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Hannelore "Loki" und Helmut Schmidt im gemeinsamen Urlaub.
© picture-alliance/dpa

Helmut Schmidt: Sein offenes Geheimnis

Längst ist der Altbundeskanzler zu einem Monument geworden. Kein Vorbild, aber ein Beispiel. Ein spätes Bekenntnis wird dies nicht ändern. Helmut Schmidt hat seine Frau Loki betrogen. Sein neues Buch erzählt davon. Und von einer erstaunlichen Ehe.

Ja, er wollte es noch sagen. Auch das. Das späte Bekenntnis betrifft das Geraune, dass Helmut Schmidt eine Affäre gehabt habe. Nun gesteht der Altkanzler es in seinem neuen, eben erscheinenden Buche – etwas in ihrer 68 Jahre währenden Ehe, was „ein Außenstehender eine Krise nennen könnte“: eine „Beziehung zu einer anderen Frau“.

Das Bekenntnis umfasst in dem Buch zwanzig Zeilen, deren Inhalt hier zu Protokoll gegeben werden. Das Verhältnis müsse Ende der sechziger oder Anfang der siebziger Jahre vorgefallen sein, schreibt Schmidt, und seine Frau Loki habe ihm deswegen die Trennung angeboten. „Ich war völlig fassungslos“, verfällt Schmidt in der Erinnerung in ein dramatisches Präsens: „Ich kann mich doch nicht von dir trennen.“ In seinen Augen sei das „eine ganz und gar abwegige Idee“ gewesen, „aber für Loki war es bitterer Ernst“.

Der Rest sind Zeugnisse einer Betroffenheit, die einem zu Gefühlen nicht eben neigenden Menschen wie Schmidt schwergefallen sein müssen. Es tue ihm noch heute „weh“, an diesen mehr als vier Jahrzehnte zurückliegenden Tag zu denken. Wahrscheinlich habe er die Dramatik unterschätzt, die für seine Frau mit ihrem Schritt verbunden gewesen sei. Er habe ein tief empfundenes Schuldbewusstsein gespürt. Aber Loki „hat mein völliges Unverständnis für ihr Angebot sogleich und zutreffend als Zeugnis meiner Treue zu ihr gewertet“.

Damit, so Schmidt, sei die Ehekrise schon wieder aus der Welt gewesen. Sie hat diese erstaunliche Ehe, die mehr als 68 Jahre dauerte, offensichtlich nicht wirklich erschüttert.

Weshalb dieses späte Bekenntnis?

Schmidt widmet ihr in diesem Buch ein ganzes Kapitel. Inmitten der Schilderung ihres Kennenlernens, des Zueinanderfindens während des Krieges und des gemeinsamen Lebens fällt der Satz: „Ich zögere nicht zu sagen: Loki war der Mensch in meinem Leben, der mir am wichtigsten war. Als sie im Oktober 2010 starb, war ich völlig zerstört.“ Ohne das Verhältnis zu Ruth Loah, seiner langjährigen Mitarbeiterin und jetzigen Lebenspartnerin, hätte er diesen Tod „wahrscheinlich nicht überlebt“. Lokis Sicht ihres Verhältnisses blitzt nur in dem schönen Zitat auf, das das Format dieser bemerkenswerten Frau erkennen lässt: „Ich bin sein Zuhause. Das ist ein Schatz, wenn man für einen anderen Menschen das Zuhause ist.“

Weshalb dieses späte Bekenntnis eines Mannes, der in seiner Selbstdarstellung durchweg Persönliches ausgespart und sich auf seine kühle Beherrschtheit viel zugutegehalten hat? Getuschelt wurde über diese Affäre schon immer, Hamburger wollten Name und Adresse wissen. Wollte Schmidt sich, immerhin eben 96 Jahre alt geworden, „ehrlich“ machen? Bezweckt dieses en passant niedergelegte Bekenntnis, etwaige „Enthüllungen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen – eben erst hat der Publizist Klaus Harpprecht in den kritischen Schmidt-Passagen seiner Erinnerungen die heikle Episode erwähnt? Und was bedeutet es für Schmidt selbst, für die politische und moralische Instanz, die er geworden ist?

Er überrascht und provoziert ein wenig

Schmidts Buch hat durchaus etwas von einem Aufräumen im Lebenshaushalt, gemäß seinem Titel, der mit beiläufigem Unterton ankündigt: „Was ich noch sagen wollte“. Allerdings bleibt Schmidt in ihm durchweg der Schmidt, den wir aus seinen Politikerjahren und vor allem aus den drei Jahrzehnten seiner Zweitkarriere als Autor, Gesprächsteilnehmer zahlloser Podien und Vorträge kennen. Noch einmal lässt er seine Hamburger Schuljahre und die Begegnungen seiner jungen Jahre Revue passieren, abermals berichtet er von den acht Jahren, die er Soldat gewesen ist. Mag sein, dass er damit auf eine kürzlich erschienene Untersuchung reagiert, die an seiner Haltung als Soldat im Zweiten Weltkrieg, im – O-Ton-Schmidt – „Scheißkrieg“ zu kratzen versucht. Anmerken lässt er es sich nicht. Er besteht darauf – wie in früheren einschlägigen Debatten –, dass Hitler und die deutsche Katastrophe die „Tragödie unseres Pflichtbewusstseins“ gewesen seien.

Er überrascht und provoziert ein wenig mit Proben des Schmidt’schen Freimuts, von dem er ohnedies immer mehr Gebrauch macht. So erneuert er sein bekannt kritisches Bild Helmut Kohls, räumt ihm jedoch ein, „dass er im Grunde ein anständiger Politiker gewesen ist“. Ein Behauptungssatz wie „Die Mehrheit bedarf der Führung“, ohne Relativierung und mit deutlicher Reserve gegenüber der verbreitete Lehre von einer möglichst unbegrenzten Demokratie vorgebracht, leistet sich heute kein anderer Politiker.

Und nicht ohne klammheimliche Genugtuung wird mancher zur Kenntnis nehmen, dass der die Öffentlichkeit mit Kant- und Weber-Zitaten bombardierende Altkanzler bekennt, dass er von dem Königsberger „im Wesentlichen“ nur „Vom ewigen Frieden“ gelesen hat.

Das kleine Buch ist ein sehr persönliches Unternehmen

Das kleine Buch ist gleichwohl ein sehr persönliches Unternehmen: Schmidt will sich mit ihm – wie er schreibt – „Klarheit darüber verschaffen, wie ich wurde, der ich bin“. Es soll von Menschen und Situationen berichten, die sein Denken und Handeln geprägt haben. Es fragt vor allem nach Vorbildern, nicht ohne sogleich den Begriff des Vorbildes kräftiger Kritik zu unterziehen – nicht zuletzt anhand des Satzes seines verstorbenen Freundes Siegfried Lenz: „Vorbilder sind doch nur eine Art pädagogischer Lebertran.“

Aber wie oft bei Schmidt kommt es auf eine Parade großer Persönlichkeiten, von Freundschaften und Bekanntschaften heraus. Er ist dieser Leidenschaft bereits vor zwanzig Jahren unter dem Titel „Weggefährten“ nachgegangen.

Vorbilder sind für Schmidt nicht Figuren, zu denen man aufsieht; denen ist Schmidt, wie er bekennt, in seinem Leben auch kaum begegnete. Einzig bei der Erinnerung an Fritz Erler, früh verstorbener Mitstreiter für eine Parteireform und sein Vorgänger als Fraktionsvorsitzender im Bundestag, heißt es: Zu ihm „konnte ich aufschauen“. Es ist, so seine Überzeugung, das Bedürfnis nach Orientierung, das Menschen nach Vorbildern suchen lässt. Und es ist der Umstand, dass Werte theoretisch nur eingeschränkt vermittelt werden können. In der Regel, so Schmidt, „bedürfen wir des persönlichen Beispiels, damit ethische Werte Eingang in unser Bewusstsein finden“.

Ein staunenswertes Zeugnis des Autors

Originellerweise beginnt seine Vergegenwärtigung politischer Leitbilder mit Ida Ehre, der Prinzipalin der kleinen Hamburger Kammerspiele. Aber das ist der prägenden Gegenwart der Hamburger Nachkriegsjahre geschuldet, in der die Schmidts in ihrem Theater den für sie fundamentalen Kulturerlebnissen begegneten. Ohnedies bleibt die Erfahrung der Nachkriegsjahre für ihn grundlegend. Dazu kommen die politischen Größen der Hamburger SPD, Max Brauer, der erste Nachkriegsbürgermeister, und sein Nachfolger Paul Nevermann, überragt von der Leitgestalt der Nachkriegs-SPD Kurt Schumacher. In diesen Politikern hat die politische Kontur von Helmut Schmidt in erster Linie ihren Hintergrund. Interessant ist dagegen, dass weder Friedrich II. noch Bismarck Eingang in die Liste beispielhafter Gestalten findet. Dagegen hält er Winston Churchill für eine so bedeutende Persönlichkeit, dass er ihn ungeachtet der von ihm verantworteten – und von Schmidt ausdrücklich erwähnten – Flächenbombardements deutscher Städte als Vorbild gelten lässt.

Das Buch ist staunenswert als Zeugnis des Autors Schmidt, der wahrhaftig ein Phänomen darstellt. Seitdem er sich aus der Politik verabschiedet hat, hat er fast zwanzig Bücher veröffentlicht und ist zum sicheren Aspiranten auf die Bestsellerlisten geworden. Der Politiker Schmidt, der die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik umgestaltet hat wie wenige, ist zu einem Mann geworden, der im Schreiben lebt – immer mit der Hand, stets in dem gleichen unprätentiösen, aber präzisen Stil, bei aller Nüchternheit durchzogen von einer humanen Schwingung und einer Neigung zur anspruchsvollen Volkshochschule. So einer kann nicht aufhören: weil er noch so viel sagen will.

Längst ist er zum Monument geworden, nicht ohne sein kräftiges Mittun. Kaum zum Vorbild, dafür sind die Ecken und Kanten, die er hat, zu schartig, zu scharf geschliffen. Aber zu einem Beispiel. Das späte Bekenntnis wird daran nichts ändern.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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