert war. Am Ende seiner Bewerbungsrede meinte er, dass es egal sei, mit welchen Voraussetzungen jemand in diesem Land beginne, „wenn du hart arbeitest, dann kannst du es schaffen.“ Es war seine Botschaft an Altersgenossen, die mit dem Begriff Migration viel weniger fremdelten, als ihre konservativen Eltern das taten. Es war aber auch eine Kampfansage an einen konservativen Gestus, der Privilegien verteidigt.
Die Widersacher
Bis dahin hatte die JU als Clique von Leuten gegolten, die schon als Schüler mit Aktenkoffern herumliefen und auch sonst statusbewusst auftraten. Trotzdem stand die JU immer links von der CDU. Mit Philipp Mißfelder änderte sich das. Unter seinem Vorsitz rückte sie nach rechts. Mit Ziemiak bewegt sie sich wieder zurück. Es geht jetzt in der JU viel um Digitalisierung, weil sie das Thema ist, bei dem die Jungen punkten können, ohne einen Generationenkonflikt heraufzubeschwören.
Ein Porträt in der „SZ“ über Ziemiak war vor einem Jahr noch mit „Der Anpasser“ überschrieben. Dann wurde er „Merkels junger Widersacher“, weil er der großen Koalition im Sommer vorwarf, „nun wirklich ein schlechtes Bild abzugeben“. Dass ausgerechnet er, ein Nachwuchspolitiker, gerade erst in den Bundestag eingezogen, das Spitzenpersonal zur Ordnung rief, zeigte, wie sehr sich die Gewichte verschoben hatten.
Zur Zukunft der CDU will sich Ziemiak derzeit nicht äußern. Er lässt ausrichten, dass er die erwünschte Diskussion in der Jungen Union nicht dadurch abwürgen wolle, dass sich ihr Vorsitzender öffentlich auf einen der drei Kandidaten festlege. Diese Haltung, die der JU einen Richtungskonflikt erspart, hat ihm selbst bei seiner Wiederwahl vor wenigen Wochen ein Rekordergebnis von 91 Prozent beschert.
Wie gespalten die JU in der Kandidatenfrage ist, wird ohnehin in den Umfragen deutlich, die mehrere Landesverbände durchgeführt haben – nämlich gar nicht. Beinahe überall wird Friedrich Merz als Favorit genannt, obwohl der so lange weg war, dass die meisten ihn aus eigener Erfahrung gar nicht kennen können.
Für ihn spreche, sagt einer aus Baden-Württemberg, dass er „nicht mit den Entscheidungen der letzten Jahre verknüpft“ sei. Ein anderer meint, dass er „als Person genau der Typ“ sei, „der die an die AfD verloren gegangenen Wähler wieder zurückholen könne“. Die CDU muss ihren Hartz-IV-Moment bewältigen, der mit der Flüchtlingskrise einherging. Macht das den CDU-Nachwuchs schon zur Speerspitze einer konservativen Erneuerung? Wie konservativ ist die JU überhaupt?
Wenn es Nacht wird in Berlin
Vor allen anderen hat die Generation Merkel von den Modernisierungen der Kanzlerin profitiert. Atomausstieg, Abschaffung der Wehrpflicht, Gleichstellung, Elternzeit, Ehe für alle, Atomausstieg – niemand von den zahlreichen JUlern, die bei dieser Recherche Auskunft gaben, würde diese Errungenschaften gerne wieder rückgängig gemacht sehen. Sie haben sich längst mit ihrem Lebensstil und ihrem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung verschränkt. Allerdings um den Preis, dass sie oft nicht genau sagen können, was konservativ für sie bedeutet.
Umso mehr Aufsehen erregte da ein Video, das am 9. November in der Moabiter Traditionskneipe „Zur Quelle“ entstand und eine hessische Gruppe der JU dabei zeigte, wie sie laut grölend das Westerwaldlied zum Besten gab. Sollte das etwa die CDU von morgen sein? Am Jahrestag der Novemberpogrome unangenehm auffallend durch das Schmettern einer auch von Wehrmachtssoldaten gesungenen Heimathymne?
Man könnte sagen, dass die 31 Mitglieder der Reisegruppe aus dem Rheingau-Taunus-Kreis sich in der Partyhauptstadt Berlin eben so aufführten, wie Jugendliche vom Lande das tun, die in ihr vor allem die Entgrenzung suchen. Andererseits, sagt einer aus der Berliner JU, sei es mehr als unsensibel, „wenn man als politische Gruppe den Raum einnimmt und stört“. Wohin das führe, sagt er, „haben wir schon mal erlebt“.
Der Fall zeigt den schmalen Grat, auf dem das politische Engagement von Jugendlichen balanciert, die sich zuweilen als verschworene Gemeinschaft vorkommen, dickste Freunde sind und sich gegenseitig anstacheln. Politik soll Spaß machen, das ist die Losung, mit der die JU neue Mitglieder an sich bindet.
Zwei, die schon mal in den Abgrund geblickt haben, der sich vor ihnen nach einem verunglückten Spaß auftat, bestellen am Mittwoch in einem Charlottenburger Lokal das Mittagsmenü, ohne auch nur in die Karte zu blicken. Lukas Krieger und Christoph Brzezinski, beide Anfang 30 und sehr gut befreundet, letzter ist Vorsitzender der Jungen Union Berlin. Beide Juristen, entsprechen sie mit Barbour-Jacke und ihrer ganzen bürgerlichen Unauffälligkeit dem Bild, das man sich von JU-Politikern macht. Trotzdem werden sie bis heute mit einer vermeintlichen „Nazi-Party“ in Verbindung gebracht. So jedenfalls nannte die „B.Z.“ ein verwackeltes Video, als sie den über zehn Jahre zurückliegenden Vorfall im April 2016 wieder hervorholte. Seitdem erwähnen sie die Episode vorsorglich lieber gleich selbst, bevor jemand ihre Namen googelt. Das Internet vergisst nichts.
"Ein schlimmer Fehler"
Der Fall illustriert ganz gut, wie aus einem entgleisten Scherz unter Freunden der Ballast für eine politische Karriere wird. So waren Krieger und Brzezinski 2005 als Mitglieder der Schülerunion nach Riga gereist, und als einer aus der zwölfköpfigen Gruppe ein NSDAP-Abzeichen auf einem Trödelmarkt entdeckte, kaufte er es. Es ging herum. „Um einen Lacher zu erhaschen“, sagt Krieger, „haben wir begonnen, uns zu überbieten, haben den Nazi-Jargon parodiert. Es ging nur noch darum, wer die krassere Entgleisung bringt.“
Das knapp zweiminütige Video des despektierlichen Schauspiels war dann Teil einer 50-minütigen Reisedokumentation, welche die Gruppe auf CD brannte und als Andenken verteilte. So dürfte es in die Hände von Leuten in der CDU gelangt sein, die Lukas Krieger jedesmal damit konfrontierten, wenn der Jungpolitiker den nächsten Schritt auf seiner Karriereleiter plante. Er hat seine Lektion gelernt: „Ich habe einen schweren Fehler begangen, den ich immer noch bereue“, sagt er. Er trat aus der CDU aus, zwei Jahre später in einem anderen Ortsverband wieder ein. Dort fand man nach eingehender Prüfung, dass man die Sache auf sich beruhen lassen könne. Heute ärgert Krieger, wie sehr die Wahrnehmung von ihm wegen dieser alten Geschichte verzerrt werde. Zuletzt scheiterte er mit dem Versuch, in das Berliner Abgeordnetenhaus einzuziehen. Nun arbeitet er in einer Anwaltskanzlei und ist Justiziar der Bundes-JU. Wenn man ihn fragt, was konservativ ist, fällt ihm als erstes das Wort "ideologiefrei" ein. Dann spricht er vom christlichen Menschenbild, innerhalb dessen jeder seine persönliche Würde habe. „Die freie Entfaltung des Einzelnen bedarf nicht immer einer Einheitslösung.“ Aber ist Pragmatismus schon ein Konzept?
Merkels Wahlergebnis von 2013 war gut genug, um auch einen jungen CDUler aus Berlin, Jahrgang ’84, in den Bundestag zu bringen. Aber 2017 war es so schlecht, da flog er wieder heraus. Der Frust unter den Jungen war da schon groß. Als auf Drängen der JU ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaft von der Parteibasis beschlossen worden war, da bügelte die Kanzlerin das sinngemäß ab mit den Worten, die Regierung könne nicht alles umsetzen, was die Partei für richtig halte. Krieger, Brzezinski und anderen kam das wie eine Dialogverweigerung vor. Auf jeder Regionalkonferenz sind die potenziellen Merkel-Nachfolger nun gefragt worden, wie sie mit Beschlüssen der Partei umgehen würden.
"Wir nehmen den Kompromiss nicht schon vorweg"
Gerade für die JU ist das Gefühl wichtig, dass Initiativen nicht abgewürgt werden. In Hessen würden 80 bis 90 Prozent der Anträge zum Grundsatzprogramm der CDU von der JU formuliert, schätzt ein Beteiligter. Von den 226 Anträgen auf dem Parteitag stammen 29 von der JU, darunter die Forderung nach mehr Transparenz bei Personalentscheidungen. So erweist sich die JU als ständiger Innovationsmotor. Brzezinski meint: „Wir nehmen in Kauf, dass sich nicht alles in der Koalition durchsetzen lässt, aber was wir nicht machen, ist, den Kompromiss schon vorwegzunehmen.“
In Reinickendorf haben sie in Erwartung des neuen Grundsatzprogramms intensiv an einer eigenen Agenda gearbeitet. Dabei herausgekommen ist nicht nur die Idee, Verkehrsinseln mit Moos zu bepflanzen, um die Feinstaubbelastung zu senken. Sondern ein Flyer, der nicht viele Worte macht. Es geht um das Klima als einer „Schicksalsfrage unserer Generation“, es geht um „Input“ und digitale Bildung. Und Marvin Schulz sagt, dass „der vereinnahmende Charakter einer Bewegung“ vor allem eines sei: „bürgernah“.
Mit der Vernunft des Machbaren lassen sich Jugendliche nicht mobilisieren. Sie wollen alles. Oder gar nichts. Und manchmal treiben sie es zu weit, bloß weil sie gehört werden wollen.
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